Die Magie im Staatsopern-Lohengrin kommt aus dem Graben

Richard Wagner, Lohengrin  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 21. April 2024

Alexander Soddy © Wiener Staatsoper

Lohengrin
ROMANTISCHE OPER IN DREI AUFZÜGEN (1850)
Musik und Text von Richard Wagner

Musikalische Leitung:  Alexander Soddy
Inszenierung:  Calixto Bieito
Bühnenbild:  Rebecca Ringst
Kostüme:  Ingo Krügler
Video:  Sarah Derendinger

Einstudierung Chor:  Dani Juris

Staatskapelle Berlin

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 21.April 2024

von Kirsten Liese

Als Tristan und  Isolde waren Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund vor wenigen Monaten ein Traumpaar in Dresden. Und wie machen  sich die beiden aktuell im Lohengrin an der Berliner Staatsoper?

Vogt hat sich die ätherische Schönheit seines Tenors, die ihn speziell für diese Partie prädestiniert, weitgehend bewahren können, wenn er im Spitzenregister singt, entströmen seiner Kehle luzide, himmlische Kopfklänge, insbesondere die ganz aus dem Nichts einsetzende Gralserzählung ist ein Gedicht, das macht ihm aktuell niemand nach.

Ein bisschen aufpassen muss er trotzdem, in der Mittellage tönt sein Tenor stellenweise  belegt. Nicht schlimm, aber ein kleiner Warnschuss, sich künftig nicht mit zu gewaltigen Partien zu verschleißen.

Anders verhält es sich bei Camilla Nylund: Sie konnte mich als Isolde und Kaiserin in Thielemanns Dresdner epochaler Frau ohne Schatten  weitaus stärker überzeugen. Allerdings entbehrte ihr Sopran schon in früheren Jahren, vor ihren Expansionen ins hochdramatische Fach,  einer lyrischen, engelsgleichen  Strahlkraft, wie sie der Kehle einer Janowitz und Elisabeth Grümmer  entströmten  oder – um auch eine Sängerin der Gegenwart anzuführen – Elsa Dreisig.

Lohengrin Berlin © Monika Rittershaus

Mit kristallinen Kopftönen kann Nylund nicht aufwarten, im Piano singt die Finnin mit engem Vibrato  in der Höhe. Aber ich gebe zu, meine Ansprüche sind sehr hoch. Einige Spitzentöne im Forte gelingen ihr fulminant, in der Mittellage bewältigt sie ihren Part souverän, alles in allem erscheint ihre Elsa durchaus passabel.

Die Ortrud von Marina Prudenskaya gefällt mir allerdings besser. Groß und schlank tönt ihr Mezzo, ihr Aufritt als dämonische Intrigantin wühlt auf. Günther Groissböck als ein profunder König Heinrich und Wolfgang Koch als Telramund – im ersten Akt sehr präsent, im weiteren Verlauf aber in der Höhe nicht mehr allzu geschmeidig –  komplettieren die Protagonisten in dem soliden Ensemble.

Die Sensation dieser Aufführung aber ist der Dirigent Alexander Soddy, den ich unbedingt erleben wollte, nachdem ihn mir ein Wiener Connaisseur ausdrücklich empfohlen hatte. Der Brite kann mit Qualitäten mithalten, die den König unter den Wagnerdirigenten auszeichnen – Christian Thielemann.

Lohengrin Berlin © Monika Rittershaus

Das war schon in den ersten Takten im zartschimmernden Vorspiel zu erleben, himmlisch leise, schwerelos und silbern, wie man es kaum schöner dirigieren kann. Auf den großen Rausch versteht sich der Brite nicht minder prächtig, sei es im Vorspiel zum dritten Akt oder in den großen Szenen des von Danil Juris trefflich einstudierten Opernchors, wobei Soddy souverän die Herausforderung meistert, Bläsersolisten hinter der Bühne und in den Proszeniumslogen mit dem großen Apparat von Chor und Orchester präzise zusammenzubringen. Die starken räumlichen Effekte lohnen diesen Kraftakt.

Auch der Farbenreichtum der Musik kommt an diesem Abend zu seinem Recht, die Streicher der Berliner Staatskapelle musizieren in den lyrischen Stellen wunderbar filigran – dunkel und markig  im Forte, und zwischendrin haben immer wieder die Holzbläser, allen voran, Klarinette und Oboe, wunderbare zärtliche Auftritte, dies auch dank gemessener, nie zu schneller Tempi.

Nicht zuletzt auch dank des sängerfreundlichen Dirigats könnte man Soddys Stil durchaus „thielemannesk“ bezeichnen. Mehr Lob geht nicht für einen 41-Jährigen, der sich seine ersten Sporen als Generalmusikdirektor im Nationaltheater Mannheim verdiente. Und den ich als Gast gerne weiter an der Lindenoper erleben möchte.

Das kann ich über Calixto Bieito, den Regisseur dieser Produktion, nicht behaupten. Da schon in drei anderen Rezensionen auf seine Inszenierung ausführlich eingegangen wurde, will ich darüber nicht mehr viel sagen, nur soviel: Sie strahlt zwischen Baustelle, hölzernen Klappstühlen und einem wie verloren wirkenden Sofa auf Rebecca Ringst’ trister Bühne zuzüglich allerhand abstrusem Video-Brainstorming große Hässlichkeit aus. Und bietet gegenüber einer konzertanten Aufführung keinen Mehrwert, stört vielmehr nur. Vor allem, liebe Theaterleute: Bitte blendet Euer Publikum nicht mit grellem Scheinwerferlicht! Über Ästhetik lässt sich noch streiten, darüber eigentlich nicht.

Nahezu jeder in meiner Reihe im ersten Rang schützte sich dagegen spontan mit erhobener Hand. Wenn man so stark geblendet wird, sieht man sowieso nichts mehr, das ist wie beim Fernlicht auf der Autobahn.

Dass Christian Thielemann Lust haben wird, diese Produktion zu dirigieren, wenn er als Generalmusikdirektor an der Lindenoper angekommen sein wird, kann ich mir schwer vorstellen, auch wenn ich konzedieren muss, dass der Salzburger Osterfestspiel-Lohengrin, demnächst noch einmal unter Thielemann in Wien zu erleben, seitens der Szene von Jossi Wieler auch nicht glücklich machte. Jedenfalls würde ich mir wünschen, dass Thielemann in Berlin über kurz oder lang noch einen besseren Regisseur für einen neuen Lohengrin finden möge.

Kirsten Liese, 21. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Heinrich, der Vogler: Günther Groissböck
Lohengrin: Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant: Camilla Nylund
Friedrich von Telramund: Wolfgang Koch
Ortrud: Marina Prudenskaya
Der Heerrufer: Adam Kutny

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Ein Gedanke zu „Richard Wagner, Lohengrin
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 21. April 2024“

  1. Was immer hier über Vogt gedichtet wird, es bleibt eine Tatsache, dass diese Stimme kein Fleisch hat, nicht im Körper verankert ist und nicht richtig in der Maske sitzt. Der ‚italienische‘ Lohengrin erfordert eben auch attacca und gelegentlich Spinto-Qualitäten. Immer wieder höre man Sándor Kónya in
    dieser Rolle. Er bleibt unerreicht und hat all das, was Vogt fehlt. Ich gäbe für Vogts Lohengrin kein Geld mehr aus.

    Franco Bastiano, Paris V ième

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