Meine Lieblingsoper (51): "Don Giovanni" von Wolfgang Amadeus Mozart

Meine Lieblingsoper (51): „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner und Klassik-Connaisseur Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Ralf Wegner

Mozarts Don Giovanni „darf als die Krone seiner Schöpfung gelten: In gleichem Maße vollendet durch Tiefe und Wahrheit des Ausdrucks, durch Schönheit der Form, Reichtum der Ideen und strenge Durchführung der psychologischen Entwicklung, ist sie geradezu das erhabenste Muster eines Tondramas“. So schrieb einst Emil Vogel in seinem Vorwort zum Klavierauszug dieser Oper. Dem lässt sich schwerlich etwas hinzufügen. Mozarts Don Giovanni ist unangreifbar und übersteht wie kaum ein anderes Werk inszenatorischen Eingriffen. Gegebenenfalls macht man im Theater die Augen zu und lauscht nur der Musik. Dennoch will ich es wagen, mich mit diesem Meisterwerk auseinander zu setzen.

Zu Mozarts Don Giovanni fällt mir eine andere Oper ein. Auch wenn es abseitig klingt, es ist Carmen von George Bizet. Das oben Zitierte gilt natürlich nicht für dieses etwas operettenartig herkommende Werk. Die beiden Hauptfiguren ähneln sich aber. Nicht nur in ihrem konsequent durchgezogenen Liebesleben, sondern auch musikalisch insoweit, als große schwierige Arien für beide Partien nicht vorgesehen sind. Vielmehr müssen Don Juan, wie er auch heißt, und Carmen nicht nur musikdramatisch, sondern vor allem optisch und darstellerisch genügen. Eine eher mütterlich wirkende Teresa Berganza zum Beispiel überzeugte 1982 zwar stimmtechnisch als Carmen, aber nicht unbedingt auf der Bühne. Ebenso ist ein eher bieder daherkommender Don Giovanni kaum vorstellbar.

Theo Adam. Von Bundesarchiv, Bild 183-1987-1023-055 / Link, Hubert / https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7526318

Das traf nicht auf Theo Adam zu, den ich 1966 in Hamburg unter der musikalischen Leitung von Leopold Ludwig hörte, mit Ernst Wiemann als Komtur, Louisa Bosabalian als Donna Anna, Peter Schreier als Don Ottavio, Melitta Muszely als Donna Elvira, Heinz Blankenburg als Leporello, Edith Mathis als Zerlina und Hans Sotin als Masetto. Das war mein erster “Don Giovanni“ und blieb seitdem der unerreichte Goldstandard für diese Oper. Auch andere Giovannis überzeugten, so Bernd Weikl in seinen besten Jahren, aber auch Andrè Schuen, der diese Partie 2019 in der eher problematischen aktuellen Inszenierung der Hamburgischen Staatsoper sang.

Wenngleich Don Ottavio als ziemlicher Trottel daherkommt und geradezu das genaue Gegenteil von Giovanni ist, hat Mozart diese Partie mit zwei wunderschönen Arien bedacht; „Dalla sua Pace“ (No. 11) im ersten und „Il mio tesoro“ (No. 22) im zweiten Akt. Allein schon wegen dieser beiden Arien ist eine herausragende Besetzung des Ottavio unabdingbar. Er ergänzt Giovanni nicht nur musikalisch, sondern auch charakterlich. Beide sind zwei Seiten derselben Medaille, vergleichbar Dr. Jekyll und Mr. Hyde (R. L. Stevenson). Neben dem unvergleichlichen, aber oft mit Absagen glänzenden Peter Schreier war Rainer Trost lange Jahre ein ganz hervorragender Don Ottavio, jetzt ist es Dovlet Nurgeldiyev.

Eine andere wichtige Figur ist Zerlina. Sie ist Giovanni durchaus ähnlich, zumindest im Vergleich mit den beiden hochgestellten Damen Anna und Elvira. Obwohl sie Masetto versprochen ist, lässt sie sich mit Giovanni ein. Sie will ihn sich nicht entgehen lassen. Schreckt aber vor dem letzten Schritt zurück, oder auch nicht? Zumindest kennt sie sich psychologisch gut mit dem anderen Geschlecht aus, fast schon wie Despina in Mozarts Così fan tutte. Wie sonst gelänge es ihr, mit „batti, batti, o bel Masetto“ (No. 13) oder „vedrai carino“ (No. 19) den verstörten Masetto wieder zu besänftigen? Zerlina war meiner Erinnerung nach nicht immer optimal besetzt, abgesehen von der bereits erwähnten wunderbaren Sopranistin Edith Mathis.

Margaret Price, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=31628295

Besser sah es mit der jeweiligen Besetzung der Primadonna dieser Oper aus, der Donna Anna, wie die bereits genannte Louisa Bosabalian, sowie Ingrid Bjoner, Gwyneth Jones, Luba Orgonasova, Hellen Kwon, oder Ana Maria Sanches, vor allem aber Margaret Price, die ich 1982 als Donna Anna hörte. Mit ihrer feinen Legatokultur, ihrem weichen Piano, den perlenden Koloraturen, ihren schönen Schwelltönen, der glänzenden Höhe und der ihr zur Verfügung stehenden Stimmfarben deckte sie sowohl den lyrischen, als auch den mehr dramatischen Bereich der Arien „Or sai chi l’onore“ (No. 10) im ersten und des deutlich längeren „Non mi dir“ (No. 25) im 2. Akt vollendet ab.

Donna Elvira empfand ich immer als die schwierigere Partie der beiden hochgeborenen Damen. Psychologisch durchmisst sie alle Höhen und Tiefen zwischen Hoffen, Bangen, Entsetzen und Wut. Gedacht war die Partie laut Klavierauszug für Mezzosopran, wurde aber häufiger von Sopranistinnen gesungen, so auch von der eigentlich als Koloratursopran bekannt gewordenen Erika Köth, die ich 1968 im Münchner Cuvilliestheater als Elvira hörte (unter Joseph Keilberth). 1998 sang Charlotte Margiono eine herausragende Elvira, 2010/12 überzeugte Katja Pieweck mit ihren großen stimmlichen Möglichkeiten und ihrer darstellerischen Potenz in dieser Partie. Neben der bereits genannten Melitta Muszely sollten Arlene Saunders, Judith Beckmann und Inga Nielsen nicht unerwähnt bleiben.

Dovlet Nurgeldiyev (Don Ottavio), Andrè Schuen (Don Giovanni) und Julia Kleiter (Donna Anna), Hamburgische Staatsoper 2019, Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Bleiben noch die drei Basspartien Komtur, Leporello und Masetto. Während erstere Rolle zumeist hochkarätig mit profunden sonoren Stimmen besetzt wurde, z.B. mit Franz Crass, Kurt Moll, Simon Yang oder Alexander Tsymbalyuk, wird der Leporello und vor allem Masetto häufiger von Ensemblemitgliedern gesungen. Als Leporello gefiel mir zuletzt Adrian Sampetrean sehr gut, ebenso Kyle Ketelsen in der neuen Hamburger Inszenierung. Der eher undankbaren Rolle des Masetto hatte zu Beginn seiner Karriere vor allem Franz Grundheber Kontur zu geben.

Vieles fehlt in dieser Abhandlung. Zahlreiche bedeutende Sängerinnen und Sänger habe ich mit diesen Mozartpartien auf der Bühne leider nicht erleben dürfen. Insoweit ist gerade dieser Bericht ergänzungsbedürftig.

Ralf Wegner, 30. Novermber 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner

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