Foto: Johanna Wokalek © Stefan Kluter
Arthur Honegger Jeanne d’Arc au bûcher
»Johanna auf dem Scheiterhaufen« / Dramatisches Oratorium
auf einen Text von Paul Claudel
Elbphilharmonie, Hamburg, 23. November 2017
von Leon Battran
Einen so großen Stab von Ausführenden gibt es auch in der Elbphilharmonie nicht alle Tage. Jeanne d’Arc verlangt einen gewaltigen Orchesterapparat. In Gestalt eines dramatischen Oratoriums zeichnen Arthur Honegger und sein Librettist Paul Claudel das Schicksal der französischen Nationalheiligen nach.
Im ersten Rang haben die Chöre des NDR und WDR Aufstellung bezogen. Unterstützt werden sie an einigen Passagen von den jungen Stimmen des Knabenchors Dortmund. Weitere sechs solistische Gesangspartien, sowie sieben Sprechrollen komplettieren die lange und prominente Besetzungsliste.
Offenbar hat man sich bei der Auswahl der Sprecher etwas gedacht: Dominique Horwitz verkörpert seinen Namensvetter Bruder Dominik, und Johanna Wokalek spielt die heilige Johanna: Jeanne d’Arc. Wie im Til-Schweiger-Film von 2005 steht die 42-Jährige auch heute wieder barfuß im Rampenlicht.
Nur wenige Meter von der Schauspielerin entfernt verrichtet ihr Ehemann Thomas Hengelbrock als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters sein Werk. Ihm fällt die herausfordernde Aufgabe zu, das opulente Künstlergespann aus Orchestermusikern, Choristen und Solisten zusammenzuhalten.
Neben Streichern, Pauken und Trompeten schließt das Orchester an diesem Abend auch diverse Tasteninstrumente ein. Zwei Konzertflügel und eine Celesta stehen mit auf der Bühne, bei den Ondes Martenot handelt es sich um ein elektronisches Tasteninstrument („Martenot-Wellen“), das zu Honeggers Zeit erfunden wurde.
Honeggers dramatisches Oratorium geht über das normale Konzerterlebnis hinaus. Die Verbindung von Schauspiel und Musik rückt das Erleben Jeanne d‘Arcs in den Mittelpunkt und lässt den Zuhörer an ihrem Denken und Fühlen teilhaben. In erster Linie erlebt man Theater auf der Bühne, das dramatische Geschehen scheint das musikalische zu überwiegen und zu regieren.
Auch ist es die Handlung, die für den Zusammenhang sorgt. Musik wird als wirkungsmächtiges Mittel benutzt, das Stimmungen beschreibt, Effekte hascht und das Geschehen wie eine Erzählinstanz kommentiert. Wandlungsfreudig wie ein Chamäleon nimmt die Musik die verschiedensten Klangfarben und stilistischen Schattierungen an, überhaupt erscheint sie wie ein Abriss aus einem ganzen Jahrtausend Musikgeschichte.
Düster und diffus, von Spannung und Unheil erfüllt, ist die Stimmung zu Beginn des Werkes. Plötzlich geht ein Brausen durch das Orchester. Schamlos überzogene Bauernmusik begleitet die Verhandlung, in der über Jeanne gerichtet werden soll. Barocke Tafelmusik untermalt das Kartenspiel der Mächtigen. Gregorianischer Choral und Liturgie-Singsang klingen an, ebenso die Einfachheit und das ungebrochene Idyll des Volksliedes. Musik wird zu Satire.
Man kann Anstoß nehmen an derartigem Eklektizismus. Wenngleich die einzelnen Szenen stark und effektvoll zur Geltung gelangen und die Kombination der musikalischen und der dramatisch-rhetorischen Mittel beeindruckt – vollends ästhetisch einzunehmen vermag einen dieser Wust dann doch nicht. Gerade wer um der Musik und des Hörens willen in den Großen Saal der Elbphilharmonie kommt, kann sich zuweilen an dem Durcheinander von gesungenen und gesprochenen Passagen stören und findet sich einigermaßen reizüberflutet, wenn es aus allen Richtungen schallt.
Orchester, Chor und Schauspieler überzeugen jedoch, ja begeistern bei diesem Konzert, allen voran Johanna Wokalek: Ihre Jeanne d’Arc steckte voller Leidenschaft und Leidensfähigkeit. Auch die Sänger konnten ihre schauspielerischen Qualitäten unter Beweis stellen. Buchstäblich bodenständig, auch mal ungelenk, der Rolle angemessen, präsentierten sich die Herren des Abends, während die Damen als Engelsgestalten aus dem Himmelreich herab sangen.
Die weiblichen Gesangspartien erklangen mit großer Sauberkeit und Gelassenheit. Lieblich und tröstlich interpretierte die Sopranistin Katharina Konradi die heilige Jungfrau. Auch die Sopranistin Maria Bengtsson und die Altistin Gerhild Romberger als heilige Margarethe und heilige Katharina umschmeichelten die Ohren mit Rufen des Himmels aus dem oberen Saalbereich.
Die Herren repräsentierten hingegen die menschliche Gesellschaft. Dieser mangelt es an Ordnung und Moral, den Figuren an feinsinniger Ästhetik. Entsprechend rumpeln die Soli. Der Tenor Dovlet Nurgeldiyev und der Bass Dimitry Ivashchenko kommen etwas aufdringlich als Herolde daher und der Tenor John Daszak spielt den Porcus so selbstherrlich, dass es kaum zu ertragen ist.
Arthur Honeggers 1938 uraufgeführtes Oratorium »Johanna auf dem Scheiterhaufen« zeigt eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Während die Kriegsgefahr immer dringlicher wurde, schilderte der Dichter Paul Claudel im Libretto das Leben und Sterben der französischen Nationalheiligen Jeanne d’Arc. Sie ringt um ihren Glauben in einer Welt, in der die Mächtigen beim Kartenspiel über das Schicksal von Nationen entscheiden.
Ein Konzertmitschnitt wird am 8. Januar 2018 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet.
Leon Battran, 24. November 2017, für
klassik-begeistert.de
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Chor
WDR Rundfunkchor
Knabenchor Dortmund
Thomas Hengelbrock Dirigent
Johanna Wokalek Heilige Johanna
Dominique Horwitz Bruder Dominik
Katharina Konradi Die Jungfrau Maria
Maria Bengtsson Heilige Margarethe
Gerhild Romberger Heilige Katharina
John Daszak Porcus / Eine Stimme / Erster Herold / Der Geistliche
Dimitry Ivashchenko Eine Stimme / Zweiter Herold
Björn Meyer Mühlenwind
Brigitte Janner Mutter Weinfass
Benjamin Utzerath Sprecher
Felix Knopp Sprecher
Erik Schäffler Sprecher