Der Schlagzeuger Martin Grubinger offenbart ein großes Künstlerherz und viel Feingefühl

Martin Grubinger, WDR Sinfonieorchester Köln, Jukka-Pekka Saraste, Kalevi Aho, Dmitrij Schostakowitsch,  Kölner Philharmonie

Foto © Felix Broede
Martin Grubinger
 Percussion
WDR Sinfonieorchester Köln
Jukka-Pekka Saraste Dirigent
Kalevi Aho – Sieidi (2010) – Konzert für Percussion und Orchester
Dmitrij Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 (1953)

von Daniel Janz

Mit einem Kracher wollte das WDR Sinfonieorchester die neue Konzertsaison eröffnen. Dieses Vorhaben ist geglückt. Mit der Aufführung von Kalevi Ahos Sieidi und Dmitrij Schostakowitschs 10. Symphonie gelang dem Orchester unter Jukka-Pekka Saraste in der Kölner Philharmonie ein sehr guter, wenngleich nicht ganz perfekter Abend. Unterstützung erhielten die Musiker von dem begnadeten Schlagzeug-Solisten Martin Grubinger, einem der ganz großen Könner am Sternenhimmel der klassischen Musik.

Das Programm lässt sich als schwer beschreiben. Schostakowitschs 10. Symphonie ist eine einzige persönliche Abrechnung mit dem Stalin-Regime im Russland der 1930er/40er-Jahre. Im Jahr 1953 nur wenige Monate nach Stalins Tod entstanden, ist sie eines der beklemmendsten und deutlichsten Stücke, die Schostakowitsch hinterlassen hat – nicht nur, weil er in ihr gnadenlos den Schrecken skizziert, der unter Stalins Herrschaft in Russland herrschte. Sondern auch, weil er mit dieser Symphonie einen Befreiungsschlag von systematischer Unterdrückung, allgegenwärtiger Kontrolle und ständiger Todesangst erlebte.

All diese Gefühle werden in dem Werk aufgerollt und erleben in der Mitte des ersten Satzes einen erschreckend verstörenden Ausbruch, der taifunartig alle zuvor aufgebaute Nachdenklichkeit hinwegfegt. Die entscheidende Stelle aber, bei der dieser Schrecken zum absoluten Höhepunkt gelangt, ist der zweite Satz. Diesem sagt man nach, Schostakowitsch habe ihn selbst als eine musikalische Darstellung Stalins bezeichnet. Eine furiose Aneinanderkettung aus Blechtriaden, gepaart mit grellen Schreien der Holzbläser, zahllosen Zitterfiguren in den Streichern und einem donnernden Krachen des Schlagzeugs macht erbarmungslos klar: Hier ist der Teufel selbst am Werk.

Beeindruckend ist, wie das Orchester es schafft, diese Stimmung aufzugreifen und abzubilden. Obwohl das Dirigat von Jukka-Pekka Saraste traditionell eher Gemächlichkeit anmuten lässt, drillt er seine Musiker zu einem regelrechten Feuerwerk. Das Gesamtbild ist spektakulär gelungen. Der Teufel liegt lediglich im Detail – den Musikern unterlaufen an diesem Abend fast keine Fehler. Aber da, wo sie unterlaufen, ist es ausgerechnet in den prägnanten Solostellen, bei denen es jeder hört. Ein Pech im Timing, das man vom Vorzeigeorchester des WDR sonst nicht gewohnt ist.

Glücklicherweise dämpfen diese Kleinigkeiten nicht das sehr gute Gesamtbild, das vom Publikum mit immer wiederkehrendem Applaus zwischen den Sätzen honoriert wird. Und spätestens am Ende des dritten Satzes ist das Orchester in seiner eingespielten Form angekommen. Die Stellen, die das persönliche Spannungsverhältnis zwischen Schostakowitsch und Stalin beschreiben, liegen dem Ensemble. Der abschließende Satz, ein Freudentanz über den Tod Stalins, erfährt die Präzision und den explosiven Ausbruch an Euphorie, die letztendlich diesen Kracher des Abends ausmachen.

Der eigentliche Kracher aber ist das Werk „Sieidi“ des finnischen Komponisten Kalevi Aho. Der Name „Sieidi“ – angelehnt an die Opfer- und Ritualplätze der Samen in Lappland – lässt einen rituellen Hintergrund des Stücks vermuten. Und wenn man weiß, dass der Ort, an dem Kalevi Aho dieses Stück komponiert hat, am Berge Luosto an einer solchen ehemaligen Kultstätte in Finnland liegt, dann scheint zunächst alles klar.

Der an diesem Abend anwesende Komponist stellt ironischerweise jedoch selber fest, dass dieses Werk mitnichten einen rituellen Hintergrund hat. Ihn haben das LuostoClassic-Festival sowie die Landschaft in Lappland zu diesem Werk angeregt. Zunächst habe er es thematisch völlig losgelöst auskomponiert. Der Name selber sei dann aus der Not heraus entstanden, um dem Werk überhaupt einen Titel zu geben.

Nichtsdestotrotz lässt sich der Prozess, den dieses Werk beschreibt, mit dem eines Rituals vergleichen, wahlweise aber auch mit einer Wanderung oder einem An- und Wiederabstieg auf einen Berg. Deutlich wird das vor allem durch die räumliche Wanderung, die der Solopercussionist vollziehen muss. Er beginnt an einer Djembe – einer afrikanischen Handtrommel – und wandert im Verlauf des Werks über eine Darabuka, ein Set aus Tom-Toms und Snare, ein Marimba, Holz- und Tempelblöcke, ein Vibraphon und ein Tamtam quer über die Bühne und wieder zurück.

Die ehrenvolle Aufgabe des Ritualmeisters erfüllt an diesem Abend der Ausnahmekünstler Martin Grubinger, 34. Nach eigenen Worten spielt er sich bei diesem Werk selbst „bis in Trance“. Und diese Entwicklung sieht man ihm an. Begleitet von donnernden Trommelschlägen von gleich vier großen Trommeln, teils asiatisch, teils arabisch anmutenden Paukenrhythmen und tosenden Ausbrüchen im Orchester vollführt er eine Glanzleistung nach der anderen und outet sich als Meister an jedem einzelnen Schlagzeug.

Besonders beeindruckend ist, in welch rasantem Tempo der gebürtige Salzburger Marimba und Vibraphone abrattert. Als er erst richtig in seinem Spiel eintaucht, wirkt er übermenschlich. An den lauten, krachenden Stellen besitzt er die Präzision eines Uhrwerks. Die leisen Stellen führt er stattdessen mit einer Grazie aus, die ein großes Künstlerherz und viel Feingefühl offenbaren. Atemberaubend. Weltklasse!

Die Orchestereinwürfe sind kompositionsbedingt wenig virtuos, zeichnen sich aber durch eindrucksvolle Effekte aus. Da sind zwei im Raum gegenüberliegende Schlagzeuggruppen, die mal synchron, mal im Frage- und Antwort-Spiel in donnerndem Tosen oder sanften Tambourin- und Kastagnetten-Klängen das Spiel des Solisten antreiben. Da sind Klangfarbentrauben, die übergangslos quer durch alle Instrumentengruppen tauchen. Und es gibt effektvolle Soli von Pauke, Klarinette und Saxophon. Ein ergreifendes Erlebnis. Nicht zuletzt auch, weil dieses wüste, fast schon monströs und erschreckend wirkende Werk ganz leise ausklingt.

Die einzigen Schwächen, die man ausmachen kann, liegen auch hier in den kleinen Details: Es gibt ein paar kleine Verspieler von Seiten der Orchestermusiker. Martin Grubinger überstrahlt diese aber mit einer künstlerisch und technisch perfekten Glanzleistung. Diese krönt er mit einer fulminanten Performance an der Trommel, an der er neben seinem virtuosen Spiel auch zahlreiche Kunststückchen vollführt. Die besondere Gunst der Zuschauer erringt er, als er zum Schluss von der Tribüne steigt und seine Schlagstöcke einem kleinen Jungen als Geschenk überreicht. Ein echter Kracher eben.

Wer das Konzert oder einen Mitschnitt davon miterleben möchte:
Auf http://konzertplayer.wdr3.de/klassische-musik/konzert/wdr-3-konzert-15092017/ wird ein live-Mitschnitt des Konzertes öffentlich zur Verfügung gestellt.
Ferner tritt Martin Grubinger mit „Sieidi“ auch in zahlreichen anderen Städten auf, darunter am 15. Dezember in Freiburg und am 16. Dezember in Karlsruhe sowie am 23. und 25. Februar in München und am 28. Februar und am 1. März in Linz sowie am 15. und 16. März in Paris. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen.

Daniel Janz, 17. September 2017, für
klassik-begeistert.de

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