Meizon Ensemble, Megaron Mousikis, Foto: Sandra Grohmann
Meizon Ensemble
Agathangelos Georgakatos, Dirigent
Megaron Mousikis, Athen, 19. November 2022
von Sandra Grohmann
Zugegeben, in einem Memory-Spiel würde kaum jemand die Karten „Athen im November“ und „Klassische Musik“ als zusammengehörig erkennen. Athener Sommer und Freiluft-Festival: im Odeon des Herodes Atticus, im Theater in Epidaurus. Davon hat der eine oder die andere wohl schon gehört. Aber das Gebäude der Athener Oper und Konzerthallen, das „Megaron Mousikis“ sagt wohl den wenigstens Fremden etwas. Es war dann auch eher ein Zufallsfund, zu dem ich meine skeptische Begleitung überredete: Die Ankündigung eines a-capella-Männerchors klang einfach zu verlockend. Und den Verlockungen des Lebens soll man bekanntlich auf keinen Fall widerstehen. Auch dieses Mal hätten wir etwas verpasst.
Es fängt schon mit dem Publikum an. Athen im November, das heißt auch: nur wenige Touristen im Saal. Alles spricht Griechisch. Und wie Gottfried Pilz, der an diesem Haus vor Jahren einige schöne Inszenierungen verantwortet hat, einmal sagte: In Athen sieht man ja schon an jeder Supermarktkasse eine Hera oder einen Hephaistos sitzen. Für alle, die grad Kreide holen waren, als in der Schule die Götter Griechenlands dran waren: Hera ist die (zu Recht) ewig eifersüchtige Gattin des Zeus und Hüterin der Ehe; Hephaistos ist der von seiner Frau Aphrodite (römisch: Venus) mit dem Kriegsgott Ares (römisch: Mars) betrogene Gott der Schmiedekunst. Alles klar? Jedenfalls, solche Typen sieht man hier allenthalben.
So ein griechischer Konzertsaal ist also randvoll mit Leuten, die unmittelbar aus der Antike entsprungen sein könnten. Wir sehen auch den schönen Apoll – er ist der für die Künste zuständige Gott und praktisch dienstlich hier – sowie sämtliche Musen im Publikum. Und schließlich einundzwanzig plus einen auf ganz unterschiedliche Weise stattliche Helden auf der Bühne. Sie singen vor der Pause Gott zu Ehren (allerdings dem christlichen, der von Jerusalem über Griechenland in die Welt kam) und danach Weltliches.
Gemeinsam bilden sie seit 2018 das Meizon Ensemble. Das spricht sich, wenn man dem Platzanweiser glauben darf, „Miesón“ und macht Vergnügen. Wenn das Wort „musikantisch“ nicht so negativ besetzt wäre, dann wäre es hier sehr angemessen, weil es sich nicht um einen langweiligen Männergesangsverein dreht, sondern hörbar um Streiter in Sachen Musik. Helden eben, bloß Gottseidank nicht mit Schwert und Schild. Idioten gibt es anderswo schon mehr als reichlich. Diese hier sind das Gegenteil.
Auf ihrer Reise durch die Zeiten und durch Europa, von Adrian Willaert bis Arvo Pärt, von Franz Schubert bis Yannis Konstantinidis (hatte ich zuvor auch noch nie gehört), reißen uns diese Männer mit. Mein Begleiter gibt seinen Widerstand gegen den Konzertbesuch spätestens unter dem Einfluss von Rachmaninoff auf, das ist Punkt drei auf dem Programm. Auch Arvo Pärt mit seinen überbindenden monotonen, tragenden Stimmen hätten wir noch einige Zeit länger lauschen können. Die Bässe sind immer wieder hinreißend, wie sie Seelensaiten im Saal mitschwingen lassen.
Beeindruckend, soweit ich das beurteilen kann, die Textverständlichkeit, insbesondere weil überwiegend nur phonetisch gesungen worden sein kann, angesichts der Sprachvielfalt des Abends. Bei Schuberts „Ständchen“ sang der Chor verständlicher als die für diese eine Nummer überflüssigerweise hinzugeholte Mezzosopranistin (mit schöner Stimme, aber übertriebenem Vibrato: Theodora Baka) und setzte sich sogar gegen das ebenfalls nur hier verwendete Klavier durch (gefühlvoll, aber etwas zu laut, trotz nahezu geschlossenen Deckels: Yannis Aeriniotis).
Besonders gute Laune macht die rhythmische und dynamische Präzision des Ensembles. Fallrückzieher aus dem Fortissimo ins Pianissimo: kein Problem. Sieben-Achtel-Takt, Punktierungen: aber sowas von exakt ausgeführt. Und alles mit hoher musikalischer Spannung. Da muss man einfach mitschwingen. Beim Rausschmeißer, dem witzig gesetzten irischen Shanty „What Shall We Do With A Drunken Sailor“, wechselt die Mannschaft mühelos von Einstimmigkeit ins rhythmische Plappern in einen langsamen Dreivierteltakt und wieder zurück. Solchen Musikern sieht man während des Abends gern einen gelegentlichen Intonationspatzer nach, zumal es sich nur um vereinzelte Schwächen in überwiegend höchst passend aufeinander eingehenden Stimmen handelt.
Begeisterter Beifall. Als Zugabe der 5. Ungarische Tanz (g Moll) von Johannes Brahms, den der musikalische Leiter des Ensembles (der mit seinen Händen Musik modellierende Pygmalion alias Agathangelos Georgakatos) als noch etwas fremd ankündigt und reichlich langsam nimmt (Harnoncourt lässt grüßen): trotzdem würde man am liebsten aufstehen und lostanzen. Beschwingt verlässt eine Schar von Göttern, Helden und Musen das Megaron Mousikis und schwärmt in die noch laue Athener Nacht.
Sandra Grohmann, 22. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at