Foto: Daniel Dittus (c)
Laeiszhalle Hamburg
Martha Argerich Festival, 1. Juli 2018
Claude Debussy (1862-1918) Sonate für Violoncello und Klavier
d-Moll: 135
Mischa Maisky, Violoncello
Martha Argerich, Klavier
Camille Saint-Saens (1835 – 1921), Karneval der Tiere
Annie Dutoit, Erzählerin, Martha Argerich und Lilya Zilberstein, 2 Klaviere, Kammerorchester der Symphoniker Hamburg, Dirigent: Ion Marin
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827), Konzert für Klavier, Violine und Violoncello C-Dur op. 56, „Trippelkonzert“
Solisten: Tedi Papavrami, Violine, Mischa Maisky, Violoncello, Martha Argerich, Klavier
Symphoniker Hamburg, Dirigent Ion Marin
Ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska
Der letzte Tag des Martha Argerich Festivals ist ein sehr sonniger Sonntag. Statt zum Segeln, Baden, Picknicken strömt das Hamburger Publikum in die Laeiszhalle. Martha Argerich, die „klassische Führungskraft“ („Hamburger Abendblatt“), kommt gesammelt auf die Bühne, in ein dunkelblaues Top und einen dezent geblümten Rock gekleidet. Hinter ihr: Mischa Maisky in azurblauem Seiden-Kaftan und Tedi Papavrami, trotz Hitze wie dem „Star Trek“ entsprungen: tabakbrauner, enger Anzug, schwarzer Rolli. Unterschiedlicher könnten die beiden Männer nicht sein. Martha sitzt mit dem Rücken zu den beiden und – unbegreiflich – hat alles im Griff. Eine winzige Geste ihrerseits, und Maisky legt eine Schippe an Tempo zu. Ein schräger Blick zum Dirigenten – da ist nur ein Hauch eines Lächelns.
Die Sonate, teilweise sehr anspruchsvoll für die Streichinstrumente geschrieben, wird von Martha – für meine Begriffe – von Anfang an sehr schnell, zu schnell gespielt. Das verlangt Maisky alles an Kraft und Spielfertigkeit ab. Aber er schafft es, gewinnt an Selbstvertrauen und blüht auf. Strenges Regiment führt die Martha. All die ehemaligen Wunderkinder, wenn auch in die Jahre gekommen, reagieren gut auf die Spitzrute. Am Ende sind alle glücklich. Auch Maisky; streckenweise hatte ich Angst um seine Darbietung. Gut ausgegangen.
„Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saens ist der Höhepunkt dieses Konzertes. Nicht nur, weil Annie Dutoit, Tochter von Martha, die Erzählerin gibt. Auch weil das Konzert als Benefizkonzert zu Gunsten der Educations-Arbeit der Symphoniker Hamburg Gelder für die musische Erziehung Hamburger Kinder einspielen soll und – bei dermaßen vollem Saal – dieses Ziel erreicht. Leider sind die Adressaten des Stückes – die Kinder – an diesem Sonntag ein rares Gut. Um die zehn künftige Konzertbesucher habe ich gezählt. Auch zwanzig wären zu wenig. Schade. Für eine Tennisausrüstung gehen Tausende ins Land und für so ein Konzert…
Hier ein Appell an Hamburgs Großeltern: Zwingen Sie bitte, bitte Ihre Kinder, Ihnen die Enkelkinder für solche Konzerte auszuleihen. So lange man sie noch – ohne groß zu fragen – mitnehmen kann. Das wird den Enkeln gut tun und Sie, liebe Großeltern, wortwörtlich u n s t e r b l i c h machen.
Zurück zum „Karneval der Tiere“. Das Stück wird kindergerecht, mit kindlicher Freude, ulkig und trotzdem mit höchster Perfektion gespielt. Ion Marin, der Dirigent, geht voll mit, er ulkt bei „dem Kuckuck“, bringt uns zum Lachen, das Tempo wird trotzdem gehalten. Ein Profi.
Annie Dutoit, sehr groß, sehr schmal, sehr schön, mit langen dunklen Haaren, in einem bunten engen Kleid, liest auf Französisch. Bei „Pianisten“ – oh Schreck! – nestelt sie an der heiligen Mähne ihrer Frau Mutter. Und siehe da: Die Principessa beugt sich vor, zieht die Schulter hoch und genießt sichtlich die Aktion ohne ihr Spiel zu unterbrechen. So sind wir Mütter: die winzigste Zuneigung unserer störrischen Nachkommen bringt unserer Herz zum Schmelzen.
Es wird noch mehr Schabernack getrieben: Annie findet – während der „Hennen und Hähne“ – ein Körbchen mit Eiern. Sie sinkt während der „Schildkröten“ in den Tiefschlaf. Schnarcht. Als ein Forte sie aufweckt, spielt sie sehr überzeugend die Erschrockene; das Tablett fällt zu Boden, ein Blick zur Mutter: Hat sie es gesehen? Schimpft sie mit mir nachher? An einer anderen Stelle werden Seifenblasen in die Luft gepustet. Überallhin, aber nicht in Richtung der spielenden Maman.
Tosender Beifall. In der Pause machte ich Jagd auf die wenigen kindlichen Besucher und fragte, welches Tier denn das schönste war und am besten gefiel. Da die Kinder mich entweder für eine Lehrerin oder für etwas ähnlich furchterregendes hielten, waren die Antworten eher unspektakulär: „Mir gefiel alles“; „Löwen“, „Kängurus“. Ein Junge wagte sich hervor und quakte, auf die Skulptur vor der Laeiszhalle kletternd: „Die Pianisten“. Seltsame Tiere, diese Pianisten… Seine Antwort war sehr im Geiste des Stückes.
Hier noch ein Lob für die Gestaltung des Programmheftes: die – nicht problematische – parallele Anbringung von französischem Text und deutscher Übersetzung – formidable! Übersichtlich, graphisch sehr gelungen. Große Klasse. Da hat sich jemand liebevoll um uns gekümmert. Danke.
Der letzte Programmpunkt: Ludwig van Beethovens „Trippelkonzert“ mit M.A., Tedi Papavrami und Mischa Maisky (diesmal im schwarzen Kaftan und Goldkettchen um den Hals) war technisch perfekt, im Tempo anspruchsvoll und harmonisch, was die Gemüter der Solisten angeht. Wirklich schön.
Standing Ovations und langstielige Rosen von Daniel Kühnel. Adieu Festival… Seufz…
Da kennen Sie aber Martha Argerich und unsere Symphoniker Hamburg nicht! Die haben sich einen Abschluss nach dem Abschluss des Festivals ausgedacht, der es in sich hatte. Hier nur ein Hinweis: Martha & Consorten spielten am 2. Juli 2018 Tango Argentino im Schmidt Theater auf der Reeperbahn. Jawohl! Der Titel: „Viva la vida!“ (Es lebe das Leben).
Teresa Grodzinska, 3. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de