Meine Lieblingsoper, Teil 18: Igor Strawinskys THE RAKE’S PROGRESS

Meine Lieblingsoper, Teil 18: Igor Strawinskys THE RAKE’S PROGRESS  klassik-begeistert.de

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von Peter Sommeregger

Die 1951 am Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführte Oper Igor Strawinskys hat eine bemerkens- und erzählenswerte Vorgeschichte. Strawinsky hatte eine ausgesprochene Vorliebe für die opera buffa des 18. Jahrhunderts, fasziniert  von Mozarts „Cosi fan tutte“ und dem dramma giocoso „Don Giovanni“ wählte er dieses Genre als Stilmodell für ein neues Werk. Als Anregung für das Libretto in englischer Sprache diente keine literarische Vorlage, vielmehr ein Zyklus von Kupferstichen William Hogarths von 1733, der in mehreren Blättern den lasterhaften Aufstieg und Fall eines jungen Mannes im London der Barockzeit illustrierte.

Der Dichter Wystan Hugh Auden und sein Partner Chester Kallman entwickelten aus diesen Bildern eine schwarze Komödie, welche die sozialkritische Thematik Hogarths aber zugunsten einer märchenhaften, teils auch drastischen erfundenen Handlung veränderte. Das Resultat war ein höchst vergnügliches Stück, das Strawinsky außerordentlich inspirierte. In seiner Komposition persifliert er in gekonnter Weise Stilelemente der Barockoper, streckenweise kann man gar nicht glauben, dass es sich um ein Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts handelt. Die große Arie der weiblichen Heldin, Anne Truelove, hat eine klassische Gliederung in Rezitativ, Mittelteil und Cabaletta , sie schließt mit einem lange zu haltenden hohen C und ist wohl das bekannteste Stück der Oper.

Für die Produktion der Uraufführung in Venedig am 11.September 1951 zeichnete insgesamt die Mailänder Scala verantwortlich. Aus der Besetzung ragte die weltberühmte Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf als Anne deutlich hervor. Strawinsky, der das Werk selbst als Dirigent aus der Taufe hob, versicherte sich aber der Mitarbeit des deutschen Dirigenten Ferdinand Leitner, der angeblich bis zur Generalprobe die gesamte Probenarbeit leistete. Wenige Wochen später sollte er die deutsche Erstaufführung an der Stuttgarter Oper leiten. Tonbänder der Uraufführung haben sich beim Sender RAI erhalten, und erschienen später auf Vinyl und CD. Strawinsky spielte das Werk auch im Studio für die Schallplatte ein, die Besetzung folgte jener der Erstaufführung an der New Yorker Met, die aber von Fritz Reiner geleitet wurde. Aus der Besetzung sticht auch hier die Anne, gesungen von Hilde Güden heraus.

Der Uraufführung, die nur ein mäßiger Erfolg war, folgten zahlreiche Produktionen an großen internationalen Opernhäusern, lange im Repertoire gehalten hat sich das Werk aber nicht, was sich erst gegen das Ende des letzten Jahrhunderts änderte. Inzwischen wird die Oper wieder relativ häufig gegeben.

Die Wiener Staatsoper spielte das Werk erstmals 1965, gerade zu der Zeit, in die meine intensive Nutzung der Stehplätze des Hauses fiel. Meine Mutter fragte mich eines Tages ernsthaft „Wohnst du eigentlich schon in der Oper?“ Ein noch nie gehörtes Werk machte natürlich neugierig, und die Wiener Besetzung war auch ausgezeichnet. Anneliese Rothenberger war Anne Truelove, Waldemar Kmentt Tom Rakewell, und Eberhard Wächter sang den Nick Shadow. Für die groteske Rolle der Türkenbab hatte man die extravagante schwarze Sängerin Vera Little ausgesucht, als Bordellbesitzerin Mother Goose glänzte das ehrenwerte Ensemblemitglied Hilde Konetzni, Oscar Danon dirigierte. Für die Regie zeichnete Otto Schenk verantwortlich, der damals fast so etwas wie der Hausregisseur der Wiener Oper war. Er folgte klugerweise der Hogarth’schen Bildersprache, stellte beinahe die Tableaus der Originalstiche nach. Das gab der Aufführung eine Stimmigkeit und atmosphärische Dichte, wie ich sie seither in keiner anderen Aufführung erlebt habe.

Schwer verständlich, dass diese Produktion nach nur drei Aufführungen vom Spielplan verschwand. Ich war damals hell begeistert, in meiner neuen Wahlheimat München konnte ich die Oper nur einmal in einer schwachen Aufführung im barocken Cuvilliestheater sehen, später einmal im Berliner Schauspielhaus in einer konzertanten Aufführung.

Auf eine Neuinszenierung im Ausweichquartier der Berliner Staatsoper im Schillertheater freute ich mich sehr, aber die Regiearbeit Krzysztof Warlikowskis  trübte die Freude doch sehr. Warlikowski, der wie kaum ein anderer aktueller Regisseur die Verfremdung seiner Stoffe praktiziert, siedelte das Werk im Stile Andy Warhols in der Popart an. Die Türkenbab wurde von einem Countertenor gesungen, lediglich Florian Hoffmann und Anna Prohaska in den Hauptrollen gefielen mir. Trotz meiner großen Vorliebe für dieses Werk wollte ich diese Produktion kein zweites Mal sehen. Eine zum Saisonende 2020 an der Komischen Oper geplante Inszenierung fiel dem Corona-Lockdown zum Opfer.

Ein Trost sind die inzwischen zahlreichen CD- und DVD- Produktionen des Werkes, Furore machte eine von dem Maler David Hockney ausgestattete Aufführung 1975 in Glyndebourne, die Festivals von Salzburg und Aix en Provence haben ebenfalls ihre Produktionen aufgezeichnet. Mein Favorit ist aber nach wie vor die erste Studio-Aufnahme unter Strawinskys Leitung mit Hilde Güden, Eugene Conley und Blanche Thebom.

Was an dem Werk besonders besticht ist das Spiel mit barocken Ausdrucksformen, zeitweise meint man tatsächlich, gerade Musik des 18. Jahrhunderts zu hören. Eingestreut sind Zitate aus „Cosi fan tutte“, und das Schlusstableau aller handelnden Personen ist eine getreue Nachschöpfung des „Don Giovanni“-Finales. Die Sängerin und Dirigentin Barbara Hannigan tourte im letzten Jahr mit einer von ihr produzierten Aufführung durch mehrere Städte. Ich konnte sie in der Dresdner Philharmonie halbszenisch sehen, und war von dem interpretatorischen Ansatz Hannigans sehr angetan, endlich scheint das Werk- als eines der wenigen des späten 20. Jahrhunderts- ins Repertoire zu wachsen.

Peter Sommeregger,22. April 2020 für
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Peter Sommeregger

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