Beethovens einzige Oper erntet ein einhelliges Buhkonzert von zuletzt selten gehörter Heftigkeit für das Regieteam

Ludwig van Beethoven, FIDELIO (Urfassung), PREMIERE,  Wiener Staatsoper, 1. Februar 2020

Foto: Katrin Röver als Leonore – die Schauspielerin, Jennifer Davis als Leonore, Falk Struckmann als Rocco © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Wiener Staatsoper, 1. Februar 2020
Ludwig van Beethoven, FIDELIO (Urfassung), PREMIERE 

von Heinrich Schramm-Schiessl (onlinemerker.com)

„Fidelio“ gilt als das „Schmerzenswerk“ von Beethoven. Lange hat er darum gerungen, bis ihm eine erfolgreiche Version gelungen ist. Die erste Version hatte im Jahr 1805 ihre Uraufführung und war ein Misserfolg. Bereits 1806 legte er eine neue Fassung, diesmal unter dem Titel „Leonore“, vor …. und auch diese brachte nicht den gewünschten Erfolg. Erst 1814 wurde jene Fassung erstmals aufgeführt, die schließlich zu einem Standardwerk in den Spielplänen aller Opernhäuser wurde.

Aus Anlass des Beethoven-Jahres hat man sich in der Wiener Staatsoper nun entschlossen, die Urfassung von 1805 der im Repertoire befindlichen Fassung von 1814 gegenüber zu stellen.

Worin unterscheiden sich die beiden Werke: Zunächst in formaler Hinsicht, denn die Urfassung ist in drei Akte gegliedert, während die Fassung von 1814 nur zwei Akte umfasst. Der 1. Akt der Urfassung beinhaltet die sogenannten „häuslichen“ Szenen, also das Verhältnis zwischen Leonore, Marzelline, Jaquino und Rocco. Der 2. Akt beginnt mit dem Auftritt Pizarros, während der 3. Akt dem 2. Akt der Endfassung entspricht. Dramaturgisch ist die Urfassung weiter gefasst und beleuchtet auch die menschlichen Komponenten zwischen Leonore, Marzelline und Jaquino. So gibt es im 1. Akt ein zusätzliches Terzett zwischen Marzelline, Jaquino und Rocco und im 2. Akt vor der großen Arie der Leonore ein Duett zwischen Leonore und Marzelline. Demgegenüber ist in der Letztfassung der Fokus mehr auf die politischen Abläufe, also den Machtmissbrauch des Pizarro fokussiert. Diese dramaturgische Straffung ist sicher einer der Hauptgründe für deren Erfolg.

Auch musikalisch ist einiges anders. So ist z.B. der Marsch beim Auftritt des Pizarro in der Urfassung martialischer und die Arie der Leonore weniger dramatisch. Besonders auffällig ist auch die Gestaltung der Finalis. Verklingt in der Endfassung die Szene im Gefängnishof leise, so endet sie in der Urfassung mit einer Art Cabaletta mit Chor des Pizarro. Komplett anders ist in der Urfassung das Finale der Oper. Das wesentlich weiter ausladende Duett zwischen Leonore und Florestan („Namenlose Freude“) geht nahtlos in den Auftritt des Ministers über, wobei es den „Heil sei dem  Tag“-Chor noch nicht gibt. Vom Klang her wird man in der Urfassung besonders in manchen Gesangsnummern zeitweise noch an Haydn erinnert, während die Fassung von 1814 wesentlich dramatischer und komprimierter klingt.

Bevor ich mich nun der aktuellen Produktion zuwende, erachte ich es für notwendig dieses Unternehmen kritisch zu hinterfragen. Es ist durchaus lobenswert, wenn man anlässlich eines Beethoven-Jahres diese Urfassung wieder zur Diskussion stellt. Das hätte meines Erachtens durchaus in einer Serie von konzertanten oder – wie es derzeit durchaus üblich ist – halbszenischen Aufführungen geschehen können. Wenn das aber manchen zu wenig ist, so hätte man durchaus überlegen können, weitgehend die Dekorationen der im Repertoire befindlichen Produktion zu verwenden. Notwendige Adaptierungen, speziell für das Finale, wären allemal kostengünstiger als eine komplette Neuinszenierung gewesen. Diese Neuinszenierung hat nämlich keinerlei Nachhaltigkeit und wird vermutlich nach diesen fünf Aufführungen für immer im Fundus verschwinden.

Der Umstand, dass diese szenische Neuproduktion völlig unnötig war, wurde dann auch durch die Inszenierung unterstrichen. Man hat dieser Premiere ja schon mit einem gewissen Unbehagen entgegen gesehen. Einerseits durch den Umstand, dass die RegisseurinAmélieNiermeyerin dieser Saison in Wien bereits zwei Produktionen in den Sand gesetzt hat, nämlich die Wellness/Badezimmer-„Rusalka“ im Theater an der Wien und den schrecklichen „Kirschgarten“ in der Josefstadt und andererseits durch die Informationen, die man im Vorfeld hören und lesen konnte. Frau Niermeyer hat natürlich ganz tief in die Mottenkiste des Regietheaters gegriffen, wie die szenische Ausdeutung eines Teiles der Ouvertüre oder die Verdoppelung der Figur der Leonore sowie die Verlegung der Handlung in unsere Zeit oder, wie es kryptisch im Programmheft heißt, in eine „unmittelbare mögliche Zukunft“.

Die Szene während der Ouvertüre zeigt offensichtlich den Ausgangspunkt der Handlung: Während sich Florestan und Leonore in einem mittelklassigem Hotelzimmer vergnügen wollen, wird er, offensichtlich von Anhängern des Pizarro, entführt und sie im Hotelzimmer eingesperrt. In ihrer Ausweglosigkeit begibt sie sich in einen Dialog mit sich selbst. Sie spaltet sich praktisch in zwei Persönlichkeiten, wobei sich das eine Ich überlegt, wie sie ihren Mann befreien könnte, während das andere Ich – eben die zweite Leonore – die Überlegungen des ersten Ich kritisch hinterfragt und deren Sinnhaftigkeit bezweifelt. Das ganze mag theatralisch nicht uninteressant sein, aber mit Beethovens „Fidelio“ hat es absolut nichts zu tun. Völlig daneben gegangen ist das Finale, mit dem die Regisseurin die letzten Symphatien des Publikums, so es zu dieser Zeit überhaupt noch welche gegeben hat, verspielt hat. Leonore wird von Pizarro erstochen und sieht in ihrer Todesvision der Befreiung ihres Gatten und der anderen Gefangenen durch den Minister. Dabei sind der gesamte Chor und alle Protagonisten mit Ausnahme Pizarros, der zweiten Leonore und Florestans, in glitzernde Kostüme gehüllt, wie man sie von Karnevalsumzügen her kennt. Dazu gibt es noch andere Merkwürdigkeiten, wie z.B. dass ständig irgend welche Leute auf der Bühne herumrennen oder dass die zweite Leonore zur „Namenlosen Freude“ discoartige Tänze vollführt. Bei letzteren vermute ich ja schwer, dass sich Frau Niermeyer über die Musik lustig macht.

Zusätzlich hakt es auch in der praktischen Umsetzung, denn man hat nicht die originalen Dialoge verwendet sondern – ergänzt um die Einwürfe der zweiten Leonore – eine völlig neue Textfassung durch Moritz Rinke geschaffen. Ich weiß natürlich, dass vielen die Originaldialoge nicht mehr zeitgemäß erscheinen, glaube aber, dass sie, wenn man sie entsprechend sinnvoll kürzt, durchaus zu ertragen sind. Sie nehmen nämlich immer Bezug auf die jeweils folgende Musiknummer, ja sind meist sogar der Auslöser derselben. Das fehlt in der neuen Textfassung, sodass manche Nummern, wie z.B. Roccos Goldarie oder das Terzett im Kerker praktisch in der Luft hängen.

Natürlich gibt es – wie im Regietheater meist üblich – ein Einheitsbühnenbild (AlexanderMüller-Elmau). Es stellt eine stillgelegte Bahnhofshalle dar. Man erfährt im Zuge der Dialoge, dass dies der Fall ist, weil die Gefängnisse überfüllt sind. Man kann das jetzt dahingehend interpretieren, dass man kritisch feststellt, dass der Staat zu viele Menschen einsperrt oder es als Reminiszenz an die Flüchtlingskrise 2015 nimmt, wo aufgelassene Gebäude als Notunterkünfte verwendet wurden. Dass die Kostüme (Annelies Vanlaere) Alltagskleider waren, braucht man nicht gesondert erwähnen, wobei der Anzug des Pizarro – Achtung Holzhammer – rot war, damit man ja erkennt, wer der Böse ist.

Eine wirkliche Personen- und Chorführung fand natürlich nicht statt.

Wenden wir uns nun der musikalischen Seite zu, die etwas erfreulicher war. Im Grunde waren die Sängerleistungen mit einer Ausnahme zufriedenstellend. Jennifer Davis sang eine mehr als achtbare Leonore. Die hier vorhandenen Koloraturen in ihrer großen Arie sang sie durchaus gekonnt. Allerdings gelangte sie in den – gegenüber der Endfassung – geringeren dramatischen Stellen doch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Darstellerisch blieb sie eher blass. Ihr „Alter ego“ wurde von Katrin Röver ordentlich gesprochen und eher unauffällig gestaltet. Benjamin Bruns sang den Florestan mit schöner Stimme, wobei ihm zu Gute kam, dass seine Arie hier keinen zweiten Teil hat, der meist vielen Tenören zum Verhängnis wird. Falk Struckmann– schon seit längerer Zeit im Bass-Fach – bot als Rocco ebenfalls eine gute Leistung, auch wenn es manchmal in der Tiefe nicht ganz reichte. Chen Reiss, war nach Anfangsschwierigkeiten – ihre Arie ist hier die Eröffnungsnummer – ebenfalls sowohl stimmlich als auch darstellerisch rollendeckend. Ähnliches gilt für JörgSchneider als Jacquino. Samuel Hasselhorn war ein unauffälliger Minister. Die einzige unerfreuliche Gesangsleistung des Abends bot Thomas Johannes Mayer als Pizarro. Er sang mehr oder weniger in der gleichen Lautstärke und die Stimme klang ungemein stumpf und rau. Darstellerisch blieb er völlig farblos.

Der Chor (Einstudierung: Thomas Lang) sang sehr gut.

Nicht sehr erfreulich war es leider auch um den Orchesterpart bestellt. Tomás Netopil schlug einen recht rauen Orchesterklang an und war stellenweise sehr laut. Der große Bogen fehlte natürlich und viele Feinheiten der Partitur gingen verloren.

Am Ende gab es verhaltenen Jubel für die Sänger und den Dirigenten und ein verdientes einhelliges Buhkonzert von zuletzt selten gehörter Heftigkeit für das Regieteam.

Zum Schluss sei mir noch eine Bemerkung zum Programmheft erlaubt. Wie schon im Theater an der Wien bei „Halka“ steht auch hier bei der Inhaltsangabe nicht die Handlung laut Libretto sondern das, was dem Regisseur/der Regisseurin dazu eingefallen ist.

 Heinrich Schramm-Schiessl, 2. Februar 2020 

 

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