Arnold Schönberg, „Ein Überlebender aus Warschau“
Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem d-Moll, KV 626
Mariss Jansons, Dirigent
Thomas Quasthoff, Sprecher
Genia Kühmeier, Sopran
Elisabeth Kulman, Mezzosopran
Mark Padmore, Tenor
Adam Plachetka, Bass
Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Herkulessaal München, 11. Mai 2017
von Elena Milis
„Achtung! Stilljestanden! Na wird’s mal? Oder soll ich mit dem Jewehrkolben nachhelfen?“ Kurz bleibt einem das Herz stehen, nachdem der letzte Ton von Arnold Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau verstummt. Der dissonante Klang hallt wie ein Donnerschlag wider. Die Musik hinterlässt ein eigenartiges Gefühl, besonders der Text macht hellhörig und erinnert an die vielen Unschuldigen, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren.
Das Symphonieorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks wagen sich an dieses außergewöhnliche, 1947 entstandene Werk. Thomas Quasthoff unterstützt sie als Sprecher. Er ist nicht von großer Gestalt, dafür umso größer in seiner Interpretation. Seine schauspielerische Gestaltung, seine Haltung und Gesichtszüge fesseln, und so kann man seinen Blick kaum von ihm wenden. Die herausgeschrienen Passagen, der Wechsel zwischen Erzähler und preußischem Soldat in Ein Überlebender aus Warschau verlangen ihm einiges ab.
Der Dirigent Mariss Jansons blickt immer wieder zu Quasthoff, gibt ihm seine Einsätze; der mehrfach ausgezeichnete Künstler ist ein Voll-Profi und meistert seinen Part auf höchstem Niveau. Auch die Einsätze des Orchesters kommen auf den Punkt. Die Musik untermalt die gesprochenen Elemente, zeichnet sie nach und ergänzt sie.
Schönbergs Zwölftonkomposition schafft eine düstere Klangkulisse, für die er sich von Augenzeugenberichten über die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto inspirieren ließ. Der Chor setzt nach einem dramatischen Forte mit dem traditionellen Gebet Schma Jisrael (dt.: Höre, Israel, der Ewige, unser Gott) in hebräischer Sprache ein. Der Männerchor des Bayerischen Rundfunks imitiert den Überlebenden-Chor, der das „vergessene Glaubensbekenntnis“ unvermittelt wiedergibt.
Die Interpretation an diesem Abend im Herkulessaal ist grandios, und obwohl das Stück so herzzerreißend ist, befällt einen der Wunsch, es wäre nicht nach acht Minuten schon vorbei.
Leider, leider, leider, schaffen es die Veranstalter es nach diesem sehr gelungen Auftakt nicht, die Stimmung und Anspannung in das Mozart-Requiem weiterzutragen. Der Umbau – Stühle neu ordnen, Trommeln einfahren – von Schönberg zu Mozart dauert doppelt so lang wie der erste Programmpunkt. Einige Zuhörer lassen kritische Kommentare verlauten, andere nutzen die Zeit die Abbildungen an den Wänden des Herkulessaals näher zu betrachten. Der Atmosphäre tut dies einen gewaltigen Abbruch, und der nun vollständige Chor bekommt nur mäßigen Applaus.
Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart folgt dem traditionellen Aufbau und Text des Totenmessen-Gesangs. Der erste Teil – der Introitus – erklingt wunderbar, die Komposition zählt zu den bekanntesten Mozarts. Der zweite Teil – das Kyrie – will einfach nicht richtig passen. Der Chor und das Orchester sind teilweise sehr zerrissen und finden nicht zueinander. Im weiteren Verlauf des einstündigen Werks bessert sich das Zusammenspiel. Der Einsatz der Orgel des Herkulessaals ist energisch, an den richtigen Stellen sanft und einfühlsam.
Den Zuhörer mitreißen konnte dieser Mozart trotzdem nicht gänzlich. Die vier Solosänger, insbesondere die Sopranistin Genia Kühmeier, verhalfen der Darbietung zu einer passablen Leistung. Doch an diesem Abend fühlte sich alles nach Schönberg leider recht lieblos an.
Elena Milis, 13. Mai 2017, für klassik-begeistert.de