„… aber natürlich gibt es auch Snobismus hier…“
Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen – Teil III
In knapp sieben Jahrzehnten gratuliert Dir die norwegische Königin zu Deinem 100. Geburtstag. Über welche Aussage zu Deinem Leben würdest Du Dich freuen?
Lise Davidsen: Ich hoffe, sie sagt, ich hatte eine lange und gute Karriere und meine Familie und Freunde bei mir. Das wäre schön.
Lise Davidsen, * 8. Februar 1987 in Stokke, ist eine norwegische Opernsängerin (Sopran).
Foto: © PER-ERIK SKRAMSTAD
Sie ist mit Abstand der shooting star am Himmel der Wagner-Sängerinnen und bringt die Besucher der Bayreuther Festspiele derzeit mit ihren Darbietungen als Elisabeth („Tannhäuser“) und Sieglinde („Die Walküre“) aus dem Häuschen. Jetzt nimmt sich die große Sängerin auch andere Meilensteine wie Giuseppe Verdi und Richard Strauss vor. Klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt traf die Norwegerin im Restaurant „Bürgerreuth“ in Bayreuth. In diesem dritten Teil spricht Lise über ihre Erfahrungen in Bayreuth und verkündet ein definitives Nein zur Rolle der Isolde in den nächsten Jahren.
Klassik begeistert: Hei Lise, Du bist 2019 in das Bayreuther Wasser gesprungen, nach dem Du hier zuvor erst einmal an einem Wettbewerb teilgenommen hattest. Hat Dir das einen unverkrampfteren Zugang zum „Grünen Hügel“ und zum ganzen „Meister-Hype“ verschafft?
Lise Davidsen: Ich mag das Besondere an Bayreuth. Ich denke, das Publikum hier ist sehr enthusiastisch und hingebungsvoll. Die Menschen lieben es, her zu kommen. Natürlich gibt es auch Snobismus hier… „Ich war schon so und so viel mal hier“ … „und ich so viel“… Das gibt es aber auch in München, in London und in der Met in New York. Es gibt immer eine Gruppe von Leuten, die glauben, sie seien besser, die meinen, mehr zu wissen und mehr zu machen. Aber unterm Strich mag ich es in Bayreuth sehr. Das besondere an diesem Festival ist, dass alle hier sind. In München und Wien ist ein Kommen und Gehen, die Musiker kommen und gehen. Hier sind wir hier. Wenn nicht Corona ist, treffen wir uns in der Festspielkantine. Wir gehen nach Theta, essen und trinken ein zünftiges Bier. Wir sitzen alle im selben Boot. Jeder ist entweder ohne Familie oder mit Familie hier. Hier herrscht hoher Druck mit einer Art Festivalgruppen-Feeling. It’s this extremely nerdy group – we play Wagner, we talk Wagner, wie sing Wagner – that’s unique. Normalerweise spielt das Orchester einen Tag Donizetti, dann Wagner, dann Mozart. Hier geht es nur um Wagner. Natürlich ist es hier extrem stressig, und ich bin manchmal so nervös. Aber ich spüre, dass die Leute freundlich sein wollen.
Hast Du schon mal in meiner Heimatstadt Hamburg gesungen?
Lise Davidsen: Nur während einer Privatstunde mit Helmuth Deutsch, aber nicht in der Staatsoper Hamburg oder in der Elbphilharmonie. (lacht) …und ich hatte schon mal eine Meisterklasse in Dänemark mit Deinem Namensvetter Andreas Schmidt, dem großen Bariton…
(lacht) … An den kann ich mich gut erinnern, ein toller Sänger, ich habe ihn öfter in Hamburg gehört. In einer Zeit, in der es noch dicke Telefonbücher gab – Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre – bekam ich noch viele Anrufe von Fans, die den berühmten Andreas Schmidt sprechen wollten. Es riefen ausschließlich Frauen an… Aber Du sollest wirklich mal in Hamburg singen…
Lise Davidsen: Am liebsten in der Elbphilharmonie… Wer möchte nicht in der Elbphilharmonie singen…
Ich würde 1000 Euro wetten, dass Du dort bald singen wirst…
Lise Davidsen: (lacht) Ich möchte nicht gegen Dich wetten, weil ich dort sehr gerne singen möchte. Ich hoffe wirklich, dass es klappt.
Lenken Dich bei der „Walküre“ in Bayreuth die Geräusche von spritzenden Farbstoffen und raufenden Besenstiele hinter dem Rücken nicht ab?
Lise Davidsen: Bei der Generalprobe war es störend, weil wir es zuvor noch nie geübt hatten. Aber ich denke, bei der Premiere war es besser, denn wir wussten, was passieren wird und wir gehen diesen Weg. Aber manchmal ist es etwas – nun ja – gewöhnungsbedürftig. Denn das Farbspektakel arbeitet auf vollkommen separat von uns – im Rhythmus und allem: Es ist komplett solo. In der Generalprobe haben wir uns vor den „Winterstürmen“ umgedreht, und ich war richtig überwältigt, weil der Lenz wirklich in den Farben zu sehen war. Es war wirklich sehr schön.
Aber es gab ja trotzdem einen Buh-Orkan für diesen armen, alten kleinen Mann, den Aktionskünstler Hermann Nitsch…
Lise Davidsen: (lacht) Ich fand es hinreißend, wie er das Publikum mit seinem Stock „gegrüßt“ hat, so nach dem Motto: „Kommt doch her!“ Er ist Hermann Nitsch, er steht hinter seiner Arbeit, zu 100 Prozent! Er macht sich keinen Kopf darüber, was irgend jemand sagt. Es ist 82 Jahre alt, aber er ist viel jünger in seinem Geist und in seiner Arbeit.
Frauen haben kaum gebuht, fast nur die so genannten „Wagnerianer“ im schwarzen Smoking, weißen Hemd und schwarzer Fliege…
Lise Davidsen: (lacht) Ich habe die Buhs nicht gesehen, nur gehört… Aber sie waren sehr vorhersehbar.
Wann wirst Du die Isolde singen? Vielleicht schon im nächsten Bayreuther „Tristan“?
Lise Davidsen: Sicher nicht. Der nächste „Tristan“ wird in den nächsten Jahren kommen – dann werde ich noch keine Isolde singen.
Du hast schon „Das schlaue Füchslein“ von Janáček gesungen….
Lise Davidsen: Ja, auf Dänisch, nicht auf Tschechisch.
Kannst Du Dir vorstellen, auch Klassiker der Moderne wie „Wozzeck“ und „Lulu“ zu singen?
Lise Davidsen: Nicht „Lulu“, das ist nichts für meine Stimme. Aber gerne noch modernere, wenn die Zeit dafür reif ist. Wenn es ganz neu ist, brauchst Du mehr Zeit, das Stück zu lernen. Die habe ich zur Zeit nicht, da ich genug Rollen habe.
Wie lange bist Du schon ausgebucht?
Lise Davidsen: Für einige Jahre….
Du darfst für einen Tag in die Haut eines anderen Sängers, einer anderen Sängerin schlüpfen. Mit wem würdest tauschen? Wo wärest, und was würdest Du tun?
Lise Davidsen: Ich möchte Jessye Norman für einen Tag sein. Wenn Sie einen Liederabend gibt – das wäre großartig… Um ein Gefühl zu bekommen, wie das war. Sie war stimmlich anders als alle anderen Sänger. Ihre Farben sind einzigartig und ihre Interpretationen sehr klar. Sie war nicht der super höchste Sopran, im tiefen Register hatte sie phantastische Farben… Ich frag mich, wie sich das in ihrem Kopf angehört hat.
In knapp sieben Jahrzehnten gratuliert Dir die norwegische Königin zu Deinem 100. Geburtstag. Über welche Aussage zu Deinem Leben würdest Du Dich freuen?
Lise Davidsen: Ich hoffe, sie sagt, ich hatte eine lange und gute Karriere und meine Familie und Freunde bei mir. Das wäre schön.
Kjaere Lise, tusen takk for intervjuet!
Interview: Andreas Schmidt © für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 1 erschien am Sonntag,
Teil 2 am Montag.
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2021
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspielhaus, 29. Juli 2021
Richard Wagner, Tannhäuser Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2021
Ein sehr interessantes, lesenswertes Interview mit einer sympathischen Sängerin. Leider habe ich sie bisher, abgesehen von einer Aufzeichung mit ihr als Sieglinde, noch nicht gehört. Hoffentlich singt sie bald einmal in Hamburg, am besten in der Staatsoper.
Dr. Ralf Wegner
Der launige und unkomplizierte Duktus des Interviews von Andreas Schmidt mit Lise Davidsen in „Klassik begeistert“ entspricht ganz der sympathischen und unprätentiösen Art dieser großartigen Sängerin. Dadurch, dass Andreas Schmidt einige Fragen, um die er uns in Vorbereitung des Gesprächs gebeten hatte (dem haben wir sehr gerne entsprochen!), hat einfließen lassen, hatten wir den Eindruck, bei dem Gespräch ein bißchen mit dabeigewesen zu sein, was uns wirklich gefreut hat.
Das Interview vermittelt in seiner Mischung aus erfrischendem Plauderton und profunder Sachkenntnis, Lise Davidsen tatsächlich zu begegnen.
Dres. Regina und Andreas Ströbl