HK Gruber feiert seinen 75. Geburtstag mit Werken der jüngsten österreichischen Musikgeschichte

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 12. Januar 2018
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
HK Gruber, Dirigent
Håkan Hardenberger, Trompete
Gottfried von Einem, Capriccio op. 2 (1942-1943)
Bernd Richard Deutsch, subliminal (2010)
Kurt Schwertsik, Zeit-Wind/Stern-Zeit. Eine Taschenkosmogonie op. 83 (2000)
HK Gruber, Konzert für Trompete und Orchester „Aerial“ (1998-1999)
Friedrich Cerha, Impulse für Orchester (1992-1993)

von Julian Dworak

Gemütlich schritt HK Gruber am Abend des 12. Januars Richtung Dirigentenpult des Wiener Konzerthauses. Nach einem kurzen Applaus gab der sympathische gebürtige Wiener dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien den Auftakt zu Gottfried von Einems Capriccio op. 2.

Die Musik begann ruckartig und sturmhaft. Dominierende Streicher bestritten einen feurigen Tanz mit der Bläsergruppe. Dann ein humorvolles Klarinetten-Solo, übernommen von der Querflöte. Aus einer spannungsaufbauenden Überleitung entspross ein romantisch geprägter Mittelteil, immer wieder durch kurze Off-Beat-Einwürfe der Blechbläser ergänzt. Danach wurden die Motive des Anfangs wieder aufgegriffen und erweitert, bis die Musik nach einem milden Auftürmen ein jähes Ende fand.

Einems Capriccio war eine gelungene Ouvertüre zu einem Abend, der ganz im Zeichen des 75 Jahre alten Jubilars stand. HK Gruber, der im Jahre 1963 die Kompositions-Meisterklasse von Gottfried von Einem besuchte, gilt als einer der führenden österreichischen Komponisten der Gegenwart.

Dieses Jubiläum feierte der studierte Hornist wie Kontrabassist Nali – wie HK Gruber liebevoll beim Spitznamen genannt wird – auf musikalische Weise. Dabei im Köcher hatte er Werke seiner Weggefährten und Freunde, und eine Eigenkomposition durfte natürlich auch nicht fehlen!

Doch zuerst stand ein Werk des 43 Jahre alten Komponisten Bernd Richard Deutsch auf dem Programm. „subliminal“, zu Deutsch unterschwellig, beschäftigt sich auf symphonische Weise mit der Tatsache, dass jeder physikalische Vorgang, jede biologische Struktur nur auf oberflächliche Weise verstanden werden kann. Der größere Plan dahinter bleibt der menschlichen Wahrnehmung bis dato verborgen.

Wie zersplitterndes Glas, bei dem jeder weitere Splitter wiederum in tausend Einzelteile zerfällt, bis nur noch Staub und zu guter Letzt nichts mehr vorhanden ist. Solche Bilder erweckte der Einstieg in diese Komposition. Die Stimmen der Streicher entschwanden bald in den luftleeren Raum. Eine sehr gelungene Einleitung zu einem Werk bestehend aus vier kontrastierenden Teilen.

Im späteren Verlauf waren unter anderem die Perkussionisten gefordert. Eine Sirene (mit rotem Knopf bedienbar) und ein einfacher Stock auf Metall geschlagen, hatten einen wichtigen Anteil an der dichten, stimmungsgeladenen Atmosphäre des Werkes.

Kurt Schwertsiks vierteiliges Zeit-Wind/Stern-Zeit. Eine Taschenkosmogonie begann mit einer Verfolgungsjagd. Die Musik ließ keine Ruhe, ermöglichte kein Durchatmen. Unaufhörlich spielte das Orchester im getriebenen Rhythmus.

Doch dann Ruhe und Harmonie. Simple ineinander gewebte Akkorde, Ton-Filamente, kreisten nun zeitlos in die Ewigkeit. Ein perpetuum mobile entstand.

Der dritte Teil erinnerte aber wieder an die Realität, doch nicht mit dem Nachdruck des ersten Teils.

…doch dann, vor dem Finale, Applaus des Publikums. Ja es ist selten gespielte Musik, aber bitte doch ein bisschen mehr Geduld mit dem Beifall. Ein genauerer Blick auf den Dirigenten und die Musiker verrät doch, ob das Werk schon zu Ende ist oder nicht.

Eine durch eine Kurbel bedienbare Windmaschine stand im letzten Teil im Mittelpunkt. Die Windmaschinen-Spielerin konnte sich angesichts ihrer würdevollen wie auch anstrengenden Aufgabe ein Schmunzeln nicht verkneifen. Diese hohle Trommel erzeugte windige Geräusche, die den exponentiellen Anstieg der gefühlten verstrichenen Zeit symbolisieren sollten. Denn je älter man wird, desto schneller vergeht sie, so Schwertsiks Fazit.

HK Grubers bekannteste Komposition ist vermutlich die Vokalkomposition Frankenstein. Aber auch Konzerte für Solo-Instrumentalisten schneiderte er den jeweiligen Musikern von Weltrang auf den Leib. Für Ernst Kovacic zwei Violinkonzerte, für Yo-Yo Ma ein Cello-Konzert und für den Schweden Håkan Hardenberger das hochvirtuose Trompeten-Konzert Aerial.

Als HK Gruber an den Möglichkeiten und Grenzen der Trompete interessiert war, lud er Hardenberger zu sich nach Hause ein, um sich die Trompete genauer zeigen zu lassen. Eine Spieltechnik, die für Gruber dabei besonders von Interesse war, war das sogenannte Multiphonics. Dabei handelt es sich um eine Technik für Blasinstrumente, mit der ein einzelner Bläser mehrere Töne überlagern kann. Ganze Akkorde sind damit spielbar. Für Horn und Oboe war Multiphonics schon etabliert, bei der Trompete wurde diese Spieltechnik bis zu HK Grubers Komposition gemieden. Und mit diesen schwierig zu kontrollierenden Multiphonics-Tönen begann auch das zweisätzige Aerial.

Hardenberg präsentierte dreistimmig Akkorde, welche bis zu den tiefsten Registern der Trompete hinunterreichten. Das Orchester stand dabei nur im Hintergrund. Schleichend näherten sich die undefinierten Töne des Solisten einer Melodie und die Harmonien wurden expliziter. Ein Jazz-Solo entstand! Ein expressives Jazz-Solo, dass nicht einmal vor dem Einsatz eines Kuh-Horns gefeit war.

Dass man so virtuos mit einem so einfachen Gegenstand wie einem Kuh-Horn spielen kann, beeindruckend!

…doch dann, in der Ruhe vor dem Sturm des zweiten Satzes, ein Handy. Wenn es genau einen Moment an diesem Abend gab, in dem kein Handy läuten durfte, dann war es dieser. Jazz-Musiker würden es Microtiming nennen. Einigen Konzertbesuchern gewann es ein Lächeln ab, manch anderer war aber sichtlich erbost.

Doch Hardenberg war so entspannt auf der Bühne, er verzog nicht eine Miene. Somit konnte der zweite Satz ungehindert seinen Lauf nehmen.

Jetzt war es tänzerisch, rhythmisch und ganz und gar Igor Strawinsky. Die orchestrale Klangdichte im Stile des russischen Komponisten wurde durch eine spielerische Diskussion zwischen Trompete und Orchester gegen Ende geleitet.
Hardenberg ging mit seinem Instrument Richtung Pianist und spielte den letzten Ton des Werkes in den geöffneten Innenraum des Klaviers. Der Hall dieses Tones blieb ein paar Sekunden schwerelos im Raum.

Als krönender Abschluss waren vertonte Impulse des österreichischen Komponisten-Altmeisters Friedrich Cerha auf dem Programm. Die Impulse für großes Orchester strotzen nur so vor Vielfältigkeit. Ideen wurden oftmals sehr kontrastreich aneinandergereiht. Ganz und gar impulsiv. In einer Kaskade immer wiederkehrender Eruptionen – vielfache Forte, durch Pauken unterstützt – endete das Stück mit dem plötzlichen Verstummen aller Instrumente.

Sofort bat HK Gruber den mit 92 Jahren noch äußerst mobilen Friedrich Cerha auf die Bühne. Gemeinsam ließen sie sich feiern und dies auch zu Recht, denn beide durften auf einen gelungenen Abend zurückblicken.

Die Werke waren exzellent ausgewählt – Elemente wie Rhythmus, Tanz und Kontrast zogen sich wie ein roter Faden durch einen abwechslungsreichen Abend. Auch die anspruchsvollen Bläserstellen wurden vom Orchester mit Bravour gemeistert und die nötige dynamische Explosivität bis zum Ende beibehalten.

Schade, dass doch einige Plätze an diesem Abend leer geblieben waren, denn die Vielfalt und Kreativität der zeitgenössischen Musik Österreichs verdient mit Garantie mehr Aufmerksamkeit als ihr derzeit zu Teil wird.

Julian Dworak, 13. Januar 2017, für
klassik-begeister.at

Foto: Jon Super

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