Foto: © Kai Bienert
Mariinski Orchester St. Petersburg
Valery Gergiev Dirigent
Emmanuel Tjeknavorian Violine
Dmitri Schostakowitsch: Violine und Orchester Nr. 1 in a-moll op.77
Symphonie Nr. 8 in c-moll op. 65
von Herbert Hiess
Das triumphale Gastspiel des Mariinski-Ensembles fand ein Ende mit einem Abend „in Moll“. Zuerst brachte der junge österreichische Geiger mit armenischen Wurzeln Emmanuel Tjeknavorian das erste Violinkonzert in a-moll und danach zelebrierten die Russen einen symphonischen Koloss – nämlich die Symphonie Nr. 8 in c-moll.
Der mittlerweile 26jährige Emmanuel Tjeknavorian ist das, was man als Wunderkind bezeichnet. Er spielt nicht nur (technisch) ausgezeichnet Violine, sondern ist auch als Radiomoderator und Dirigent recht umtriebig. Und man hat ihm natürlich alle Türen geöffnet und Wege geebnet; so konnte er schon eine CD mit den Niederösterreichischen Tonkünstlern veröffentlichen.
Letztlich hat aber diese „Umtriebigkeit“ auch ihre Nachteile. Irgendwann wird auch der junge Geiger feststellen, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Und gerade bei dem a-moll Violinkonzert merkte man, dass er technisch zwar hochbrillant spielte, musikalisch aber recht zerstreut wirkte. Er mimte im Gesicht immer wieder Leidenschaft, die aber niemals so wirklich hörbar wurde. Zu Herzen ging den Zuhörern im Saal das gesamte viersätzige Werk überhaupt nicht.
Das viersätzige Werk für Violine und Orchester ist im Stil langsam – schnell – langsam – schnell komponiert, wobei die langsamen Sätze mit langen Kantilenen ausgelegt sind, die man musikalisch mit Sentiment und viel Ausdruck spielen hätte müssen. Und da war immer wieder eine Distanziertheit zu merken, wo dann leider kein Funke zum Publikum übersprang. Man muss dennoch festhalten, dass er mit einem wunderschönen silbrigen Klang spielte, hochvirtuos (vor allem in den schnellen Sätzen 2 und 4) und technisch eindrucksvoll. Gergiev und das russische Orchester legten ihm den schönsten Klangteppich, den man sich vorstellen kann. Schade, dass Emmanuel Tjeknavorian an diesem Abend die höchste Stufe nicht erklimmen konnte.
Die 8. Symphonie ist – wie so oft bei Schostakowitsch – ein gewaltiger Brocken sowohl für Orchester als auch Dirigenten. Am letzten Tag des dreitägigen Gastspiels bewiesen Gergiev und seine Musiker, dass sie offenbar Kraftreserven ohne Ende haben. Diese c-moll Symphonie ist auch ob ihrer Unstrukturiertheit (Formlosigkeit) recht schwierig zu hören und fordert von den Musikern in allen Instrumentengruppen größte Anstrengungen. Mit einem knapp 30-minütigen ersten Satz und vier folgenden wechselnden Sätzen beschreibt der russische Komponist die Schrecken des Krieges und die Siege der roten Armee gegen Hitler. Offenbar war der Komponist hier im Zwiespalt der Gefühle und es wechselten immer wieder optimistische Passagen zu hochdepressiven. Im Gegensatz zur 7. Symphonie („Leningrader“) ist der Schluss hier sehr ruhig und verhalten. Man hört hier ganz leise mit Pizzicati der Kontrabässe unterlegt ein Glockenmotiv – ähnlich der Gralsglocken bei Wagners „Parsifal“.
Gergiev machte aus diesem letzten Abend ein richtiges Fest und ließ hören, was diese Symphonie tatsächlich beinhaltet. Vor ziemlich genau zehn Jahren spielte das Concertgebouw Orchester unter Andris Nelsons diese Symphonie, die damals null Eindruck hinterließ und völlig aalglatt runtergespielt wurde – eine echte „Nicht-Interpretation“ also.
Unter Gergiev hörte man viele Facetten, die man damals schmerzlich vermisste. Und im Konzerthaus hörte man tatsächlich die Schrecken des zweiten Weltkrieges, die der Komponist hier verarbeitete!
Herbert Hiess, 14. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gastspiel Mariinski Orchester St. Petersburg, Valery Gergiev, Konzerthaus Wien, 12. Dezember 2021