Foto: M. Pöhn (c)
Ludwig van Beethoven, Fidelio
Wiener Staatsoper, 24. Mai 2017
von Mirjana Plath
Lohnt es sich, für seine Freiheit zu kämpfen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Ludwig van Beethoven, als er vom Geist der Aufklärung erfüllt seine einzige Oper „Fidelio“ schrieb. An der Wiener Staatsoper läuft sein Werk noch heute in Otto Schenks Inszenierung von 1970. Fast 50 Jahre später hat seine Bühnensprache nichts eingebüßt. Er schildert eindrücklich, wie die Protagonisten der Oper unter einer brutalen Willkürherrschaft leiden und sich nach Gerechtigkeit sehnen.
Der Dirigent Cornelius Meister eröffnet den „Fidelio“ mit einem kontrastreichen Spiel. Lebhaft dirigiert er den ersten Einsatz des vollen Orchesters. Nur einen kurzen Moment später nimmt er die Lautstärke komplett zurück und lässt die Hörner und Klarinetten ihr getragenes Motiv in den Saal schicken. Später leiten die Oboen ein reizvolles Zwiegespräch mit den Flöten, Klarinetten und Fagotten ein. Einen imposanten Schlussstrich setzen die Streicher, die die Ouvertüre schwungvoll ins Ziel treiben.
Die düstere Gefängniswelt, in der sich die Oper abspielt, stellt das Bühnenbild eindrucksvoll dar. Dunkelgraue, kahle Wände ragen hoch empor. Sie bilden die Kulisse für Jaquinos Annäherungsversuche an Marzelline, der Tochter des Kerkermeisters. Jörg Schneider mimt den unglücklich Verliebten schön komisch. Seine plakative Gestik und Mimik zeigen anschaulich, wie er sich verzweifelt um Marzelline bemüht. Zu seinem Unglück hängt ihr Herz an Fidelio, wie die Sopranistin Chen Reiss in der Soloarie „O wär ich schon mit dir vereint“ bekennt. Sie kostet die Tonsprünge in ihrer Arie genüsslich aus. Ihre Stimme streichelt die Melodie, und die Töne fließen perlend leicht und klar aus ihrer Kehle.
Überragend präsentiert sich Günther Groissböck als Kerkermeister Rocco. Seine voluminöse Bassstimme erfüllt den ganzen Raum. Vor allem in den langsamen Passagen seiner Arie „Hat man nicht auch Gold beineben“ kommt sein voller, tiefer Klang zur Geltung. Er singt deutliche Ritardandi an den Phrasenenden und beschleunigt augenblicklich wieder zu seinem ursprünglichen Tempo in den darauffolgenden Einsätzen.
Seine väterliche Stimme schafft einen schönen Kontrapunkt zu den beiden Frauenstimmen von Marzelline und Fidelio im Terzett „Gut, Söhnchen, gut“. Camilla Nylund verkörpert die Titelrolle der Leonore, die sich als Fidelio verkleidet in das Gefängnis einschleust, um ihren Ehemann zu befreien. Besonders auf den langen Noten beweist sie ihre starke Stimme. Auch in den folgenden Nummern brilliert sie vor allem in den langsamen Phrasen und leisen Tönen. Sie singt wunderbar weich über die Hoffnung, die ihr düsteres Leid erhellt.
Wie einschüchternd und boshaft erscheint im Gegensatz dazu Albert Dohmen als Gouverneur Don Pizarro! Im Gleichschritt marschieren seine Soldaten auf, bis er in seinem schwarzen, langen Mantel die Bühne betritt. Grollend beschreibt er seine Rachegedanken, den gefangenen Florestan zu ermorden. Das Orchester tobt dabei aber so gewaltig, dass es stellenweise die Stimme von Dohmen übertönt.
Otto Schenk erschafft in seiner Inszenierung ein bewegendes Finale des ersten Aktes. Die Gefangenen dürfen für eine kurze Zeit ihre düsteren Zellen verlassen. Zögerlich schleichen sie ins helle Bühnenlicht und atmen ehrfürchtig die frische Luft ein. Die Geigen streichen zarte, hohe Töne im Piano und untermalen anschaulich den so vergänglichen Moment der Freiheit. Denn schon wachen die Soldaten über den Köpfen der Männer. Als zweiter Gefangener warnt Johannes Gisser vor dieser immerwährenden Überwachung. Schade, dass er nur einen so kurzen Auftritt hat. Mit seiner durchdringenden Stimme drückt er treffend die Angst vor bösen Mächten aus.
In der Introduktion zum zweiten Akt reißt Cornelius Meister die Zuhörer mit. Er führt das Orchester zu tosenden Höhepunkten und gefühlvollen, lyrischen Passagen. Er lädt die Musik mit Spannung auf und bereitet den ersten großen Auftritt von Florestan vor, der im tiefsten Verlies in Gefangenschaft darbt. Peter Seiffert füllt vom ersten Moment an voluminös seine Rolle aus. Lang und kraftvoll hält er den legendären, ersten Ausruf „Gott“ aus. Er nuanciert die Dynamik in der folgenden Melodie sehr fein. Mit seiner wendigen Stimme schmiegt er sich an die schönen Vorhalte von Beethovens Musik an und empfindet alle Melodiebiegungen nach. Sein Gesang lässt sich mit dem veralteten Wort „frohlocken“ noch am besten beschreiben: Wenn er von seiner geliebten Leonore träumt, singt er nicht mehr. Dann frohlockt er.
Am dramatischen Höhepunkt der Oper treffen Fidelio, Florestan, Rocco und Don Pizarro im Quartett „Er sterbe“ aufeinander. Albert Dohmen stößt seine Töne so brutal und tyrannisch an, dass er die Mordlust von Don Pizarro deutlich hörbar macht. Eine wahre Heldenleistung vollbringt Camilla Nylund. Sie gibt sich als Leonore zu erkennen und wirft sich todesmutig vor ihren bedrohten Ehemann. Ihre Stimme unterbricht auf dem hohen gis2 den spannungsgeladenen Moment und durchdringt jeden Millimeter des Saales. Die Zeit scheint still zu stehen.
Die Ankunft von Don Fernando erlöst die Figuren aus ihrer bedrohlichen Lage. Boaz Daniel erscheint ehrenvoll als Minister, der von seinem langen Umhang imposant umwallt wird. Er bestraft den bösen Pizarro und ehrt die heroische Leonore, die Florestan gerettet hat.
Das helle Licht auf der Bühne führt die Befreiung aus dem dunklen Kerker deutlich vor Augen. Das abschließende Finale zeigt auch in der Musik den Gang von der Dunkelheit in eine leuchtende Erlösung. Kraftvoll singt der Chor, in dem sich die Frauen- und Männerstimmen strahlend abwechseln und ergänzen. Der Dirigent triumphiert mit der Musik und feuert das Orchester zu einem überwältigenden Endspurt an. Laut und spektakulär setzt er ein großes Ausrufezeichen hinter den Abend in der Wiener Staatsoper. Die Musik schreit es heraus: Ja, es lohnt sich, für seine Freiheit zu kämpfen!
Mirjana Plath, 25. Mai 2017 für
klassik-begeistert.at