Sylvain Cambreling © Yomiuri Nippon Symphony Orchestra
Ludwig van Beethoven (1770–1827) Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125
mit dem Schlusschor »An die Freude«
Allegro ma non troppo, un poco maestoso Molto vivace – Presto
Adagio molto e cantabile – Andante moderato Finale. Presto – Allegro assai
Sylvain Cambreling Dirigent
Mandy Fredrich Sopran
Stine Marie Fischer Alt
Daniel Kluge Tenor
Markus Eiche Bass
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg
Mitglieder der EuropaChorAkademie
Jan Hoffmann Chorleitung
Laeiszhalle, Hamburg, 1. Januar 2023
von Harald Nicolas Stazol
Als Markus Eiche, der Bass, in der Laeiszhalle am Neujahrskonzert zu „Oh, Freunde, nicht diese Töne, sondern lasset uns angenehmere finden“ anhebt, steht da plötzlich eine Beethoven-Wand im Goldstuckraum, vorher schon durch die MAKELLOSEN Symphoniker Hamburg, bald über den GLÄNZENDEN Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg unserer Stadt, unter dem Dirigat des ÜBERRAGENDEN Sylvain Cambreling, eine akustische Wand, dass man begreift, warum Jonas Kaufmann nur noch hier, vor Ort singen will, weil die Akustik der Elbphilharmonie ihm nicht zusagt…
Nun, an diesem Neujahrsabend, im ausverkauftem Hause – dank der Direktion nicht nur für den Kritikerplatz mittig, nein, man ließ sogar den Platz 10, Reihe 9 frei, auf dass mein Glas freiere Sicht habe, nun also die Neunte, inmitten aller, die diesen Jahresbeginn unbedingt ein Jahr im voraus gebucht haben, mit einem Orchester, vor allem, und über allem der Konzertmeisterin Barennie Moon, die so losfiedelt, dass nicht nur ihre schwarzen Haare im Head-Banging fliegen, sondern auch der Bogen seine Rosshaare verliert, immer ein Zeichen äußerster Hingabe.
Und diese Leidenschaft strahlen sie alle aus, CPE-Chor Hamburg, Orchester und die irrwitzig-großartigen Solisten, allen voran die Sopranistin Mandy Friedrich, keinen Millimeter breit gefolgt vom einfach phantastischen Tenor Daniel Kluge, der ein bisschen aussieht, „als wäre er gerade von der Harley gestiegen“, wie Gilbert, mein wacker-schmucker Begleiter-Freund seit 25 Jahren, kennengelernt am Summer-Pool unter der Elphi, als sie noch Kaispeicher 1 war, bemerkt.
Von ihm weiß ich auch, dass der Chef von Sony bei der Welteinführung der Compact Disc mit ihrer Kapazität von 74 Minuten die „längste Aufnahme“ befahl, der Herbert von Karajan schon bei deren Präsentation natürlich nachkam – in seiner allerlängsten mit den Wienern kam jener auf 1,04 Stunden und Sekunden, unter Sylvain Gilbert –mit dem iPhone gestoppt – kommen wir auf 1.03.
Aber wer denkt jetzt schon an Karajan? Hoffentlich ALLE? Jajaja Thielemann in Wien, aber wir sind hier eben in Hamburg, und der Genius Loci stellt sich hier und heute Abend nun wirklich auf das Füglichst-Brillanteste ein.
Denn schon, ob der auf diesen Seiten verkündeten besten Aufführung Beethovens so futuristischen Neunten in Wien – da war Ludwig van schon taub, und die erste Geige drehte ihn am 7. Mai 1824 im Wiener Kärntnertortheater füglichst-zärtlich um, den Applaus zu erblicken… wir müssen uns hier und heute Abend im äußersten Norden der Republik wahrlich nicht verstecken!!!
Überhaupt, immer diese Vergleiche… was ist, das ist, und was hier am Neujahrsabend ist, ist das, was uns alle gerade definiert und in hohe Höhen erhebt wird realiter, aber wir wollen ja nicht gleich Wittgenstein bemühen, nur bei dieser Definition der „Ode an die Freude“, ja, warum denn recht eigentlich nicht???
Sylvain Cambreling. Da kommt er mit grauem Zopf, wuchtig und mit schwarzseidenem Mao-Hemd, grätscht seine Beine auf den Pultboden, und dann gehts auch schon los, dass die Schwarte kracht. Nein wirklich, wie er da alle Sparten kontrolliert, bedient und beherrscht, und alles mit sekundenschnell-blätternder Hand, da kann schon Begeisterung aufkommen, und wer das nicht merkt, der begreift gar nichts mehr.
Es gilt jetzt schon, sich auf den 8. Januar 2024 auf seine Interpretation Rachmaninoffs im Großen Saal der Philharmonie zu freuen – aber wir sind ja noch hier und jetzt bei der Neunten!
Aber was notiere ich denn da? Hinweg- und hingerissen? Fast unbewusst? „Wem das große Glück gewonnen, eines Freundes Freund zu sein!“? -„Full Power Beethoven“! – „Die Solisten blicken vor ihrem Einsatz in den Himmel“ – naja, in die Blau-hellblau-golden-stuck-umzierte Glasdecke des alt-noch immer-jungen aus allen Nähten gesprengten Hauses, „seid umschlungen Mill-i-onen“…
Denn, ganz zuvörderst, die wundervoll zeitgemäß-anrührende Rede des Intendanten der Symphoniker Hamburg, des Professors Daniel Kühnel, des wünschenswert-wundervollen Inhalts: „Alle Menschen werden Brüder“.
Gibt das nicht Hoffnung?
Viermal, wir ALLE stehen, bitten wir die Solisten samt Dirigenten zurück.
„Wie gut, dass wir die ‘Ode an die Freude’ zur Europa-Hymne gemacht haben,“ höre ich im Hinausstreben an den dunkelbraun-überragend-holzgeschnitzten Türen, „die Melodie reißt einfach mit…“
Aber sowas von. Was für ein Beginn von 2024. Man „stimme seinen Jubel ein“!
Harald Nicolas Stazol, 2. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Neujahrskonzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle klassik-begeistert, 1. Januar 2024
Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll Konzerthaus Berlin, Sonntag, 31. Dezember 2023
Jonas Kaufmann hatte sich die Pleite in der Elbphilharmonie selbst zuzuschreiben, und dabei ging es nicht um sein stimmlichen Qualitäten. Er kam mit dem „Lied von der Erde“, dem angeheuerten Basler Sinfonieorchester und seinem Leib- und Magen-Dirigenten Jochen Rieder und stellte sich ganz vor an die Rampe neben den Dirigenten, das halbe Haus neben und hinter sich.
Zudem schaffte es der Dirigent nicht, das gewaltig besetzte Orchester so zu dämpfen, dass Kaufmann, der sowohl den Tenor (ist er ja auch) als auch den Baron (für den üblichen Mezzosopran) gab, nicht öfters zugedeckt wurde.
In den Liedpausen wurde deshalb aus den hinteren Reihen laut beklagt, dass man ihn nicht hören könne, und in einem Interview am Tag danach wütete er furchtbar und kam mit merkwürdigen Umbau-Vorschlägen (Holzverkleidung – etwa wie im Gasteig?! Drehbühne!).
Drei Wochen später das gleiche Programm, aber dargeboten von den Münchner Philharmonikern, die „Das Lied von der Erde“ unter Gustav Mahler himself uraufführten, und dem heute verfemten Dirigenten Valéry Gergiev, und es war Weltklasse, wobei Gergiev die Sänger (Frau Baumgartner, Herr Schager) hinter dem Orchester platzierte.
In der medialen Aufbereitung schrieb dann einer vom anderen ab, und sogar in der ehemals seriösen FAZ schrieb man: „In der Elbphilharmonie hört man nichts“. Na bitte!
Johannes Capriolo