Melos und Logos: Von Einem, der auszog zu komponieren und einer Dichterin begegnete

„Melos und Logos“, Gottfried von Einem und HK Gruber  Oberdürnbach, Kirche zur Hl. Katharina, 24. Juni 2023

Foto: © R. Frühwirth, HK Gruber und Robert Lehrbaumer im Gespräch

Oberdürnbach, Kirche zur Hl. Katharina, 24. Juni 2023

HK Gruber
6 Episoden (aus einer unterbrochenen Chronik) für Klavier solo, op. 20

Gottfried von Einem
Sonate für Violoncello und Klavier, op. 76

HK Gruber
4 Stücke für Violine solo, op. 11

Gottfried von Einem
Musik für Solo-Cello, op. 108

Gottfried von Einem
Sonate für Violine und Klavier, op. 11

HK Gruber
Bossa Nova, op. 21E

Linda Hedlund, Violine
Francesco Mariozzi, Violoncello
Taiga Yamagata, Klavier
Chisaki Yuri, Klavier
Robert Lehrbaumer, Klavier


von Dr. Rudolf Frühwirth

„Melos und Logos“ – unter diesem Titel findet alljährlich ein Fest statt, das dem Gedenken an Gottfried von Einem gewidmet ist, und das – heuer zum ersten Mal – auch an seine unlängst verstorbene Frau, die Schriftstellerin und Dichterin Lotte Ingrisch erinnern soll, mit der GvE seit 1966 verheiratet war. Das Fest wird in dem kleinen Dorf Oberdürnbach veranstaltet, am Rande des niederösterreichischen Weinviertels.
Hier steht eine sehenswerte kleine Kirche mit frühgotischen Fresken, in der ein paar Dutzend Freunde und Verehrerinnen des Komponisten Platz finden. Gegenüber der Kirche steht das Haus, in dem GvE und Ingrisch lange gelebt haben und in dem er auch verstorben ist. Das musikalische Programm wird vom Wiener Pianisten, Organisten und Dirigenten Robert Lehrbaumer zusammengestellt. Er war GvE viele Jahre lang eng verbunden und hat zum Beispiel alle Solowerke für Klavier auf CD eingespielt. Heuer hat Lehrbaumer eine kleine Schar internationaler Solistinnen und Solisten in Oberdürnbach versammelt, um Werke von GvE und dessen Schüler HK Gruber zu präsentieren. Gruber, der auch als Chansonnier und Dirigent bekannt ist, feierte heuer seinen achzigsten Geburtstag und war selbst anwesend.

Robert Lehrbaumer, der musikalische Spiritus Rector von „Melos und Logos“, gab vor jedem Programmpunkt eine kurze erhellende Einleitung, die die wesentlichen Aspekte des folgenden Werkes erläuterte. Zu Beginn erklangen die 6 Episoden für Klavier solo von HK Gruber. Nach der Aussage des Komponisten beschreiben die sechs Stücke Stimmungen an sechs ausgewählten Tagen der Jahre 1966 und 1967. Sie bedienen sich eines durchaus Jazz-nahen Idioms, das aber nicht so konsequent angewendet wird wie etwa in Friedrich Guldas „Play Piano Play“. Die Harmonik ist eine originelle Synthese von Jazz, klassischer und freier Tonalität. Die Stücke mit ihren komplexen Basslinien verlangen eine rhythmusbetonte „groovige“ Spielweise. Diese gelang Taiga Yamagata und Chisaki Yuri ausgezeichnet, keine Selbstverständlichkeit bei klassisch ausgebildeten Künstlerinnen und Künstlern.

Die Sonate für Violoncello und Klavier ist ein Werk aus der mittleren Periode des Komponisten GvE. Ich würde es stilistisch als neoklassisch einordnen, besonders die ersten beiden Sätze. Das Adagio des dritten Satzes zeigt, dass GvE auch in der Tradition Schuberts und Bruckners steht, also ein durch und durch österreichischer Musiker ist, wie Lehrbaumer in seiner Einleitung betonte. Der letzte Satz ist dagegen sehr motorisch betont, fast brutal, mit eingestreuten choralartigen Episoden. Die brillante Interpretation durch Francesco Mariozzi und Taiga Yamagata fand den einhelligen Beifall des Publikums. Der letzte Punkt vor der Pause war ein Vortrag von Elena Fitzthum über Musik und Psychotherapie, der aber hier nicht weiter von Bedeutung ist.

Nach der Pause folgten zunächst die 4 Stücke für Violine solo von HK Gruber, einfühlsam gespielt von der finnischen Geigerin Linda Hedlund. Die Namen der vier Stücke – Elegie, Rhapsodie, Notturno und Concertino – verraten, dass sie vor allem eine gewisse Atmosphäre beschreiben wollen oder von ihr inspiriert sind. Den Ausklang des zweiten Teils bildeten ein Spät- und ein Frühwerk von GvE, dazwischen Texte von Lotte Ingrisch, vorgetragen von Adeline Großegger. Die Musik für Solo-Cello, eines der letzten Werke von GvE, kann und will das Vorbild Johann Sebastian Bach nicht verleugnen. Freilich hat der Vollblutmusiker GvE jedem Satz seinen Stempel aufgeprägt. Der erste, „Moderato“, ist eine moderne Interpretation der barocken Courante. Der zweite, „Canzone, Andante“, ist elegisch-träumerisch gehalten. Der dritte mit der Bezeichnung „Mäßig schnell“ ist lebhaft und zeigt wieder Einflüsse aus der Welt des Jazz. Der letzte Satz, „Marsch“, erinnert mit seinen punktierten Rhythmen an eine französische Ouvertüre. Francesco Mariozzi bot eine überzeugende Leistung am Cello.

Foto © R. Frühwirth, Linda Hedlund und Robert Lehrbaumer

Die abschließende Sonate für Violine und Klavier zeigt den ungestümen jungen Komponisten; Lehrbaumer bezeichnete sie in seiner Einführung als die „Jazz-Sonate“. Der erste Satz ist ein rhythmisches Labyrinth im 7/8-Takt, in dem sich Linda Hedlund und Robert Lehrbaumer unbeirrt zurechtfanden. Der zweite Satz ist meditativ, während der dritte wieder unbekümmert und witzig auf Jazz-Elemente zurückgreift, unter anderem auf den Jazz-Standard „Jeepers Creepers “ – zur Entstehungszeit durchaus riskant. Großer Beifall animierte die beiden Interpreten zu einer glänzend gespielten Zugabe, dem „Bossa Nova“ von HK Gruber.

Nach dem Konzert wurde am Sterbehaus von GvE eine Gedenktafel enthüllt, die an seine langjährige Gefährtin Lotte Ingrisch erinnert. Traditionell findet das Fest bei Wein und Brötchen einen geselligen Ausklang. Ich rate allen Liebhabern der Musik von GvE, und besonders jenen, die wie ich wenig außer seinen Opern kennen, im nächsten Jahr nach Oberdürnbach zu „Melos und Logos“ zu kommen. Sie werden nicht enttäuscht werden!

Dr. Rudolf Frühwirth, 28. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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