© Florian Ganslmeier
Ich bin tief berührt. Im Inneren wie auch im Äußerem. Ich darf den Ausführenden in der Pinakothek der Moderne in München sehr nahe sein. Diese Musik, die Körper, die den Klang zum Erleben bringen, die Körper, die den Klang absorbieren: all das lebt, unmittelbar, gemeinsam, zusammen, hier und jetzt. Fantastische Momente!
Nachtmusik der Moderne
Komponistenportrait Pēteris Vasks
Anastasia Kobekina Violoncello
Musikalische Leitung Yuki Kasai
Pinakothek der Moderne, München, 15. März 2025
von Frank Heublein
Seit zwanzig Jahren gibt es die Zusammenarbeit des Münchner Kammerorchesters, kurz MKO, und der Pinakothek der Moderne in München. Denn die ausgewählten Komponisten und Komponistinnen der Nachtmusik der Moderne entsprechen genau dem zeitlichen Bereich, den die neueste der Pinakotheken in München bildnerisch abdeckt. An diesem Abend ist Pēteris Vasks zugegen. Dem 79-jährigen Letten ist das Komponistenportrait dieses Abends gewidmet.

Das gehört zum Konzept der Nachtmusik dazu: das Einführungsgespräch wann immer möglich mit dem Komponisten oder der Komponistin selbst. Keine drei Meter von Pēteris Vasks sitze ich also entfernt. Er ist in Erzähllaune. Mark Sattler, Dramaturg fürs Lucerne Festival, könnte andere Pläne gehabt haben. Er lässt der Erzähllaune Vasks jedoch ihren Lauf. So darf ich den Komponisten kennenlernen. Als Kind auf der Geige angefangen, auf den Kontrabass umgestiegen. Orchestererfahrung gesammelt und dann Komposition studiert. Seine Präferenz für Streicher, besonders fürs Cello drückt er aus. Ein wunderschöner Moment: Vasks intoniert eine Melodie, der ganze Saal hält mit mir den Atem an. Ich höre und meine auch seine Töne im Raum schweben zu sehen.
Seine Kompositionen fühlen sich an wie seine Kinder, sagt Vasks. Wie jedem Kind, gibt er jeder Komposition Namen zur Veranschaulichung. Der dritte Satz seiner ersten Sinfonie „Stimmen“ heißt „Stimme des Gewissens“. Was in Zeiten der Loslösung des Baltikums von der UdSSR und der Entstehung der Sinfonie 1991 galt, gilt heute ganz genauso.
Nicht alle Zuhörer und Zuhörerinnen sind auf den Beginn der Sinfonie vorbereitet. So leise, zart beginnt die Sinfonie. Wehmütig sehnsüchtig ist dieser erste Satz. Das MKO spielt präzise und mit einem fantastisch transparenten Klang. Es lohnt sich klanglich, auf der Rotunde oberhalb des Orchesters zu stehen. Der zweite Satz alert, voller Leben und Freude. Der dritte zum Teil tonal driftend, mit schroffen Generalpausen, verhallt nachdenklich. So wie viele seiner Kompositionen – sagt Vasks. Ein verhallendes Ende demonstriert die Ewigkeit, das Ende in dem zugleich die Seele neugeboren wird.

Anastasia Kobekina ist die Solistin des Cellokonzerts Nr. 2, das Vasks für die Cellistin Sol Gabetta geschrieben hat. In Kobekinas Spiel spüre ich unglaublich viel Energie, intensive Leidenschaft. Ich denke fasziniert, dass sie grandios hinbekommt, den brodelnden Vulkan der Komposition zu kontrollieren, so exakt auf die Saiten zu bringen. Wow! Das Cellokonzert beginnt mit einer langen Kadenz, die in ein spannungsgeladenes Andante übergeht. Atem raubend. Einem aggressiveren Allegro folgt ein Andante, das mit einer stimmlichen Intonation der Solistin Kobekina, welche den zarten Celloklang begleitet, verhallt.

Ich bin tief berührt. Im Inneren wie auch im Äußerem. Ich darf den Ausführenden hier sehr nahe sein. Den Komponisten ansprechen? Geht. Cellistin Anastasia Kobekina lässt sich mit anderen Personen nach dem Konzert in der Rotunde fotografieren. Möglich für alle Zuschauer? Glaube ich. Der Mensch, Pēteris Vasks, der diese Musik komponiert hat, steht einfach mal so rum nach dem Konzert. Die ausführenden Musikerinnen und Musiker, die sich unter das Publikum mischen. Diese Musik, die Körper, die den Klang zum Erleben bringen, die Körper, die den Klang absorbieren: all das lebt, unmittelbar, gemeinsam, zusammen, hier und jetzt. Fantastische Momente!
Frank Heublein, 17. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Einführungsgespräch mit Pēteris Vasks und Mark Sattler
Sinfonie Nr. 1 ›Stimmen‹ (1991)
Cellokonzert Nr. 2 ›Präsenz‹ (2011/12)
Besetzung
Anastasia Kobekina Violoncello
Yuki Kasai Leitung und Konzertmeisterin
Münchner Kammerorchester – Streicher
Spielzeitpräsentation BSO und BSB 2025/26 Bayerische Staatsoper, München, 16. März 2025
31. Konzertserie „Liederleben“ mit Mauro Peter, Tenor Schloss Nymphenburg, München, 15. Februar 2025
Nozomi – Masako Ohta, Piano, Matthias Lindermayr, Trompete Schwere Reiter, München, 13. Februar 2025