Mussorgskys „Chowanschtschina“ lässt tief in die russische Seele blicken

Modest Mussorgsky, Chowanschtschina, Fassung von Dmitri Schostakowitsch  Staatsoper Unter den Linden Berlin, Premiere, 2. Juni 2024

Ensemble © Monika Rittershaus

Claus Guth hat einen prächtigen Bilderbogen entwickelt, der, vom Bühnenbildner Christian Schmidt und der Kostümbildnerin Ursula Kudrna luxuriös ausgestattet, ein ästhetisches Vergnügen darstellt. Aber trotz Übertitelung bleibt die Handlung schwer durchschaubar, auf den Bühnenhintergrund projizierte Texte sind schlecht lesbar, also gibt man sich einfach nur der Schönheit der Musik hin.

Modest Mussorgsky
Chowanschtschina
Fassung von Dmitri Schostakowitsch
mit dem Finale von Igor Strawinsky

Fürst Iwan Chowanski   Mika Kares
Fürst Andrei Chowanski   Najmiddin Mavlyanov
Fürst Wassili Golizyn   Stephan Rügamer
Marfa   Marina Prudenskaya

Inszenierung   Claus Guth

Bühnenbild   Christian Schmidt
Kostüme  Ursula Kudrna

Staatsopernchor
Kinderchor der Staatsoper
Staatskapelle Berlin

Musikalische Leitung    Simone Young

Staatsoper Unter den Linden Berlin, Premiere, 2. Juni 2024

von Peter Sommeregger

Die von Modest Mussorgsky bei seinem Tod 1881 unvollendet hinterlassene Partitur der Oper „Chowanschtschina“ wurde zeitnah von seinem Kollegen Rimsky-Korsakow in eine aufführbare Form gebracht, und erlebte 1886 ihre Uraufführung. Zur Aufführung kommt Unter den Linden nun eine spätere, von Dmitri Schostakowitsch erstellte Instrumentierung, mit dem von Igor Strawinsky komponierten Finale.

Die düstere Handlung beschreibt historische politische Vorgänge im Zarenreich des späten 16. Jahrhunderts, wobei die einzelnen Handlungsstränge nicht ganz leicht zu entwirren sind. Mehrere bärtige Männer mit dunklen Stimmen machen es dem Publikum nicht leicht, den roten Faden konstant im Blick zu behalten. Man kann darin aber auch eine Parabel über das russische Volk erkennen, das zumindest in Teilen seit Urzeiten von brutalen Herrschern unterdrückt wurde, und wie dezente aktuelle Andeutungen illustrieren, aktuell immer noch wird.

Andrei Popov (Schreiber) und Ensemble © Monika Rittershaus

Claus Guth hat einen prächtigen Bilderbogen entwickelt, der, vom Bühnenbildner Christian Schmidt und der Kostümbildnerin Ursula Kudrna luxuriös ausgestattet, ein ästhetisches Vergnügen darstellt. Aber trotz Übertitelung bleibt die Handlung schwer durchschaubar, auf den Bühnenhintergrund projizierte Texte sind schlecht lesbar, also gibt man sich einfach nur der Schönheit der Musik hin, die zwar ohne markante Höhepunkte wie etwa in „Boris Godunow“ auskommt, aber von der künstlerischen Urkraft des unglücklichen Modest Mussorgsky durchdrungen ist.

Simone Young © Sandra Steh

Simone Young, mit der Staatskapelle seit ihren Berliner Lehrjahren bestens vertraut, behält souverän den Überblick über die komplexe Partitur, die große Zahl von Solisten und den hervorragend disponierten Chor, der wohl symbolisch für die Stimme des gequälten Volkes steht und mit bewundernswerter Präzision singt und spielt.

Mika Kares (Fürst Iwan Chowanski) und Ensemble © Monika Rittershaus

Der finnische Bass Mika Kares verleiht dem Fürsten Iwan Chowanski die Autorität seines schwarzen Basses, in der Rolle seines Sohnes Andrei kann sich Najmiddin Mavlyanov mit markantem Tenor behaupten. Als seine verstoßene Geliebte Marfa wird Marina Prudenskaya zur zentralen Figur der Aufführung. Ihr geschmeidiger Mezzosopran strahlt Wärme aus und charakterisiert damit die in ihrer Liebe unerschütterliche Frau sehr stimmig.

Marina Prudenskaya (Marfa), Stephan Rügamer (Fürst Wassili Golizyn) und Ensemble © Monika Rittershaus

Ausgezeichnet auch Stephan Rügamer in der Rolle des Fürsten Golizyn, für die sich sein Charaktertenor bestens eignet. Taras Shtonda als Dossifei, George Gagnidze als Bojar Schaklowity, und eine Reihe weiterer kleiner Rollen, die sämtlich gut besetzt sind, komplettieren ein Ensemble, das äußerst geschlossen wirkt, und einen sehr stimmigen Gesamteindruck hinterlässt.

Angenehm überrascht von dem eher unbekannten Werk findet der intensive Beifall am Schluss beinahe kein Ende. Er belohnt eine großartige Gesamtleistung aller Beteiligten, wobei dem Staatsopernchor eindeutig die Siegespalme des Abends gebührt.

Peter Sommeregger, 3. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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