Der polnische Countertenor Orliński interpretiert die hohe Kunst zugänglich ohne Vereinfachung

Liederabend mit Jakub Józef Orliński und Michał Biel  Staatsoper Hamburg, 29. April 2024

Jakub Józef Orliński und Pianist Michał Biel; Foto Patrik Klein

Liederabend mit Jakub Józef Orliński und Michał Biel

Staatsoper Hamburg, 29. April 2024

von Jolanta Łada-Zielke

THE ART OF Jakub Józef Orliński ist nicht nur seine herausragende Stimme, die er mit Leichtigkeit und Klarheit einsetzt; nicht nur sein breites Repertoire, von barocken Arien bis hin zu spätromantischen Liedern; nicht nur die Art und Weise, wie er sich auf der Bühne bewegt, in der man das Training seines Körpers im Breakdance erkennen kann. Es ist vor allem seine künstlerische Persönlichkeit, dank der er bei den Auftritten eine einzigartige Stimmung schafft. Natürlich mögen manche Menschen seinen lockeren Stil nicht, der eher für Pop- und Rockstars charakteristisch ist.
Aber das zahlreich versammelte Publikum bei seinem Konzert in der Staatsoper Hamburg am 29. April war von ihm so begeistert, dass er vier oder fünf Mal eine Zugabe gegeben hat. Ich selbst habe aufgehört zu zählen. Dieser junge polnische Sänger hat eine einzigartige Gabe, die Herzen der Zuschauer zu erobern, und kann damit viel erreichen.

Natürlich kamen viele Polen zu seinem Konzert, und das Programm enthielt polnische romantische Lieder von Stanisław Moniuszko, Mieczysław Karłowicz und dem weniger bekannten Henryk Czyż. Manche deutsche Opernbesucher versuchten, die im Programm übersetzten Texte mithilfe ihrer Smartphone-Taschenlampen zu lesen. Orliński führte auch die Werke von Barockkomponisten auf, wie Johann Joseph Fux, Henry Purcell und Georg Friedrich Händel.

Sein Gesang nimmt den Menschen zunächst den Wind aus den Segeln und erhebt sie dann in himmlische Höhen der Gesangskunst im besten Sinne des Wortes. Dieser Countertenor singt mit Freiheit, mit viel Ausdruck an den entsprechenden Stellen, wie zum Beispiel im dramatischen „Cold Song“ Purcells. In der Phrasierung verteilt er geschickt die Dynamik, von dem zarten Piano bis zum Höhepunkt in Mezzoforte-Forte und zurück.

Durch seine Ausdruckskraft sind die polnischen Lieder beim deutschen Publikum ebenso gut angekommen. Mit Vorliebe habe ich Moniuszkos „Spinnrad“ gehört, das ich noch als zehnjähriges Mädchen in der Grundschule gesungen habe, natürlich nicht in der originalen Tonart 😉.

In den achtziger Jahren hatten die Kinder in polnischen Schulen einen richtigen Musikunterricht; neben Revolutions- und Pfadfinderliedern sangen wir auch Stücke polnischer Komponisten. Karłowicz lernte ich in der Musikhochschule in Krakau kennen, denn seine Lieder gehörten zum Pflichtrepertoire eines jeden Sängers. Mieczysław Karłowicz ließ sich bei der Abfassung seiner symphonischen Dichtungen von den Werken Richard Wagners inspirieren, besonders von „Tristan und Isolde“. Seine Lieder erzählen ebenfalls von Dilemmata der Liebe, die sich in der Natur widerspiegeln. Orliński interpretiert sie sehr berührend.

Einen Begleiter wie Michał Biel hätte sich jeder gewünscht. Dieser Pianist begleitet den Sänger nicht nur, sondern interpretiert das Stück gemeinsam mit ihm, und entlockt den Tasten die richtigen Ausdrucksmittel. Mal streichelt er zart die Tastatur, mal behandelt er sie etwas gewaltsamer, je nach Inhalt. Die beiden Künstler ergänzen sich auf der Bühne wunderbar.

Johann Heinrich Zedler (1706-1751) definierte die Popularität als „das Bemühen sich durch allerhand Künste des gemeinen Volckes Gunst zu erwerben“. Jakub Józef Orliński gelingt dies ohne besondere Anstrengung.

Er macht hohe Kunst zugänglich, ohne ihr zu schaden oder zu vereinfachen. Man merkt, dass ihm alle seine Aktivitäten Spaß machen, und er lässt dies auch das Publikum spüren.  Musikliebhaber lieben diesen Sänger und ihre Meinung ist entscheidend. Der beste Beweis dafür ist, dass die Karten für seinen Auftritt bei dem nächsten Festival Bayreuth Baroque bereits reißenden Absatz finden.

Am 6. September 2024 wird Orliński dort im Konzert „Beyond“ zusammen mit dem Barockensemble „Il Pomo d’Oro“ auftreten. Im Programm stehen Stücke von Monteverdi, Marini, Caccini, Barbara Strozzi, Frescobaldi und dem polnischen Komponisten der Spätrenaissance Adam Jarzębski.

Jolanta Łada-Zielke, 1. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Klein beleuchtet kurz Nr 31: Ein Countertenor aus Polen bringt eine ausverkaufte Staatsoper Hamburg zum Kochen klassik-begeistert.de

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