Lukáš Vondráček Klavier
Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 24. November 2017
Vítezslav Novák, Vzpomínky «Erinnerungen» op. 6 (1894)
Johannes Brahms, Sonate Nr. 1 C-Dur op. 1 (1852-1853)
Johannes Brahms, Sonate Nr. 3 f-moll op. 5 (1853)
Von Bianca Schumann
Welch ein bedauerlicher Zufall, dass der Pianist Lukáš Vondráček am Freitagabend ausgerechnet mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Daniel Barenboim und der Mitwirkung von Martha Argerich um die Gunst des Wiener Konzertpublikums ringen musste. Allein dieser starken Konkurrenz im Wiener Musikverein ist es zuzuschreiben, dass der Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses noch zahlreiche freie Plätze aufwies, als Vondráček die Bühne betrat. Dass die Vorführung des Tschechen indes einen prall gefüllten Saal verdient hätte, steht für all jene Hörer völlig außer Zweifel, die den Darbietungen des 31 Jahre alten Pianisten lauschen durften.
Der Abend begann musikalisch in Tschechien, dem Heimatland Vondráčeks. Mit dem dreiteiligen op. 6 aus der Feder von Vítězslav Novák wurden dem Publikum drei „Erinnerungen“ serviert, welche die Titel „Triste“, „Inquieto“ und „Amoroso“ tragen.
Mit matten Akkordklängen hebt das erste Stück an. Es folgt eine solistische Melodie, die einer alten Volksweise anmutet. Ganz schlicht kommt sie daher, melancholisch in ihrem Ausdruck, wie es die Überschrift erwarten lässt. Vondráček gelingt es, den bescheidenden musikalischen Gedanken in seinen Fortspinnungen wohl durchdacht zu entfalten.
Das zweite Stück wirft den Hörer in einen völlig anderen Farbtopf. Es mutet impressionistisch an. Die Musik flimmert. Sie dreht und wendet sich, kommt aber letztlich nicht vom Fleck. Interessant ist es, in die Klangwelten des seinerzeit in Tschechien hoch geschätzten ehemaligen Schülers von Antonín Dvořák einzutauchen, doch vermisst das auf Claude Debussy und Maurice Ravel getrimmte Ohr die zarten Pianissimowolken, die es gewohnt ist zu vernehmen, sobald sich ihm impressionistische Klänge auch nur annähern.
Das „Amoroso“ will viel, erreicht in seiner Wirkung nur wenig. Zu dick aufgetragen erscheinen die sich hastig aufschaukelnden Ausbrüche der komponierten Leidenschaft, zu gewollt wirkt dieses in seiner formalen Anlage schlicht und unspektakulär ausgerichtete Stück. Vondráček stellt sich nichtsdestotrotz ganz in den Dienst der Musik seines Landsmanns. Fast möchte man annehmen, er wolle sich in sein Instrument verkriechen, so nahe kommt er während des Spiels der Klaviatur mit seinem Gesicht.
1853 wagte sich der erst 20 Jahre junge Johannes Brahms mit der Publikation seines ersten Opus‘, der viersätzigen Klaviersonate in C-Dur, kompositorisch in die Öffentlichkeit. Es ist erstaunlich, wie es ihm gelang, bereits diesem Frühwerk, trotz der hörbaren Auseinandersetzungen mit Beethoven –namentlich mit dessen Hammerklavier- und Waldsteinsonate –, einen deutlich persönlichen Stempel aufzudrücken: Die thematische Adaptierung des Volkslieds „Verstohlen geht der Mond auf“, mit dem der zweite Satz anhebt, teilt Brahms in einen solistischen „Vorsänger“ und einen respondierenden „Chor“ auf. Diesem Beginn folgen drei Variationen über das rheinische Volkslied. Sie münden in eine epilogische Wiederaufnahme des Themas, das über einem Orgelpunkt auf c anhebt und den Satz sanft ausklingen lässt. Bereits hier, in seinem ersten Opus, legt Brahms die Weichen für seine spätere Behandlung der Form langsamer Sätze.
Dass Brahms ein Genie war, das seinerzeit starkem Gegenwind seitens der „Neudeutschen“ ausgesetzt war, ist aber mittlerweile eh allgemein anerkannt. Werfen wir lieber einen Blick auf die Frage, wie Vondráček die im wahrsten Sinne des Wortes sportliche Herausforderung, zwei Brahms-Sonaten an einem Abend über die Bühne bringen zu wollen, begegnete.
Schnell kommt man bei dem Versuch, der Leistung Vondráček mit Worten gerecht werden zu wollen, in Verlegenheit. Der Ton des renommierten Pianisten ist von solch einer Tiefe und inneren Spannkraft gekennzeichnet, die die majestätisch, teils vor Kraft strotzenden Themen Brahms’ wie für Vondráček auf den Leib geschneidert erscheinen lassen.
Der Preisträger des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs Brüssel 2016 beherrscht sein Instrument mit vollkommener Perfektion. Wer nun an typisch virtuose Darbietungen denkt, die zumeist mit pianistischen Eskapaden in stärkster Dynamik beeindrucken wollen (die man des Öfteren geneigt ist, aus dem Konzertsaal zu verbannen und stattdessen ins Zirkuszelt zu versetzen), sei daran erinnert, dass das Programm, das Vondráček auswählte, weit mehr als dies verlangte. Es standen keine Etüden von Franz Liszt, keine für Klavier transkribierten Capricen von Niccolò Paganini auf dem Programm, sondern der gebürtige Hamburger Johannes Brahms!
Wer es schafft, Brahms zum Leben zu erwecken, wer es schafft, mit Brahms zu begeistern, braucht mehr als schnelle Finger und große Gesten – er braucht musikalischen Sachverstand, musikalische Reife. Dass Vondráček genau dies besitzt, demonstrierte der in frühen Jahren als „Wunderkind“ bezeichnete Pianist restlos und löste ebenso mit der zweiten Sonate einen wahren Sturm der Begeisterung aus.
Ein erbauliches, erhebendes Konzerterlebnis schenkte Lukáš Vondráček seiner Zuhörerschaft. Für seinen nächsten Auftritt in Wien sei ihm ein übervoller Saal gewünscht.
Bianca Schumann, 25. November 2017, für
klassik-begeistert.at