Meine Lieblingsmusik: Top 5 – Richard Strauss „Ein Heldenleben“ (1898)
„Egal, ob echter Held oder Möchtegern – egal ob glorreich oder lächerlich – alles Heldentum ist sinnlos, weil an der Welt verloren. Dieses ernüchternde Fazit täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Strauss es in eine beispiellos schillernde Musik umsetzen konnte.“
von Daniel Janz
Sich über Helden und Heldensagen auszulassen, ist wirklich kein neuer Stoff. Seit der Antike begleiten uns kulturell geprägte Bilder von herausragenden und die Weltgeschichte beeinflussenden Persönlichkeiten. Sei es in den trojanischen Kriegen, durch Propheten und Krieger antiker Zeit, in den Kaisermythen und Vergötterungen im römischen Reich, mittelalterlichen Ritter- und Heldensagen oder modernen Mythen bis hin zum Superhelden aus dem Comicbuch… Alleine mit Fokus auf Europa scheint das Thema übermenschlich großer Persönlichkeiten als Instanzen von Moral und kultureller Errungenschaft allgegenwärtig zu sein. Kein Wunder also, dass sich gerade auch Richard Strauss, dessen Werke nur so von außergewöhnlichen Persönlichkeiten und Heldengestalten strotzen, diesem Thema widmete.
„Ein Heldenleben“ ist wohl eine jener Musiken, die durch die Zeit hindurch am meisten missverstanden wurden. Immer wieder wurde Strauss hierin eine schamlose Selbstverherrlichung angedichtet. Es findet sich auch der Vorwurf, in diesem Werk eine radikale Abrechnung mit Kritikern und Feinden vorzunehmen. Und wer könnte es den Zeitgenossen verübeln? Schließlich unterstreichen die dutzendfachen Selbstbezüge in dieser Tondichtung den Eindruck, dass Strauss von seiner eigenen „Genialität“ überzeugt war.
Das alles aber ist eine Randnotiz zu einem Werk, in dem es eigentlich um etwas ganz anderes geht, nämlich das Leben eines Helden, so wie Strauss ihn sich vorgestellt hat. Dabei steht für die Stärke dieses Stückes nicht nur die Musik selbst im Vordergrund, denn Strauss liefert hier eine beeindruckende Komposition fast ohne Makel ab. Aber das Spannendste und damals wie heute Bemerkenswerte an diesem Kunstwerk ist vor allem die Figur seines Helden.
In seiner „Eroica“ verarbeitet Strauss ganz im Sinne der Beethoven’schen Tradition seinen Werdegang. In prächtigen Klangfarben und einem reichen Konzerterlebnis gelingt es ihm, in einer dreiviertel Stunde eine komplette Lebensgeschichte über das Auf und Ab, die gewalttätigen und friedvollen Werke bis hin zur Verklärung eines unbenannten Heros auszuschmücken. Strauss scheut sich auch nicht, diesen Helden psychologisch zu erkunden. So verleiht er ihm Facetten, die ihm neben seinen überragenden Fähigkeiten auch Tiefe und kraftlose Momente bescheren.
Es ist diese Nähe zur Realität und der schmale Grad zum Scheitern, die mir diesen Helden nahbar und sympathisch machen. Während andere Helden zu oft übermenschlich, abgehoben oder im schlimmsten Fall sogar makellos und damit langweilig erscheinen, wirkt die Figur von Strauss fragil. Natürlich – Strauss schenkt ihm ein prächtiges Eingangsthema und die Farben, in die er diese Komposition tränkt, sind nicht nur durch die reich besetzte Blechbläsergruppe geradezu feierlich.
Doch dieser Held ist eben keine „Mary Sue“ im Sinne der Makellosigkeit, sondern Mensch wie jeder von uns. Er hat Gaben, wie Strauss im fünften Abschnitt über „des Helden Friedenswerke“ auch mit allerhand Selbstbezügen aufzeigt. Da finden sich Reminiszenzen an Don Juan, Till Eulenspiegel, Tod und Verklärung, Guntram, Don Quixote und weitere Kompositionen. Ein Abschnitt, der regelrecht zum Mitraten anregt, denn es ist immer noch nicht vollständig geklärt, ob es nun 19, 24 oder sogar über 30 Selbstzitate sind.
Aber diesem Helden stehen mächtige Gegner gegenüber, die mit dreckigen Mitteln spielen und seine Vollendung zu Lebzeiten vereiteln. Selbst Straussens Vater bekräftigte in einem Brief die Obszönität dieser Gestalten und meinte „solche Widersacher, die sich so unschön benehmen, lässt man – unter seine Würde – links liegen“.
Dass dies Straussens Held nicht gelingt, sondern er im Abschnitt mit den Widersachern ins Straucheln gerät, zeigt seine Menschlichkeit. Er verliert regelrecht den Elan und stürzt in eine tiefe Krise, die er fast nicht übersteht. Man kann von Glück reden, dass Strauss seinem Helden eine Gefährtin an die Seite stellt, denn diese ist es, die ihm nachträglich den Rücken stärkt. Und das, obwohl auch sie eine facettenreiche Figur ist: Strauss selbst bezeichnete sie als „sehr komplex, sehr weiblich, ein wenig pervers, ein wenig kokett, niemals sie selbst, jede Minute anders“ und bezog sie im gleichen Satz chauvinistischerweise auf seine eigene Ehefrau Pauline.
Immerhin tritt der Held durch seine Begleiterin (in einer fast schon zu langen Solokadenz der ersten Geige) gestärkt den Widersachern entgegen und schlägt eine gewaltige Schlacht, die er am Ende auch triumphal gewinnt. Auf diesen Abschnitt folgen dann seine Friedenswerke, die Strauss eben jene Kritik der Selbstglorifizierung eingebrockt haben.
Was diese Perspektive aber auslässt, ist, dass Straussens Held in diesem Heldentum nicht seine Vollendung oder Frieden findet. Das geht nicht nur auf Straussens Idee des Heldentums zurück, sondern auch auf seine literarische Grundlage: Die Schriften „On Heroes, Hero-Worship and the Heroic“ von Thomas Carlyle. Carlyle betrachtet den Helden als eine Figur, die sich an der Welt abarbeitet, die den Menschen und dessen Kultur vorantreiben und verbessern möchte, nur um am Ende ungehört und unverstanden an ihr zu zerbrechen. Hier lässt sich auch Hegels Heldenideologie anwenden, laut der der Grund für die ausbleibende Vollendung als Held in sozialen und politischer Strukturen läge, die dem modernen Menschen jegliche Möglichkeit der Autonomie nähmen.
All dies lässt sich in Straussens Helden wiederfinden, der von seiner Umwelt regelrecht angewidert und durch seine Kämpfen traumatisiert am Ende die Weltflucht sucht. In seinen letzten Tagen zieht er sich aufs Land zurück und stirbt dort einsam in den Armen seiner Geliebten. Dieses Schicksal hat Strauss ironischerweise nicht nur inhaltlich, sondern sogar kompositorisch mit dem Schicksal von Don Quixote gleichgesetzt: Das Ende ist eine regelrechte Kopie und unterscheidet sich nur dadurch, dass der Held des Heldenlebens nach seinem Tod noch einmal eine Erhöhung erfährt. Die Botschaft aber ist klar: Egal, ob echter Held oder Möchtegern – egal ob glorreich oder lächerlich – alles Heldentum ist sinnlos, weil an der Welt verloren.
Dieses ernüchternde Fazit täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Strauss es in eine beispiellos schillernde Musik umsetzen konnte. Dieser Komposition wohnt so viel mehr inne als einfach nur von Menschen zeitlich und strukturell organisierter Klang. Dieser Anfang aller Musik bildet bei Strauss nicht die eigentliche Kunst, sondern ist viel eher die Grundlage seiner Geschichte, die durch die Musik wiederum selbst emotional erfahrbar wird. Und für diese Leistung schätze ich das Heldenleben von Richard Strauss sehr und betrachte es als meine fünfte Lieblingskomposition aller Zeiten.
Daniel Janz, 9. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker und Komponist, studiert Musikwissenschaft im Master. Klassische Musik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich gegen eine Musikerkarriere und begann ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zum Thema Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für Klassik-begeistert. Mit Fokus auf Köln kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend fragt er am liebsten, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
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