Foto: Mario del Monaco und Leonie Rysanek, (c) Lillian Fayer
Die Behauptung, Otello sei eine rassistische Oper, ist natürlich völlig absurd. Die Herrschaften, die sich zu solchem Unsinn versteigen, kennen oder verstehen das Stück offenbar nicht, verwechseln zumindest Entscheidendes. Um es mal ganz platt zu sagen: Otello ist keine böse, sondern eine tragische Figur, dessen grenzenlose Eifersucht unmittelbar mit seinem Anderssein und seiner Außenseiterrolle zu tun hat. Der Böse ist Jago, der ihn mittels heimtückischer Intrige ins Verderben stürzt.
von Kirsten Liese
Ich hätte nie gedacht, dass zwei so geniale Künstler wie William Shakespeare und Giuseppe Verdi einmal eines Anwalts bedürfen könnten.
Aber tatsächlich hat vor einiger Zeit die Deutsche Oper Berlin in ihrer Hauspublikation die Frage aufgeworfen, ob man den Otello– aus meiner Sicht eines der großartigsten Stücke Verdis neben dem Don Carlos – noch spielen dürfe. Wenn man dann weiterliest, mit welchen Argumenten ein Rassismusforscher diese Frage verneint, könnte man meinen, man habe es mit einer Satire auf das verpönte „Blackfacing“ zu tun. Ginge es nach ihm, dürfte das Werk allenfalls noch mit einem „verpflichtenden Warnhinweis wie bei Drogen oder schädlichen Medikamenten“ aufgeführt werden, da es in ihm eine „tiefe Verbindung zwischen Schwarz und Böse“ gebe.
Zum Glück wurden solche Äußerungen bislang kaum ernst genommen und es steht zu hoffen, dass das so bleibt. Jedenfalls steht Otello derzeit noch vielerorts auf dem Spielplan, wenngleich seit geraumer Zeit mit hellhäutigen Titelhelden. Ein netter Zufall, dass gerade erst mein Kollege Peter Sommeregger in seiner jüngsten Klassikwelt über das Thema geschrieben hat.
Die Behauptung, Otello sei eine rassistische Oper, ist natürlich völlig absurd. Die Herrschaften, die sich zu solchem Unsinn versteigen, kennen oder verstehen das Stück offenbar nicht, verwechseln zumindest Entscheidendes. Um es mal ganz platt zu sagen: Otello ist keine böse, sondern eine tragische Figur, dessen grenzenlose Eifersucht unmittelbar mit seinem Anderssein und seiner Außenseiterrolle zu tun hat. Der Böse ist Jago, der ihn mittels heimtückischer Intrige ins Verderben stürzt.
Es ist Otellos Minderwertigkeitskomplexen geschuldet, dass er sich überhaupt in den Wahn hineinsteigert, seine geliebte Desdemona, Inkarnation der Unschuld und Treue, könne ihm einen Weißen vorziehen. Eben das erklärt, warum der fragwürdige Beweis, den Jago ihm liefert, ausreicht. Otello ist mithin das Opfer einer – wenn man so will – rassistischen Gesellschaft in Zeiten, in denen das Wort Rassismus noch nicht existierte. Darin zeigt sich die Genialität Shakespeares, der seiner Zeit voraus war und kein Detail dem Zufall überließ.
Dasselbe trifft auf Verdi zu: Allein schon das überirdisch schöne Liebesduett zwischen Otello und Desdemona am Ende des ersten Akts, Già della notte densa, ist von einer solchen Zärtlichkeit durchwirkt, wie sie Verdi niemals für eine böse Figur geschrieben hätte.
Um das zu würdigen, müsste man das Stück erst einmal verstehen. Wenn dann die Antwort darauf lauten sollte, dass wir keine tragischen Figuren samt ihren Ambivalenzen und Unzulänglichkeiten mehr sehen wollen, weil die Gefahr besteht, dass sich Menschen verletzt fühlen können, sollten wir das Theater gleich ganz abschaffen. Weil Dramen mit uneingeschränkt vorbildlichen Figuren wenig mit dem realen Leben zu tun haben.
Ich selbst zehre heute noch von großartigen Aufführungen, die lange zurückliegen. Unvergessen als der beste Otello, den ich neben der wunderbaren, soeben verstorbenen Mirella Freni als Desdemona auf der Bühne sah, war Jon Vickers, der den hohen stimmlichen Ansprüchen dieser Partie genügte und sich auch darstellerisch als ein großer Tragöde empfahl. Die beiden anderen großen Otello-Protagonisten Plácido Domingo und Mario del Monaco hörte ich leider nur auf der Platte. Aber wenn man Rollenporträts betrachtet, die die Wiener Fotografin Lillian Fayer von beiden machten, bekommt man eine Ahnung von ihrer umwerfenden Präsenz.
Aber auch in jüngerer Zeit sah ich noch eine grandiose Aufführung in Ravenna 2018. Der noch junge georgische Heldentenor Mikheil Sheshaberidze trat da mit sagenhaftem stimmlichen Material in die Fußstapfen Jon Vickers und durchlitt seine Partie ebenso ergreifend, dies dank seiner Regisseurin Christina Muti auch mit einem „Blackface“. Aber das geht nur noch in Italien.
Natürlich wollte ich wissen, was Christina Mutis Ehemann Riccardo Muti über all das denkt. Der geniale Verdi-Experte hat in seinem langen Künstlerleben nun schon soviel an Unsinnigkeiten, insbesondere im Bereich der Opernregie mitbekommen, dass ihn kaum noch etwas erschüttert. Nur noch höchst selten dirigiert er überhaupt noch szenische Opernaufführungen. Er sagte lakonisch, ob dann wohl auch Verdis Aida auf die rote Liste käme. Wie auch immer konnte immerhin Anna Netrebko in Salzburg unter Mutis Leitung vor zwei Jahren die Äthiopierin Aida mit brauner Theaterschminke ohne großen Aufschrei verkörpern. Nebenbei gesagt war sie in dieser Rolle fulminant.
Die Aida aller Aidas war und blieb gleichwohl die unvergessene Leontyne Price, ein Kaliber mit einer Wahnsinnsstimme.
Manche Leute meinen, wenn ein Dunkelhäutiger den Otello singe, sei das besser als ein Hellhäutiger mit schwarzer Schminke. Den Rassismusforscher würde das vermutlich allerdings nicht überzeugen. Abgesehen davon, dass unter dunkelhäutigen Opernsängern, wenn ich das richtig überblicke, Frauen leichter zu finden waren und sind als Männer. Unter den Männern fällt mir eigentlich nur der Bassbariton Simon Estes als ein Sänger mit Weltkarriere ein. Bei den Damen sind es angefangen von Leontyne Price und Grace Bumbry, der ersten schwarzen Venus in Bayreuth, über Jessye Norman und Martina Arroyo bis hin zu Kathleen Battle oder Pretty Yende doch etliche.
Zu meinen Lieblingen, die ich live auf der Bühne erlebte, zählte übrigens Barbara Hendricks, die ich an die sechs Mal als entzückende Susanna in Mozarts Figaro an der Seite von Dietrich Fischer-Dieskau und Julia Varady in einer der besten Inszenierungen von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin hörte und sah. Eine weitere war Reri Grist, eine bezaubernde Despina, in Mozarts Cosi fan tutte unter Karl Böhm.
Vermutlich würden sie sich alle die Haare raufen, wenn sie mitbekommen sollten, dass heutzutage Verdi und Shakespeare am Pranger stehen.
Kirsten Liese, 14. Februar 2020, für
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .