Alexander Tsymbalyuk, Ensemble © Barbara Aumüller
Die Frankfurter Oper zeigt den “Boris Godunow” von Modest Mussorgski in einer integralen, selten gespielten Fassung, die von Dmitri Schostakowitsch instrumentiert wurde. Unter der musikalischen Leitung vom Generalmusikdirektor Thomas Guggeis und in der Inszenierung von Keith Warner begeistern Alexander Tsymbalyuk in der Titelrolle und Andreas Bauer Kanabas als Mönch und Geschichtsschreiber Pimen, sowie das ganze Frankfurter Opernensemble.
Modest P. Mussorgski (1839-1881)
BORIS GODUNOW
Oper in vier Akten mit Prolog (Text vom Komponisten)
Fassung von Dmitri Schostakowitsch (1939/40)
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Keith Warner
Bühne & Kostüme: Kaspar Glarner
Oper Frankfurt, 6. November 2025
von Jean-Nico Schambourg
In seiner Inszenierung streicht Regisseur Keith Warner heraus, was Politik mit einem Menschen tun kann. Seine Vision beschränkt sich dabei nicht ausschließlich auf Russland und die Zarenzeit, auch wenn Bühnenbild und Kostüme von Kaspar Glarner auf die dortigen Verhältnisse aus der Zeit hinweisen.
Boris Godunow ist ein zweifelnder Herrscher, von Gewissensbissen geplagt. Nicht nur der Mord an Dimitri, dem rechtmäßigen Zaren vor ihm, auch die Hungerprobleme seines Volkes nagen an seiner Seele. Er verschanzt sich in seine Welt, hier toll symbolisiert von einem Fabergé-Ei, und sucht Zuflucht in seiner Familie. Aber auch hier findet er nicht das erwünschte Heil. Der Bräutigam seiner Tochter ist verstorben und die politischen Probleme dringen auch hier auf ihn ein.
Dafür sorgt der intrigante Fürst Schuiski, der Godunows Wahnvorstellungen von dem Mord an Dimitri fördert. Regisseur Warner lässt zu dieser Szene ein riesiges Uhrwerk per Video projektieren, das zeigt, wie ein Zahnrädchen in das andere greift. Sogar ein Zar kann dem nicht entrinnen.

Alexander Tsymbalyuk ist dieser introvertierte Boris. Dessen Zweifel und Ängste weiß er stimmlich mit seinem prächtigen Bassbariton wunderbar auszudrücken: Liebevoll väterlich seine Stimme in den Szenen mit Xenia und Fjodor, hart und autoritär Schuiski gegenüber, dann von Wahnvorstellungen geplagt. Dabei verliert er gesanglich nie die Linie. Der Ton ist ihm ebenso wichtig wie das Wort.
Seine Gestaltung der Sterbeszene des Boris ist sehr bewegend: Angst um die Zukunft seiner Kinder, Angst vor dem Tod, ein letztes Aufbäumen, dann im Tode einige Worte der Bitte um Verzeihung. Für all dies findet Tsymbalyuk die richtige Klangfarbe und Intensität.
Dagegen kann Andreas Bauer Kanabas mit voller Stimmkraft die Anklage des Mönches und Geschichtsschreibers Pimen vorbringen. Er ist der musikalische Gegenpol zu Boris Godunow. Herrlich seiner runden tiefen Bassstimme zuzuhören, die balsamisch daher strömt.

Dmitry Golovnins Tenorstimme besitzt nicht dieselbe Klangschönheit. Allerdings passen Timbre und Vortrag zu der Rolle des falschen Dimitri. Im sogenannten Polenakt funkt in seiner Stimme aber auch Liebesglut auf für Marina. Diese wird mit viel Erotik in Stimme und Auftreten von Sofija Petrović gestaltet. Mit üppigem Mezzosopran weiß sie, die Verführungskünste der kalten, karrieregeilen Marina darzustellen. Auch der Jesuit Rangoni, überzeugend gesungen von Thomas Faulkner, kann sich dieser erotischen Ausstrahlung nicht entziehen.
Karolina Makula ist ein aufgeweckter Fjodor, AJ Glueckert ein fieser Fürsten Schuiski. Hervor zu streichen ist, dass ein großer Teil der Rollen von Frankfurter Ensemble-Mitgliedern gesungen wird. So auch zum Beispiel singt Claudia Mahnke die Schankwirtin, Peter Marsh den Missail, Anna Nekhames Xenia, Boris’ Tochter und nicht zu vergessen Michael McCown, dessen Gestaltung des Gottesnarren ebenfalls zu den absoluten Höhepunkten des Abends zählt.
Auch alle anderen Interpreten zeigen das außerordentlich hohe Niveau des Frankfurter Opernhauses.
Dazu gehört natürlich auch Chor, Extrachor und Kinderchor, einstudiert von Álvaro Corral Matute, die an diesem Abend eine weitere Glanzleitung vollbringen.
Zum Schluss muss auch die brillante Leistung des blendend aufgelegten Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung des Generalmusikdirektors Thomas Guggeis gewürdigt werden. Guggeis hat sich für die Aufführung der von Dmitri Schostakowitsch in den Jahren 1939/1940 instrumentierten Fassung der Oper entschieden. Diese legt erstens die vollständige Version der Mussorgski-Oper vor und ist zweitens viel mehr dem musikalischen Sinne des Komponisten verhaftet als die Version von Rimsky-Korsakow, der die Schroffheit der Instrumentation von Mussorgski zu glätten versuchte.
Dank der großartigen musikalischen Interpretation des Orchesters erscheint die in Frankfurt gespielte Fassung zu jedem Moment als “richtig”. Schroff, manchmal unvollendet und brutal erscheint die Partitur. Doch bei aller musikalischer Intensität werden die Sänger nie überdeckt.
Diese Aufführung erweitert die Reihe der vielen glanzvollen Opernabenden, die man seit einigen Jahren regelmäßig an der Oper in Frankfurt erleben kann und sollte man sich, wenn möglich, unbedingt ansehen!
Jean-Nico Schambourg, 9. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Modest P. Mussorgsky, Boris Godunow Staatsoper Hamburg, 8. Oktober 2024
Modest P. Mussorgsky, „Boris Godunow“ Staatsoper Hamburg, 16. September 2023 PREMIERE