Geigerin Liv Migdal und Klavierpartner Mario Häring berühren die Zuhörer mit hochemotionalen Interpretationen vergessener Komponistinnen

Liv Migdal, Violine und Mario Häring, Klavier  Sendesaal Bremen, 23. April 2024

Liv Migdal © Tanita Karkuth

klassik@sendesaal-Konzert „Horizont. Heimat“

Ethel Smyth: Sonate für Violine und Klavier a-Moll op. 7

Amanda Maier: Sechs Stücke für Violine und Klavier

Edvard Grieg: Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 G-Dur op. 13

Liv Migdal   Violine
Mario Häring   Klavier

Sendesaal Bremen, 23. April 2024

von Gerd Klingeberg

Ethel Smyth und Amanda Maier galten zu Lebzeiten als herausragende Komponistinnen und Musikerinnen. Doch selbst in einschlägigen Musikführern sucht man ihre Namen bislang zumeist vergeblich. Zweifellos zu Unrecht, wie die Zuhörer beim Kammerkonzert im Bremer Sendesaal wohl einhellig bestätigen würden.
Violinistin Liv Migdal und ihr pianistischer Duopartner Mario Häring präsentierten Werke der beiden nahezu vergessenen Musikerinnen anlässlich eines Produktionskonzerts. Ihre überaus intensive Beschäftigung mit deren Kompositionen während der vorherigen langen Aufnahmephase resultierte dabei in detailliert durchdachten tiefschürfenden Interpretationen und einem durchweg präzisen und ausgewogenen Zusammenspiel.

Die Violinsonate op.7 von Smyth, einer englischen Dirigentin, Komponistin, Schriftstellerin und resoluten Suffragette, bot einen zunächst gefälligen Einstieg, um sich schon bald zu breiter Klangfülle zu entfalten. Kraftvoll ausgeführte Partien kulminierten ins Dramatische, wurden unvermittelt zu zartem Schmelz und schienen fantastische Szenerien zu generieren, bis sie auf verschlungenen harmonischen Pfaden zum Ursprungsthema zurückfanden. Heiter beschwingt geriet das leichthändig dargebotene Scherzo, während die Romanze mit lieblichen, von einer geheimnisvollen Pianissimo-Aura veredelten Klängen bezauberte. Mitreißend straff folgte der bis ins Furiose gesteigerte, von immer neuen Energieschüben befeuerte Finalsatz dieser Komposition, bei der die Komponistin auch manche Elemente ihrer heimatlichen englischen Volksmusik einfließen ließ.

Die 1879 entstandenen „Sechs Stücke für Violine und Klavier“, facettenreiche kompositorische Kleinodien der schwedischen Komponistin und Geigerin Amanda Maier, boten weitere spieltechnische und interpretatorische Anforderungen, die vom perfekt aufeinander eingespielten Duo indes souverän gemeistert wurden.

Energischer Einsatz war etwa gefragt bei Nr. IV, einem mit „Leidenschaftlich“ bezeichneten Allegro molto. Da flog der Bogen in aberwitzigem Tempo effektvoll über die Saiten, da wirbelten die Finger über Griffbrett und Klaviatur, dass es eine wahre Freude war, zumal die beiden agil aufspielenden Instrumentalisten zu keinem Zeitpunkt ihre akribische Ausgestaltung vernachlässigten.

In starkem Kontrast dagegen Stück Nr. V, ein inniges „Tranquillamente“, mit einer schlichten, aber zutiefst berührenden ausdrucksvollen Melodie: einfach nur zum Träumen schön. Beim abschließenden Nr. VI-Allegro waren die zahlreichen schwedischen Anleihen unüberhörbar: bordunartige Basslinien zu tänzerisch folkloristischen Motiven, bei denen man sich unschwer in einem dörflichen Mittsommerfest wähnen konnte.

Dass die miteinander befreundeten, zeitweise in Leipzig tätigen Komponistinnen sich in den beiden vorgestellten Werken durchaus an ihren damaligen musikalischen Vorbildern (wie Mendelssohn, Brahms, Reinecke, Grieg u.a.) orientiert hatten, war unschwer nachzuvollziehen. Allerdings keineswegs in epigonenhafter Weise, sondern vielmehr in einer erfindungsreichen, von stets sicherer Formbehandlung geprägten, jeweils originär eigenen Stilistik. Kurz gesagt: In ihrer gleichermaßen anspruchsvollen wie vielfarbigen Musik fühlte man sich problemlos zuhause. Und wurde dennoch immer wieder überrascht von ungewohnten, mitunter recht mutigen harmonischen Wendungen und Einschüben.

Liv Migdal © Tanita Karkuth

Freundschaftliche Beziehungen pflegten Smyth und Maier unter anderem auch zu Edvard Grieg. Und so passte dessen zweite Sonate op. 13, die er selbst als seine nationale bezeichnete, bestens in den Programmablauf. Innerhalb von nur drei Wochen hat er sie geschrieben, kurz nach der Heirat mit seiner großen Liebe Nina. Vieles darin erinnert an Motive aus seinen Lyrischen Stücken. Die ausgeprägt emotionale Dichte der vielfältigen, zwischen liebessehnsüchtigem Schwelgen, himmelhohem Jauchzen und verhalten hinterfragender Nachdenklichkeit changierenden Stimmungen brachten Migdal und Häring in hochgradig subtiler Nuancierung, aber auch in markanter Kontrastierung als episodische Poesie zum Ausdruck.

Im Mittelsatz mit seinen anfangs anschmiegsam weichen Geigentönen, unterlegt von silbrigen Klavierakkorden, spielte sich das Duo in einen wahren Rausch aus expressivem Schönklang, der schließlich in fragilem, gleichwohl tragfähigem Pianissimo verhauchte.

Entspannter, lebenslustiger ging es zu im unbeschwert anmutenden, von nordischer Melodik durchdrungenen Final-Allegro. Erneut überzeugte die unbedingte Stringenz beim Aufbau solider Spannungsbögen bis hin zur überwältigend fulminanten Schlussphase.

Mario Häring © Stephan Röhl

Nach dem begeisterten Beifall setzte das Duo mit der Zugabe einen unerwartet ernsten Schlusspunkt: Die melancholisch-elegische, zartfühlend sordiniert gestrichene und wahrhaft zu Tränen rührende „Berceuse sfaradite“ des 1933 aus Nazi-Deutschland nach Palästina emigrierten Paul Ben-Haim widmete Migdal den noch immer von der Hamas in Gaza festgehaltenen israelischen Geiseln.

Dr. Gerd Klingeberg, 24. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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