Lieses Klassikwelt 3/2019: Deutsche Sprache

Lieses Klassikwelt 3/2019,  klassik-begeistert.de

Heute scheint die deutsche Romantik die Jungen zu überfordern, findet auch Brigitte Fassbaender, eine weitere Grande Dame, die sich im hohen Alter noch für das Lied stark macht, mit Verweis auf den Zeitgeist und sprachliche Verkümmerungen, die diametral stehen zu der Poesie solcher Dichter wie Eichendorff, Heine oder Hesse und deren Spiegelungen seelischer Befindlichkeiten in der Natur.

von Kirsten Liese

Edda Moser wurde letzte Woche mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Das Bundespräsidialamt begründete dies mit dem „besonders ausgeprägten Sprachempfinden“ der Sängerin und Leiterin des Festspiels der deutschen Sprache „in den Dienst der Allgemeinheit“.

Das erscheint mir als ein unverhofft positives Zeichen in Zeiten, in denen die deutsche Sprache wie überhaupt alles Deutsche in Deutschland einen schweren Stand hat. In der Hochkultur läuft es zunehmend mehr in Englisch ab. Filmfestspiele sind dafür ein gutes Beispiel. Die Berlinale präsentiert ausschließlich die Wettbewerbsfilme mit Untertiteln in Deutsch und Englisch, alle Produktionen in den Nebenreihen dagegen nur mit englischen Untertiteln – wenn nicht in englischer Originalversion. Unsere europäischen Nachbarn sind da selbstbewusster, zeigen zuzüglich der englischen Untertitel immer auch die in der Landessprache, sei es nun Cannes,  Locarno, San Sebastian oder Venedig.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich liebe England und die englische Sprache, die selbstredend alle Journalisten, die international viel unterwegs sind und Interviews mit nicht-deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern führen und in internationalen Jurys aktiv sind, beherrschen müssen.

Von Liebhaber-Cineasten kann man das jedoch nicht erwarten, es soll auch Menschen geben, die sich mit Fremdsprachen schwerer tun. Mit ein bisschen Schulenglisch versteht man noch lange keinen Film. Viele Menschen schließt man auf diese Weise aus. Allerdings sei auch vermerkt, dass mitunter deutsche Leinwanddarsteller so miserabel artikulieren, dass ich die englischen Untertitel benötige, weil ich sonst wenig verstehe.

Schon allein deshalb ist auch das „Festspiel der deutschen Sprache“ ein so besonderes, weil hier klassische Dramatik  von exquisiten Schauspielern geboten wird, die die hohe Kunst der Sprechkultur noch beherrschen.

Die deutsche Sprache hat freilich auch viel mit Musik zu tun. Lang ist es her, dass sich mit Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf zwei Jahrhundert-Sänger minutiös in ihren Meisterklassen für die Feinheiten der deutschen Sprache im Kunstlied verzehrten. In der ihr unverwechselbaren Art sagte Schwarzkopf einmal zu einer Japanerin: „Ja Kind, die deutsche Sprache ist halt schwer, aber ich kann ja nichts dafür, dass die schönsten Kunstlieder in deutscher Sprache geschrieben sind, wenn Sie sie singen wollen, müssen Sie sie auch beherrschen, gell.“

Das sagte Schwarzkopf, die ich in ihren letzten Meisterklassen in Telfs (Vorarlberg) persönlich erleben durfte, wo sie keineswegs so unangenehm streng auftrat, wie es ihr immer nachgesagt wurde, nicht nur so dahin. Vielmehr arbeitete sie geduldig mit den jungen Sängerinnen und Sängern an Ausdruck und sprachlichen Details, sensibilisierte für das „I“ als dem schwierigsten Vokal und dem „Ä“ als dem hässlichsten.

Edda Moser engagiert sich als Gesangsprofessorin an der Kölner Musikhochschule auf andere Weise für die deutsche Sprache. Jeder Student, dem ein englisches Wort unterkommt – da reicht schon ein „Ok“- muss einen Euro in eine Sammelkasse einzahlen. Das Geld wird dann beim gemütlichen Beisammensein aller Studenten mit Moser zum Beispiel nach einem Vortragsabend in einer Kneipe auf den Kopf gehauen.

Es gibt auch Ausländer, die besser Deutsch verstehen als Einheimische. Zum Beispiel  die aus Aserbaidschan kommende Pianistin Sayali Dadas, zeitweise meine Klavierlehrerin, die bis zu ihrer Pension vor wenigen Jahren an der Berliner Musikhochschule  in enger Zusammenarbeit mit Fischer Dieskau und Aribert Reimann Liedinterpretation lehrte. Sie berichtete mir, dass ihre Studentinnen und Studenten, darunter überwiegend Deutsche, ihr oftmals sagten, sie verstünden die deutschen Liedtexte nicht. Sie musste sie ihnen dann erklären. Immerhin war sie mit der deutschen Poesie so vertraut, dass sie das vermochte. Der Dirigent Sir Simon Rattle hätte das wohl nicht leisten könne: Er redete als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker Jahr für Jahr auf jeder Pressekonferenz in Englisch.

Apropos Berliner Philharmoniker: In der heißen Phase, als das Orchester sich nach einem Nachfolger für Rattle umschaute, schrieb doch tatsächlich ein Kollege in der „Berliner Zeitung“ gegen den Favoriten Christian Thielemann mit dem Argument, ein Deutscher, ein Berliner im Speziellen, würde einen Rückschritt bedeuten, nachdem die letzten drei Chefdirigenten (Karajan als Österreicher betrachtet) Ausländer gewesen seien. Das verschlug mir die Sprache. Ich wohne schon in einem merkwürdigen Land. Es war einmal das Land der Dichter und Denker.

Heute aber scheint die deutsche Romantik die Jungen zu überfordern, findet auch Brigitte Fassbaender, eine weitere Grande Dame, die sich im hohen Alter noch für das Lied stark macht, mit Verweis auf den Zeitgeist und sprachliche Verkümmerungen, die diametral stehen zu der Poesie solcher Dichter wie Eichendorff, Heine oder Hesse und deren Spiegelungen seelischer Befindlichkeiten in der Natur.

Schon zahlreiche Wörter sind aus unserem Sprachschatz verschwunden, weshalb sie jüngere Generationen wohl auch nicht mehr verstehen. Als Beispiel hierfür wählt Moser gerne das Wort „ungeschlacht“.

Wie gut, dass es für die deutsche Sprache in Mosers Festspiel noch eine Nische gibt. Ich trinke einen Sekt darauf und auf ihre Leiterin Edda Moser. Prost!

Kirsten Liese, Berlin, 11. Oktober 2019, für
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

Ein Gedanke zu „Lieses Klassikwelt 3/2019,
klassik-begeistert.de“

  1. Der Text von Frau Liese spricht mir aus dem Herzen. Gibt es doch eine seltsame Verweigerung des Deutschen und ihrer Muttersprache; als täte man sich ihrer schämen. Oder weil man nicht provinziell sein will, deshalb also alles Englisch.

    Auch im Schauspiel wird zunehmend englisch geplappert, oft schlecht verständlich und nur teilweise übersetzt, dann wiederum kaum lesbar (kleine Schrift, helle Lichtkegel über dem Textvideo). Soll wohl weltoffen wirken, global, divers und so — shit modisch, aber hochmütig gegenüber dem Normalo-Publikum, das womöglich kaum oder gar nicht Englisch kann. Ich finde diese Arrognaz unmöglich wie die unsägliche Verachtung des Schönen und Poetischen unserer Sprache.

    Reinhard Wengierek

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