Meine Lieblingsoper (65): "Das Rheingold" von Richard Wagner

Meine Lieblingsoper (65): „Das Rheingold“ von Richard Wagner

„Das Rheingold“ in Hamburg 2018: Kay Stiefermann (Donner), Julia Maria Dan (Freia), Katja Pieweck (Fricka), Doris Soffel (Erda), Werner Van Mechelen (Alberich),Vladimir Baykov (Wotan), Jürgen Sacher (Loge), Alexander Roslavets (Fafner), Denis Velev (Fasolt), Jenny Carlstedt (Wellgunde), Nadezhda Karyazina (Flosshilde), Katerina Tretyakova (Woglinde), Thomas Ebenstein (Mime); Inszenierung Claus Guth, Bühnenbild und Kostüme Christian Schmidt (Foto: R. Wegner)

von Ralf Wegner

Was für eine hinreißende Musik. Schon der Beginn überwältigt mit dem tiefen Es der Kontrabässe – die Ursuppe, der Anfang allen Seins – erwidert vom Fagott, von den Hörnern mit einer aufsteigenden Melodie übernommen und schließlich in Woglindes vokalbetontem, aus dem Orchesterklang heraus entwickeltem Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege wagala weia! Walala, weiala mündend. Wellgunde und Floßhilde stimmen ein. Musikalisch nimmt der Rhein, Metapher des ewig dahin strömenden Lebens, Fahrt auf. Vom Grunde kommt ein Liebe suchender Alberich, missgestaltet, ein oben Ausgestoßener. Die Rheintöchter necken ihn, versprechen ihm Liebe, die sie ihm gleich wieder entziehen. Alberich schwört der Liebe ab, gewinnt dafür das im Rhein verborgene, Macht versprechende Gold. Wenn schon nicht Liebe, dann wenigstes Macht, mit der man sich Liebe erkaufen oder erzwingen kann.

Oben, auf Bergeshöhen, hadert Wotan mit seiner Gefolgschaft. Er hat sich von den Riesen eine Burg bauen lassen, ohne zu wissen, wie er diese bezahlen soll. Die Riesen, vor allem Fasolt, fordern Freia, die Göttin der Jugend. Wotan lässt Freia ziehen, sehr zum Verdruss der anderen Götter, die ohne Freia zum Altern verdammt sind. Loge weiß Rat, Wotan könne Alberich das Rheingold entwenden und damit die Riesen bezahlen.

Wotan zieht mit Loge in die Unterwelt nach Nibelheim. Im Besitze des aus dem Rheingold geschmiedeten Rings beherrscht Alberich die dort lebenden Nibelungen. Auch sein handwerklich begabter Bruder Mime muss ihm gehorchen, ihm ein Unsichtbarkeit verleihendes Gewirk herstellen. Loge und Wotan übertölpeln Alberich, der mit seinen neu gewonnenen Künsten angibt: Sie bestaunen Alberichs Verwandlung in einen Drachen; suggerieren Alberich aber, dass die Verwandlung in so etwas Kleines wie eine Kröte nicht möglich sei. Alberich fällt auf den Trick herein, Wotan und Loge packen die Kröte und verlangen das Gold, den Tarnhelm und den Ring als Lösung. Alberich kauft sich frei, verflucht aber den Ring.

Wieder oben auf Bergeshöhen wird der Schatz, widerwillig auch der Ring, den Riesen für Freia übergeben. Fafner beansprucht die größere Hälfte für sich, denn er hätte gegebenenfalls ja auf Freia verzichten müssen. Der liebeskranke Fasolt widerspricht, Alberichs Fluch beginnt zu wirken: Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt. Die erschütterten Götter besinnen sich auf ihre wiedergewonnene Jugend und ihr neues Heim auf Bergeshöhen, genannt Wallhall. Wotan trauert dem Ring nach.

Ein leicht verständlicheres Märchen ist in einer Oper selten erzählt worden. Wagner bezeichnete seine Oper als Vorabend zum Riesenwerk Der Ring des Nibelungen. Es geht also um den Ring, den sich Alberich aus dem im Rhein verborgenen Gold anfertigen ließ. Deshalb ist Alberich auch die Hauptperson der Oper, wenngleich sein Widerpart Wotan mehr zu singen hat. Gustav Neidlinger, Zoltán Kelemen, Günter von Kannen, vor allem aber Wolfgang Koch füllten diese Rolle optimal aus, auch der zuletzt 2018 von mir in dieser Partie gehörte Werner Van Mechelen. Als Wotan (Bayreuth 2015) überzeugte mich Wolfgang Koch dagegen weniger, jedenfalls im Vergleich mit Falk Struckmann (2008-2012) oder weit früher gehörten Wotanen wie Josef Greindl, Theo Adam oder Donald McIntyre.

Eine ausgesprochen gut besetzte Freia hörte ich 1968 an der Deutschen Oper in Berlin, es war Gundula Janowitz. Wie ähnlich bei späteren Rheingold-Aufführungen mit Arlene Saunders, Linda Plech oder Hellen Kwon hatte ich bei ihr das Gefühl, dass die besondere Magie ihrer glänzenden, nahezu vibratofreien Stimme bei der Freia nicht so richtig zur Geltung kam. Mehr Gewicht, sowohl musikalisch als auch darstellerisch, kommt Wotans Gemahlin Fricka zu. Meist war diese Partie gut besetzt, erwähnen möchte ich Patricia Johnson, Hanna Schwarz, Violeta Urmana und Katja Pieweck, aber auch Lilli Paasikivi.

Die szenisch interessanteste Aufführung sah ich am 21. August 2015 in Bayreuth. Es war auch der erste Besuch in diesem riesigen aber höchst unbequemen Theater. Auf der Drehbüh­ne befand sich eine originalgroße US-amerikanische Tankstelle mit ange­schlossenem Motel und hinten gelegenem Swimming-Pool (Bühne: Aleksandar Denić). Das imponierende Bauwerk füllte fast die gesamte Bühne aus. Alberich lag im Sonnenstuhl, zunächst verdeckt, die Rheintöchter tummelten sich am Pool. Schließlich zog Alberich ein glitzerndes Tuch aus dem Pool und verschwand. Das ganze wurde ständig von ei­nem Kameramann gefilmt und auf einen großen LED-Monitor übertragen, der dem Dach des Motels aufsaß. Wotan tummelte sich mit seiner Sippschaft im Ober­geschoss des Motels, sowohl Fricka als auch Freia lieb­kosend. Offenbar hatte sich hier an der Route 66 im Mittleren Westen der USA ein Mafiaboss niederge­las­sen. Bald erschienen Fasolt und Fafner, um Freia zu beanspruchen. Sie zierte sich mitzugehen, ihre Brüder Donner und Froh erwiesen sich als zu schwach, um sie vor den Gangsterbrüdern zu beschützen. Also ging es mit Loges Hilfe hinab zu den Nibelungen.

„Das Rheingold“ in Bayreuth 2015: Wilhelm Schwinghammer (Fasolt), Daniel Schmutzhard (Donner), Kirill Petrenko (Dirigent), John Dazak (Mime), Wolfgang Koch (Wotan), Albert Dohmen (Alberich) (Foto: R. Wegner)

Allerdings nicht wie gehabt in unterirdische Gefilde, sondern auf die Seite der Tankstelle. Dort haust Alberich in einem Wohnwagen. Wie würde Castorf, der Inszenator, den „Wurm“ zeigen? Ganz einfach, die Verwandlung fand unsichtbar vor dem Pub­likum in dem Wohnwagen statt, der Kameramann übertrug stattdessen auf den Großmonitor eine sich windende Würgeschlange, später sah man die Auf­nah­­me eines Frosches. Der Kassierer in der Tankstelle (stumme Rolle) wechselte schließlich die Flagge am Flaggenmast, zog eine Regen­bogenfahne auf und ver­wandelte die Verkaufsstelle in eine Art Schwulendisco, die später von Erda aufgesucht wurde. Nachdem Fa­solt endlich von seinem Bruder erschlagen war, be­setz­ten die Mitglieder der Gangsterfamilie schließlich alle strategisch wichtigen Positionen auf dem Dach des Motels und freuten sich auf ihr neues Wallhall. Dann schloss sich der Vorhang.

Es war besser als befürchtet. Meine Erwartungen an Büh­nenbild und Inszenierung gingen allerdings auch ge­gen Null. Das entscheidende Problem war, dass sich Wagners großartige Rheingoldmusik nicht gegen die bombastisch über­bordende Insze­nierung durchsetzen konnte. Woran lag das? Aus dem Orchestergraben erreichte ein wenig durchhörbarer, eher diffuser, an alten Radio-Monoklang erinnernder Schall das Ohr, eher hell und flach, ohne Tiefe, Wär­me oder Volumen. Dafür hörte man die Sänger 1A. Nie­mand musste sich gegen Wagners Klangwogen behaup­ten, wie sonst in „normalen“ Opernhäusern. Alle san­gen sehr wortverständlich, aber im Wesentlichen ohne stimmlich zu beeindrucken. Dirigiert hatte Kirill Petrenko.

Wagners Rheingold hat noch zahlreiche andere bedeutende Partien. Am entbehrlichsten fand ich immer Erda, die ein retardierendes Moment in die Ring-Tetralogie einbrachte. Die einzelnen Akte sind schon so unglaublich lang, und nun kommt auch noch Erda, um den Verlauf der Handlung zu verzögern. Die Sängerin dieser Partie muss schon unglaublich gut sein, um den Spannungsbogen zu halten. Die von mir zuletzt als Erda gehörte Doris Soffel beeindruckte mit ihrem herrschaftlich-dominanten Auftreten, also ihrer schauspielerischen Leistung, ihre immer noch strahlkräftige Stimme trübte allerdings ein ausgeprägtes, recht störendes Vibrato. An den Rheintöchter gab es eigentlich nie etwas auszusetzen, besonders erwähnen möchte ich Elisabeth Steiner, Hanna Schwarz, Hayoung Lee und Nadezhda Karyazina. Auch die Riesen Fasolt und Fafner waren in der Regel gut besetzt mit Kurt Moll, Hans Sotin oder Harald Stamm, Aage Haugland und Alexander Tsymbalyuk.

Fehlen noch die Götter Donner, Froh und Loge. Besonders Donner hat ja am Ende der Oper mit Schwüles Gedünst schwebt in der Luft … Heda! Heda! Hedo! Zu mir Gedüft! Ihr Dünste zu mir! Donner, der Herr ruft Euch zu Heer noch einen Ohrwurm zu singen. 1969 bis 1975 sang ihn schönstimmig Franz Grundheber, 1994 Wolfgang Koch und 2008 bis 2012 Jan Buchwald. Als Froh blieb mir Donald Grobe in Erinnerung, als Loge Heinz Kruse, Peter Galliard und zuletzt 2018 auch Jürgen Sacher. Mime hat im Rheingold ja nur einen eher kurzen Auftritt, Thomas Ebenstein war 2018 darstellerisch und gesanglich so überzeugend, dass ich neben ihm nur noch Gerhard Stolze (1969) und Peter Haage (1972-1975) erwähnen möchte.

Letztlich ist und bleibt Wagners Rheingold aber eine Orchesteroper, als Ring-Dirigent unerreicht blieb für mich der 2008 im Alter von 80 Jahren in der Schweiz verstorbene Horst Stein.

Er biederte sich nirgends an, weder bei den Interpreten, so berühmt sie auch sein mochten, noch bei den Medien, den Schallplattenfirmen oder dem Publikum. Er forderte Ton für Ton musikalische Gefolgschaft. Ihm ging es um Präzision und Genauigkeit. Und das forderte er auch von Sängern und Musikern. Das machte ihn durchaus nicht populär. Horst Stein war kein eingängiger Charakter. Eher war er hartnäckig. Er war auch kein Showmaker, wie es heute von Dirigenten gefordert wird, er flunkerte nicht und machte sich auch nicht interessant. Das überzeugte im Karajan-Zeitalter freilich nicht jeden. Demut war schon damals keine vermarktbare, also keine besonders gefragte Tugend eines Musikers. Doch Horst Stein blieb stets unbeirrt er selbst. Worauf es ihm ankam, brachte er, schlicht und einfach auf die Formel: „Musikmachen“.

Nachruf von Dieter David Scholz, 2008

Dr. Ralf Wegner, 12. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner

Ein Ensemble will zurück ins Opernhaus – „Das Rheingold“ auf dem Parkdeck Deutsche Oper Berlin, 22. August 2020

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Ein Gedanke zu „Meine Lieblingsoper (65): „Das Rheingold“ von Richard Wagner“

  1. Natürlich hat Rheingold eine leicht verständliche Handlung, doch die Regisseure von heute wollen alles nachvollziehbarer und transparenter machen. Diese Art von Scheinbegründung ist fast schlimmer als die dann folgenden Inszenierungen selbst. Ihre Meinung bzgl. Erda teile ich nicht. Wotan und Loge tun Alberichs Fluch als Gedöns ab, Erda klärt auf und warnt. Ohne diesen Auftritt wäre die weitere Handlung des Rings ganz anders verlaufen. Ihr Verweis auf die Nornen deuten auf das Ende hin.
    Musikalisch eingerahmt von aufsteigendem Naturmotiv und absteigendem Götterdämmerungsmotiv sehr eindrucksvoll und lediglich von anderen Szenen aus der Feder Richard Wagners zu toppen.

    Volkmar Heller

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