Foto: © Christian POGO Zach
Gärtnerplatztheater München, Premiere, 11. Oktober 2018
Gottfried von Einem, Dantons Tod
Libretto frei nach Georg Büchner eingerichtet von Boris Blacher und Gottfried von Einem
von Barbara Hauter
Das Gärtnerplatztheater traut sich was. Die Volksoper, die für „Die lustige Witwe“ und „Das weiße Rössl“ steht, bringt zum 100. Geburtstag Gottfried von Einems dessen Oper „Dantons Tod“ auf die Bühne. Und die ist das Gegenteil von leichter Kost: eine verstörende, grausame Revolutionsgeschichte mit lauter moderner Musik. Das Publikum verträgt die Zumutung nicht nur, sie findet sie richtig gut. Die Premiere wird mit Bravi belohnt. Kein Wunder, denn das Stück, das mehr Musikdrama als klassische Oper ist, wirkt erschreckend aktuell. Und ist auch ganz bewusst so inszeniert. Das geht unter die Haut.
Von Einems Oper spielt in Paris des Jahres 1794, kurz nach der Revolution. Danton, einer ihrer Hauptakteure, ist träge geworden und gibt sich dem schönen, bequemen Leben hin. Robespierre, der verbissene Jakobinerführer, glaubt die revolutionäre Moral für sich gepachtet zu haben und lässt massenweise hinrichten. Aber auch die Stimmung im Volk ist aufgeheizt. Es genügt, sich mit einem Taschentuch als Angehöriger des Adels verdächtig zu machen, um beinahe gelyncht zu werden. Danton sucht ein Gespräch mit seinem Gegenspieler Robespierre, doch das geht gründlich schief. Robespierre lässt Danton verhaften. Die Öffentlichkeit wird gegen Danton aufgehetzt, das Gerichtsverfahren ist eine Farce. Danton und seine Freunde werden zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Salzburg 1947. Die Stadt ist voller Flüchtlinge, die Erinnerung an aufgehetzte Massen und faschistischen Gräueltaten frisch. Auf den Festspielen wird von Einems Oper uraufgeführt. Sie ist ein voller Erfolg und macht den Komponisten auf einem Schlag international bekannt, denn sie trifft den Nerv der Zeit.
Im München des Jahres 2018 ist Einems Musikdrama für Regisseur Günter Krämer hochaktuell. Aller politischer Fortschritt scheint umsonst, die Früchte der Revolution werden aufgefressen. „Ein Ausdruck politischer Resignation“, sagt Krämer. „Das Gefühl ist mir nicht so fremd, ich habe dasselbe Gefühl im Moment in unserer politischen Wirklichkeit.“
Krämer versetzt Danton in eine farb- und hoffnungslose Jetzt-Zeit. Auf einer riesigen elektronischen Anzeigetafel leuchten Texte von Büchner. Ein schlichter Tisch am vorderen Bühnenrand, auf dem gefeiert und gemordet wird, ist Gefängnis und Schafott. Ein kühles Bühnenbild, die Emotionen kommen von Text, Musik und der Schauspielkunst seiner Akteure. Sein Chor ist handlungstragend, er ist der Mob, die leicht zu beeinflussende Menschenmenge. Ganz in schwarz in Hoodies und mit Kappen marschiert er unter schwarzen Fahnen – und Beklemmung steigt in einem auf. Und er ist die grölende Zuschauermenge, die den Gerichtsprozess gegen Danton aus den Rängen singend kommentiert. Zum Gänsehaut bekommen. Spätestens, als der Chor blutrote Flugblätter ins Parkett regnen lässt, ist kaum ein Zuschauer mehr unberührt. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“ steht darauf.
Die Solisten müssen hart ran, die Oper ist für alle Stimmen schwer zu singen. Mathias Hausman gibt den Danton so glaubhaft wie Daniel Prohaska den Robespierre, beide als stimmlich und schauspielerisch ebenbürtige Gegenspieler. Emotionale Gegensätze zu den beiden politischen Hauptakteuren sind Dantons sensibler Freund Camille, ein romantischer Tenor, der an der Realität zerbricht, und seine Frau Lucile, die eine lyrische Sopranpartie singt, bevor sie am Ende verrückt wird und in den Freitod geht.
Nein, kein Stückchen Hoffnung gibt der Regisseur dem Zuschauer mit auf den Weg. Aber er hämmert uns Bilder ins Gehirn: Die Verhafteten, dann Verurteilten stehen fast den gesamten zweiten Akt zitternd vor Todesangst dicht gedrängt und nur in Unterhosen bekleidet auf dem Schafott. Denn jenseits vom Politischen geht es in „Dantons Tod“ ums Sterben. Und weder Musik noch Bilder sind dabei leise. Sie schreien das Leid der Menschen heraus.
Das soll, muss, darf Musiktheater auch leisten: Aufrütteln und Herausfordern. Fantastisch, wenn das mit so einer grandiosen Leistung des gesamten Teams gelingt. Die Bravi – auch für Chor und Orchester – sind mehr als verdient. Chapeau!
Barbara Hauter, 13. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung: Anthony Bramall
Regie: Günter Krämer
Georges Danton: Mathias Hausmann
Camille Desmoulins: Alexandros Tsilogiannis
Hérault de Séchelles: Juan Carlos Falcón
Robespierre: Daniel Prohaska
Saint-Just: Levente Páll
Herrmann: Liviu Holender
Simon: Christoph Seidl
Ein junger Mensch: Stefan Thomas
Julie: Sona MacDonald
Lucile Desmoulins: Mária Celeng
Eine Dame: Frances Lucey
Simons Weib: Ann-Katrin Naidu
Solo-Klarinette: Rolf Weber
Chor und Statisterie des Gärtnerplatztheaters
Mit gesprochenen Texten aus Georg Büchners „Dantons Tod“