Foto: Lohengrin 2022, J. v. Oostrum als Elsa, © W.Hoesl
Solch einen allumschlingenden Wagner-Klang samt saalfüllend schallenden Trompeten aus allen Rängen wird man auf dem Grünen Hügel nicht kriegen. Ebenso wenig diese durchweg perfekte Gesangsbesetzung. Dafür war die Münchner Neuinszenierung etwas lächerlich gefüllt mit Ironie und Komödie…
Lohengrin
Musik und Libretto von Richard Wagner
Bayerische Staatsoper, 3. Dezember 2022 PREMIERE
von Johannes Karl Fischer
Liebes Regie-Team, wer von Ihnen möchte die erste gemeinsame Nacht mit der Freundin oder dem Freund bewacht von Volk und Feind verbringen? Niemand? Dann bitte inszenieren Sie den Lohengrin auch nicht so!
Ich bin kein Anhänger von Otto Schenks Partiturdiktatur. Aber die Hochzeitsnacht, „Wir sind allein“, auf grüner Wiese, umgeben von einer Flut an BürgerInnen von Brabant, das ist zu viel. Vielleicht verstehe ich die Ironie nicht? Gelacht wurde im Publikum. Sorry, falsche Stelle für Komödie!
Schon zu Beginn ahnt man einiges: Nach einem großartig gespielten Vorspiel standen Chor und König, von Schulter bis Schuhe in weißen schlafanzugartigen Kostümen gekleidet, vor einem mattweißen Bühnenbild. Der Heerrufer springt wie ein Osterhase in den Kreis der Grafen, Edlen und Freien. Fehlen nur noch die Ostereier, das grüne Gras auf der Bühne scheint dafür prädestiniert. Ist ja ganz witzig, aber irgendwie nix für Lohengrin. Schönes Musiktheater, da wäre aber noch der Wagner…
Eine sehr verhaltene Publikumsreaktion für Mundruczó und Co., sagen wir mal „höflicher Applaus mit einem Schuss an Missfallensäußerungen“. Ihren Job haben’s erledigt, die Bühne den Sängerinnen und Sänger überlassen.
Was bestens funktionierte, denn die gesamte musikalische Truppe von Andrè Schuen bis Anja Kampe war eine fein gesiebte Auswahl der geeignetsten MusikerInnen dieses hochanspruchsvollen Fachs. Fehlbesetzungen Fehlanzeige! Anders als in Bayreuth traf die Ortrud (Anja Kampe) die Noten, und nicht nur das: Ihr hochdramatischer, selbstbewusster Sopran war mit das fesselndste Highlight des Abends. Die böse Zauberin ist in diesem Werk die Strippenzieherin. Vom Libretto erfährt man das erst am Ende. Aber diese Sopranistin lässt daran allein mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz von Takt eins an keinen Zweifel.
Ihr Ehemann, Friedrich von Telramund, war bei Johan Rauter in besten Händen. Sein Sachs war grundsolide, sein Telramund auch, das reicht. Mit dieser glasklaren Textverständlichkeit versteht auch endlich Elsa, welches Verbrechen sie beschuldigt wird. Dass Mika Kares in einer von Georg Zeppenfelds Stammrollen mit deutlichster Diktion heraussticht, beweist die große Klasse dieses Basses. So singt ein König, auch, wenn sein Kostüm ihn eher zum Kaspar macht.
Der ganze erste Aufzug war eine einzige Narration, hier wurden Geschichten erzählt, die selbst für Lohengrin-ExpertInnen bislang ein Buch mit sieben Siegeln waren. Die verworrene Handlung wird für Neulinge wie WagnerkennerInnen endlich mal verständlich! Und was war das für ein stimmstarker Einstieg von Andrè Schuen als Heerrufer! Ich hätte dem großartigen Guglielmo und Don Giovanni niemals eine Wagner-Rolle zugetraut, zwischen dem mozartischen Belcanto und dem Heerrufer liegen Welten. Aber mit dieser Paradeleistung gehört der Ladiner dringend auf dem grünen Hügel!
Dort, wo der Klaus Florian Vogt seit vielen Jahren unverzichtbarer Dauergast ist. Auch im bitterkalten Dezember singt der Dithmarscher Weltstar drei Stunden lang völlig mühelos jene Titelpartie, die ihm vor 20 Jahren in Erfurt seinen Durchbruch bescherte. Leider wird auch diese helle Jahrhundertstimme irgendwann in Rente gehen müssen. Fazit Vogt: König Klaus von Stolzing kann auch Lohengrin.
Eigentlich war Marlis Petersen als Elsa besetzt, Johanni von Oostrum hatte die Rolle vor einigen Wochen übernommen. Neben Anja Kampe die zweite Umbesetzung dieser Produktion. Großartig ihre federweiche Stimme, die Unschuld der weiblichen Hauptpartie dringt durch ihre Töne in jedes Ohr. „Einsam in trüben Tagen“, so tief und rührend, wie es sich für eine Elsa gehört.
Wo aber liegt der Kern meiner Aussage „Bayerische Staatsoper besser als Grüner Hügel“? Abgesehen von Ortrud natürlich im Orchester. Dirigent François-Xavier Roth holt aus diesem Graben einen allumschlingenden Wagner-Klang samt saalfüllend schallenden Trompeten, wortwörtlich aus allen Rängen. Und haut den ausverkauften Saal völlig vom Hocker!
Laut, aber längst nicht nur: Vielseitig, hier weich, dort triumphal wie Thielemann, so klingt das Orchester. Roths begeisterndes Dirigat geht ordentlich nach vorne, der Wagner-Neuling bringt neue Energie in die einstige Zukunftsmusik. Und Klangkulissen, von denen man in Bayreuth nur träumen kann. Denen sich der Chor nur anschließen kann: Stolz singen sie recht zahlreich die vielen Edlen und Brabanten.
Über einen Berliner Tannhäuser im Mai schrieb ich: „Da muss sich Bayreuth warm anziehen!“ Das gilt auch an diesem Abend, vor allem für Anja Kampes fesselnde, packende Ortrud.
Eine Sache gab es zu „berichten“: Anders als ursprünglich angekündigt sang Vogt am Ende den Originaltext „Führer“ statt „Schützer“. Die Diskussion um diese Stelle wird weitergehen, sei es nur als symbolische Debatte zwischen der pro- und anti-Thielemann-Partei.
Johannes Karl Fischer, 4. Dezember 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin Theater Lübeck, 4. September 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Lohengrin, Osterfestspiele Salzburg 2022, Großes Festspielhaus, 18. April 2022