MCO Maxim Emelyanychev, Anastasia Kobekina © Nikolai Wolff
Musikfest Bremen: „Auf Wiedersehen“
Emelyanychev will das Letzte herausholen aus dem Orchester. Und das spielt wie im totalen Rausch, gibt mehr, noch mehr in diesem überbordend überwältigenden Spektakel, das nach kurzen, die Spannung zusätzlich anheizenden Ritardandos wie ein exorbitant strahlender Triumphzug endet.
Ein bestechend grandioses, mit lang anhaltenden Standing Ovations bedachtes Ende – und leider auch der diesjährigen Musikfest-Konzerte.
Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 20 D-Dur KV 133
Dmitri Schostakowitsch Violoncello-Konzert Nr. 1 Es-Dur op. 107
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64
Anastasia Kobekina Violoncello
Maxim Emelyanychev Dirigent
Mahler Chamber Orchestra
Bremer Konzerthaus Die Glocke, 5. September 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Mozart, Schostakowitsch, Tschaikowsky: Das letzte klassische Konzert beim 36. Musikfest Bremen könnte man hinsichtlich dieser doch deutlich differierenden Musikzusammenstellung als eine Art Mikrokosmos dieses Events bezeichnen.
Drei heftige Tutti-Akkorde eröffnen Mozarts eher selten zu hörende Sinfonie Nr. 20. Mit lebhaft forschen Tempi, mit viel Elan und Elastizität gehen das international besetzte Mahler Chamber Orchestra und Dirigent Maxim Emelyanychev zu Werke, machen die Komposition zu einem mitreißenden musikalischen Frischekick in der Abendstunde.
Bezirzend lieblich und gemütvoll heiter kommen die von sordinierten Streichern und gezupften Kontrabässen untermalten Flötenmelodien im ruhigen Andante; robust und mit volkstümlicher Färbung folgt das Menuetto. Voll ins Tempo geht wieder der finale Allegro-Satz, flirrend, prasselnd, tackernd wie ein gut geöltes Räderwerk, mit presto-schnellen Figuren in allen Instrumentengruppen, die auch beim wilden Voranpreschen pointiert präzise ausgeführt werden.
Das ist Mozart vom Feinsten: mitreißend spannende, Musik gewordene Begeisterung.
Rekordverdächtige Tempi und eine Erzählung ohne Worte
Einiges davon ist auch beim Cellokonzert Nr. 1 von Schostakowitsch zu spüren, ist es doch erst ein paar Jahre nach dem Ableben seines Peinigers Stalin entstanden. Anastasia Kobekina, die man längst in der obersten Cellist*innen-Liga verorten darf, unterstreicht den grundlegend heiteren, wenngleich mitunter auch ins bitter Ironische abgleitenden Charakter des Kopfsatzes mit schwungvollem Strich. Sukzessive gesellt sich das Orchester dazu, Emelyanychev hüpft, tanzt, fordert, das Ensemble geht mit auf die wilde Jagd, die zwischendurch von geradezu geheimnisvollen Piano-Partien unterbrochen wird – um anschließend umso munterer weiterzueilen.
Zunächst warmtönig singende Celloklänge und breite, flehentlich fließende Harmonien mit kurzen Klagemotiven markieren den Folgesatz. In der zweiten Satzhälfte sorgen die sauber ausgeführten Flageoletts des Solocellos, die aus der zarten orchestralen Untermalung fahl hervorleuchten, für eine eigentümlich mystische Stimmung, die schließlich im fernen Nirgendwo entschwebt.
Zu einer im jeder Hinsicht überzeugenden Demonstration von Kobekinas stupender Griff- und Strichtechnik wie auch ihrer interpretatorischen Kompetenz wird die Cadenza: Über alle Saiten und Lagen hin erzählt sie eine fantastische Geschichte ohne Worte, spannungsvoll expressiv und tiefsinnig. Das aufbrausende Orchester beendet den beeindruckenden Solopart und stürmt im eifernden Wettstreit mit dem forciert aufspielenden Cello in rekordverdächtig rasantem Tempo dem Ziel entgegen.

Tosender Jubel im Saal. Die sympathische, einnehmend zugewandte Kobekina legt noch eine fein phrasierte, ausgefeilt poetische Version des Préludes aus Bachs Violoncello-Suite Nr. 1 als Zugabe nach.
Donnernde Kaventsmänner und trippelschrittige Grazie
Tschaikowskys so gänzlich anders geartete, nicht selten als „Schicksalssinfonie“ bezeichnete Fünfte bringt nach der Pause einen gewaltigen Stimmungsumschwung. Schwermütig wie ein Trauermarsch, düster wie eine tief hängende Gewitterwolke erscheint das einleitende Andante. Ganz allmählich entwickeln sich daraus nicht minder bedrohliche Turbulenzen, nur hin und wieder von optimistischen Gedankenansätzen unterbrochen. Wie bei aufgewühlter See rollen gewaltige Kaventsmänner heran, brechen sich Bahn mit ungezügelter, alles hinwegfegender Wucht.
Das Ende dieser entfesselten Naturgewalt kommt urplötzlich.
Emelyanychev setzt auf ausgeprägte Effekte, auf hochgradige Emotionalität, und beides wird vom Orchester perfekt umgesetzt. Dazu gehören auch die leisen, bedächtigen Klänge, die im 2. Satz vorherrschen: blitzsauber geblasene Hornmelodien und zart schwingende Streicherharmonien, die indes immer wieder in donnernden Wogen kumulieren. „Con anima“ entwickelt sich in der zweiten Satzhälfte ein riesig dimensioniertes, grellfarbiges Klanggemälde, bis die Mischung aus martialischem Getöse und Wehklagen in einer sanften Klarinettenmelodie ausklingt.
Wie eine angenehme Erholung, eine Rückkehr in eine hellere Gegenwart, mutet Satz 3 Valse an mit seinen fließend schwingenden, ballettös geschmeidigen, mitunter trippelschrittig graziösen Figurationen von Streichern und Holzbläsern.
Und dann geht das Orchester erneut in die Vollen, mit maximal ausgereiztem Klangvolumen. Hochdramatisch ertönt, besser noch: tost das gigantische, von schier unerschöpflichen Energieschüben immer neu angetriebene Getümmel des Finalsatzes. Orchestral äußerst scharf konturierte Attacken, dazu das häufig wiederholte, aus dem wilden Getümmel im noch weiter gesteigerten Fortissimo herausstechende Schicksalsmotiv, stürmen weiter, noch weiter, immer voran.

Emelyanychev will das Letzte herausholen aus dem Orchester. Und das spielt wie im totalen Rausch, gibt mehr, noch mehr in diesem überbordend überwältigenden Spektakel, das nach kurzen, die Spannung zusätzlich anheizenden Ritardandos wie ein exorbitant strahlender Triumphzug endet.
Ein bestechend grandioses, mit lang anhaltenden Standing Ovations bedachtes Ende – und leider auch der diesjährigen Musikfest-Konzerte.
Jedoch kein Lebewohl, sondern ein „Auf Wiedersehen“, das zugleich die Vorfreude weckt auf das, was Intendant und Musikfest-Gründer Thomas Albert und sein versiertes Team für das nächstjährige, dann bereits
37. Musikfest an musikalischen Überraschungen parat haben werden.
Dr. Gerd Klingeberg, 7. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Le Concert Spirituel, Hervé Niquet Dirigent St. Petri Dom Bremen, 2. September 2025
Musikfest Bremen: „Von Heldinnen und Helden“ Bremer Konzerthaus Die Glocke, 28. August 2025
Musikfest Bremen: Die Zauberflöte Bremer Konzerthaus Die Glocke, 27. August 2025
Musikfest Bremen: „The Dragon of Wantley“ Oldenburgisches Staatstheater, 24. August 2025