… „mein größtes Ziel ist es, ehrlich zu klingen.“
Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen – Teil II
Foto: Lise Davidsen © James Hole
Lise Davidsen, * 8. Februar 1987 in Stokke, ist eine norwegische Opernsängerin (Sopran).
Sie ist mit Abstand der shooting star am Himmel der Wagner-Sängerinnen und bringt die Besucher der Bayreuther Festspiele derzeit mit ihren Darbietungen als Elisabeth („Tannhäuser“) und Sieglinde („Die Walküre“) aus dem Häuschen. Jetzt nimmt sich die große Sängerin auch andere Meilensteine wie Giuseppe Verdi und Richard Strauss vor. Klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt traf die Norwegerin im Restaurant „Bürgerreuth“ in Bayreuth. In diesem zweiten Teil spricht Lise über ihre Pläne und erklärt, wie sie mit progressiven Regisseuren umgeht.
Klassik begeistert: Hei Lise, wie ist es Dir eigentlich gelungen, während des Corona-Lockdowns so gut bei Stimme zu bleiben? Hattest Du zwischenzeitlich mal Schwierigkeiten, Dich zu motivieren?
Lise Davidsen: Ja, wirklich. Ich habe nie aufgehört zu üben, aber war ja Wochen und Monate nichts los. Da wurde mir klar, wie wichtig es ist, andere Sänger zu hören, um Input zu bekommen. Also nicht „Lise, mach dies oder das“, sondern mehr: Wo bin ich? Bin ich gut genug? Ich war ganz allein in meinem kleinen Arbeitsraum zu Hause, da war kein Dirigent. Ich habe über Zoom an der Sprache gearbeitet, von Zeit zu Zeit habe ich einen Pianisten getroffen. Aber die Motivation aufrecht zu halten, wenn es keine Inspiration von außen gibt, war schon sehr hart.
Wo ist Dein Lebensmittelpunkt?
Lise Davidsen: In Oslo. Im Januar 2019 bin ich von Kopenhagen in die norwegische Hauptstadt gezogen.
Wann war Dir klar: Ich kann das, ich werde eine ganz große Sängerin…
Lise Davidsen: Noch keinen Tag. Ich weiß, was ich kann, aber ich fühle mich nicht als sogenannte „große Sängerin“.
Haben Deine Rollen in Bayreuth, Berlin und München Dich als Person verändert?
Lise Davidsen: Ich bin schon öfter als sehr zielorientiert beschrieben worden. Das habe ich anfangs nicht verstanden. Aber mir wird immer mehr klar, dass das der Punkt ist. Natürlich fühle ich mich freier, wenn ich mit meinen Neffen zusammen bin oder mit meiner Schwester. Dann bin ich offener, klar. Aber im Großen und Ganzen bin ich dieselbe Lise geblieben. Ich schütze mich natürlich heute besser, ich weiß mehr und ich weiß mehr über den Kulturbetrieb.
Singen ist nicht nur Dein Beruf, sondern auch Deine Berufung. Wohin fährt Dein Zug?
Lise Davidsen: Der Zug fährt von Rolle zu Rolle. Und es gibt Rollen, die ich noch unbedingt singen und in denen ich mich ausdrücken möchte. Darauf liegt mein Fokus.
Du bist 34 Jahre alt. Du wirst im Januar und Februar 2022 die Ellen Orford in Benjamin Brittens „Peter Grimes“ in der Wiener Staatsoper singen. Im März folgt die „Ariadne auf Naxos“ in Richards Strauss’ gleichnamiger Oper. Was möchtest Du mit 38 Jahren gesungen haben?
Lise Davidsen: Verdi wird jetzt kommen und noch mehr Richard Strauss – „Arabella“ und „Der Rosenkavalier“.
Giuseppe Verdi hast Du ja noch nicht so viel gesungen…
Lise Davidsen: …ich sollte den „Maskenball“ („Un ballo in maschera“) in Oslo singen, aber er fiel wegen Corona aus. Aber Verdi kommt, ganz sicher…
Welche anderen Verdi-Opern kannst Du Dir zur Zeit vorstellen?
Lise Davidsen: „Don Carlo“ und „La forza del destino“ („Die Macht des Schicksals“).
Wie gut ist Dein Italienisch?
Lise Davidsen: Ich spreche nicht Italienisch, aber ich hatte einen Sprachkurs, als ich in Kopenhagen Gesang studierte. Ich habe sehr gute Sprach-Coaches, auf Deutsch und auf Italienisch – während Corona per Zoom, sonst auch persönlich.
Ist es für Dich wichtig, in den Top-Häusern der Welt zu singen wie Wien, Mailand, Paris, London und New York?
Lise Davidsen: Ich würde sehr gerne in diesen Häusern singen, weil sie brillant sind. Aber ich plane nach meiner Entwicklung und meinem Repertoire, nicht nach Häusern.
Siehtst Du Dich in der Reihe der großen skandinavischen Wagner-Heldinnen oder hast Du ganz andere Vorbilder? Und inwiefern ist Deine Landsfrau Kirsten Flagstad ein Vorbild für Dich?
Lise Davidsen: (lacht) …ich pflege auf diese häufig gestellte Frage immer zu sagen, dass ich dankbar bin, dass Leute mich mit diesen großen Sängerinnen vergleichen. Aber ich fühle, dass wir heute in einer anderen Zeit leben, und ich bin auch eine andere Person. Ich vergleiche mich nicht mit Kirsten Flagstad, interessiere mich aber sehr für ihr Leben und für das, was sie geleistet hat. Ich fühle, dass ich meinen eigenen Weg gehe und meine persönliche Entwicklung nehme. Ich habe meine eigene Persönlichkeit.
Wie würdest Du einem Menschen, der nicht hören kann, Deine Stimme beschreiben?
Lise Davidsen: Es ist sehr schwer, die eigene Stimme zu beschreiben. Diese Menschen mögen bitte andere Menschen fragen. Ich höre meine Stimme in meinem Kopf, und das ist anders, als Du sie hörst. So viel kann ich sagen: Mein Ziel ist es, dass meine Stimme nicht eindimensional klingt. Manche Menschen haben gesagt, die Stimme ist sehr stark, ja, stählern. Natürlich kann ich so etwas „produzieren“, aber ich versuche auch warm, farbenreich und offen zu klingen. Mein größtes Ziel ist es, ehrlich zu klingen, wenn ich auf der Bühne bin. Ich kann natürlich nicht sagen, ob die Zuschauer das auch so fühlen. Aber noch einmal: Wir sind Individuen und wir hören – was ich toll finde – Stimmen individuell. Wenn ich Dir sage, was Du hören sollst, fahre ich über diese wunderbare Individualität drüber. Deswegen sollen andere Menschen meine Stimme beurteilen und nicht ich.
Wie erlebst Du die Arbeit mit „Regierabauken“ wie Tobias Kratzer und Stefan Herheim, und ab welchem Punkt sagst Du Nein?
Lise Davidsen: (lacht) Mit Tobias habe ich zwei Produktionen gemacht, „Tannhäuser“ in Bayreuth und „Fidelio“ in London. Ich liebe es, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir haben eine ähnliche Arbeitsweise, gleiche Vorstellungen… wir arbeiten einfach toll zusammen. Natürlich gibt es manchmal Regisseure, die eine Vorstellung haben, die Du nicht verstehst. In so einer Situation würde ich sagen: „Ich möchte es umsetzen, aber ich verstehe es nicht.“ Ich versuche immer, die Ideen der Regisseure umzusetzen. Ich habe noch nie gesagt, ich tue es nicht, aber ich habe gesagt, ich verstehe es nicht…
Ich habe Dich auch in der „Walküre“ an der Deutschen Oper in Berlin erleben dürfen… An der Inszenierung Deines Landsmannes Stefan Herheim gab es ja sehr viel Kritik – die Koffer, die Flüchtlingsfrage… Wie hast Du die Aufführungen wahrgenommen?
Lise Davidsen: Für mich war es die erste Sieglinde. Hunding und Sieglinde haben ja ein Kind zusammen. Ich habe nicht verstanden, dass sie das Kind tötet. Warum macht sie das? Wie kommt sie zu dem Punkt, ihr Kind zu töten? Siegmund und Sieglinde sind für mich die reinsten und ehrlichsten Personen im ganzen RING. Sie ist etwas verrückt, aber sie ist nicht hinterhältig – beide sind offenherzig. Dies war eine der Stellen, wo ich zu Stefan Herheim sagte: „Du musst mir helfen!“ Es gab in der Tat so viel Gerede über die Koffer und dass die Musik aus dem Klavier kommt. Wenn Du aber im Stück drinnen bist, verstehst Du es und fragst nicht: „Warum sind da so viele Koffer?“ Du bekommst eine andere Sicht auf das Stück, wenn Du sechs Wochen mit den Koffern zusammen bist. Die Koffer waren ein Symbol für diese verlorenen Menschen, diese verlorenen Seelen – das hat mich angesprochen.
Der Opernbetrieb ist mitunter ein menschenverschlingendes Monster, und große Talente werden oft in kurzer Zeit verheizt. Was tust Du, damit Dir das nicht passiert?
Lise Davidsen: Einen ganz entscheidenden Anteil dafür, dass ich noch hier bin, hat mein Team. Wir haben eine sehr gute Kommunikation, das Team schützt mich. Mein Pressesprecher und mein Agent wissen, wie ich arbeite, wieviel ich arbeiten kann und wie es gemacht werden soll. Nachdem ich 2015 bei dem von Plácido Domingo ins Leben gerufenen Gesangswettbewerb Operalia in London in drei Bereichen gewonnen hatte, habe ich viele Angebote bekommen. Wenn Du viele Angebote bekommst, kannst Du aussuchen. Wenn Du das nicht hast, sagst Du oft ja oder du nimmst zu früh große Rollen an. Da ich die Möglichkeit habe, Nein zu sagen, versuche ich eine kurze Karriere zu vermeiden und strebe auf eine längere Laufbahn hin.
Du bist als „hochdramatische Naturgewalt“ bejubelt worden. Gehst Du in den emotional anspruchsvollen Rollen völlig auf oder gibt es einen Rest von innerer Distanz, der Deine eigene Seele schützt?
Lise Davidsen: (lacht) …Ich gehe sehr in den Rollen auf… Der Grund, warum wir üben, ist die Balance zu finden. Bei manchen Stellen musst Du höllisch aufpassen: Bin ich im richtigen Tempo? Diese Distanz ist immer da – die Frage, bin ich musikalisch korrekt; der Punkt, sich an Dinge zu erinnern, die Du tun musst. Also, Du kannst nicht 100 Prozent die Rolle sein, weil Du Dich an Dinge erinnern musst. Wenn Du für viele, viele Wochen geprobt hast kommst Du an 100 Prozent heran. Emotional möchte ich so nah am Charakter dran sein, wie ich nur kann.
Kjaere Lise, tusen takk for intervjuet!
Interview: Andreas Schmidt © für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil III erscheint am Dienstag.
Teil I erschien am Sonntag.
Dear Lise Davidsen!
Liebe Lise Davidsen,
Let me say thank you in this way! Thank you for the happy moments that your voice gave me! I hear it again and again, unfortunately only in „canned“ form
They gave me Wagner resp. the Wesendonklieder and Strauss’s „Last Songs“ have been re-opened.
That I could still hear this in my old days!
Yes, thanks!
And to you the blessing of heaven, who has given you the charisma of your voice!
Yours
Reinhard Baden from Stuttgart