Karina Canellakis lässt mit Beethovens Neunter Silvesterschauer über die Rücken rieseln

Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll  Konzerthaus Berlin, Sonntag, 31. Dezember 2023
Rundfunkchor Berlin, Foto © Marcel Köhler/Rundfunkchor Berlin


Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 9 d-moll für vier Solostimmen, gemischten Chor und Orchester op. 125 mit Schlusschor über Schillers Ode „An die Freude“

Karina Canellakis, musikalische Leitung

Siobhan Stagg, Sopran
Sophie Harmsen, Alt
Andrew Staples, Tenor
Michael Nagy, Bass

Rundfunkchor Berlin
Justus Barleben, Einstudierung
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzerthaus Berlin, Sonntag, 31. Dezember 2023

 von Sandra Grohmann

Was für ein Jahresabschluss: Dass mit Beethovens Neunter dem Elend der Welt die hoffnungsfrohe Botschaft der Freude entgegengesetzt würde, war zwar beim Kartenkauf klar. Aber dass das bedeutete, Satz für Satz zu erschauern und gelegentlich ein Tränchen zu verdrücken, damit hatte ich keineswegs gerechnet.

Schuld daran ist Karina Canellakis. Die Frau, die Beethovens Dynamik-Brüche – seine subiti piani und seine Paukenschläge – ebenso ausdirigiert wie die Synkopen, die Generalpausen und die vielschichtigen Stimmgewebe, lässt nicht nur die Musiker, sondern auch das Publikum die Luft anhalten.

Canellakis führt das Rundfunk-Sinfonieorchester souverän und leidenschaftlich durch die vier Sätze und lässt den Chor, der auf der Empore unter der Orgel steht, durch den Saal des Berliner Konzerthauses strahlen. Der Chor ist an diesem Nachmittag kein anderer als der anbetungswürdige Rundfunkchor Berlin, dessen fantastische Mitglieder auswendig und wie mit einer einzigen Stimme die Hymne aller Hymnen zelebrieren.

Karina Canellakis © Mathias Bothor

Im Orchester derweil gute Laune. Die Proben müssen lebendig und befruchtend gewesen sein – denn das ausgeprägte Lächeln, das immer wieder einmal über die sonst konzentrierten Gesichter der Musiker huscht, kann keinen offensichtlichen Anlass für sich reklamieren. Es müssen reichlich „Insider“ unterwegs sein, die sich da Geltung verschaffen.

Die eigentliche Ode eröffnet Michael Nagy mit seinem in alle Winkel des Hauses tragenden glitzenden und zugleich vollen Bass. Er ist allerdings der einzige der vier Solisten, dem die grässliche Platzierung hinter dem Orchester, unter der Empore – die einzig wirklich kritikwürdige Entscheidung zu diesem Jahrsabschieds-Konzert – dem also dieses Versteck gar nichts auszumachen scheint. Warum die Solisten nicht beim Chor an der Orgel stehen – wie es doch wohl der Tradition entsprochen hätte –, ist ein Rätsel.

Die wunderbaren Stimmen von Andrew Staples, Sophie Harmsen und der für Louise Alder dankenswerterweise kurzfristig eingesprungen Siobhan Stagg (die mir und meiner Begleitung noch aus ihrer künstlerischen Jugend an der Deutschen Oper Berlin in bester Erinnerung ist und der Christa Ludwig einmal in einer Meisterklasse sagte, sie könne ihr nichts mehr beibringen) – diese drei müssen aus der etwas unwürdigen Hinterbänkler-Position heraus stimmlich erst einmal ein wenig emporklettern, um sich angemessen Geltung zu verschaffen. Aber auch dies gelingt schließlich und verhilft dem Abend zu einer insgesamt sehr beeindruckenden musikalischen Klasse.

Jubel und Begeisterung! Bevor ich klatschen kann, muss ich mir allerdings erstmal die Augen trocknen. Sehr angemessen ist das, wie ich finde, für diesen Jahreswechsel 2023/24.

Zum Jahresanfang 2024 wünsche ich allen Musikliebenden viele tröstende, erhebende, lustige, aufwühlende Hörerlebnisse. Möge, wider alles Schlimme in der Welt, Freude funken.

Sandra Grohmann, 31. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Neujahrskonzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle klassik-begeistert, 1. Januar 2024

Neujahrskonzert der Wiener Symphoniker und der Wiener Singakademie, Beethoven 9 Wiener Konzerthaus, 1. Januar / Jänner 2024

NDR Elbphilharmonie Orchester Karina Canellakis, Lars Vogt, Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff Elbphilharmonie Hamburg , Großer Saal, 12. Januar 2020

Ein Gedanke zu „Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll
Konzerthaus Berlin, Sonntag, 31. Dezember 2023“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert