So einen fulminanten Wozzeck hat Hamburg schon lange nicht mehr gehört

Musikfest Hamburg /Alban Berg, Wozzeck  Elbphilharmonie Hamburg, 23. Mai 2025

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Ausgerechnet mit einem nach wie vor schwer rezipierten Werk gelingt dem Musikfest Hamburg ein musikalischer Paukenschlag: So eine grandios gespielte Berg-Oper hat die Hansestadt schon lang nicht mehr gesehen! Großen Applaus gab es vor allem für ein fulminant spielendes NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert, auch die Sänger zeigten sich in exzellenter Höchstform und fegten mit Begeisterung durch Bergs Partitur.

Alban Berg,  Wozzeck / Oper in drei Akten op. 7 (konzertante Aufführung)

NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert,
musikalische Leitung

Elbphilharmonie Hamburg, 23. Mai 2025

von Johannes Karl Fischer

Anscheinend schreckt der Name Berg das Hamburger Publikum immer noch ein wenig ab. Während sich die Leute für Kent Naganos leblosen Beethoven zur Musikfest-Eröffnung oder eine äußerst undifferenzierte Mahler 7 mit dem Chicago Symphony Orchestra regelrecht um Karten buhlten, war dieser musikalisch bewegende, szenisch wie gesanglich packende Wozzeck nicht einmal ausverkauft. Und das, obwohl Romain Gilberts schlichte doch wirkungsvolle szenische Einrichtung einige Sitzreihen abgesperrt hatte!

Egal. Dieser Berg-Abend unter der begeisternden Leitung von Alan Gilbert gehörte zu den bisherigen Highlights des diesjährigen Internationalen Musikfests Hamburgs! In der Titelpartie brillierte Matthias Goerne mit einer souveränen Darbietung des handlungstechnisch hilflosen Wozzecks. Mit klarer, ausdrucksstarker Stimme segelte er durch alle musikalischen Ecken der mahnenden Handlung, auch schauspielerisch brachte er die Verzweiflung dieses Charakters vor der Gesellschaft äußerst glaubhaft auf die Bühne.

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Mit Feuer und Flamme stürzte sich Falk Struckmann in die Partie des dubiosen Doktors. Sein kommandierender, schlagkräftiger Bariton sprang scherzhaft doch stets mit drohend bösartigem Unterton – immerhin missbraucht dieser Arzt Wozzeck für medizinische Experimente – durch Bergs Melodien und ließ das Publikum die Freude wie die bittere Ernsthaftigkeit dieser Musik in der musikalischen Seele spüren.

Peter Hoares humorvoller Hauptmann haute einen mit seiner überragend klaren Textverständlichkeit schon zu Beginn regelrecht um und stand den weit größeren Partien um nichts nach!

Auch Moritz Kallenberg sorgte in der Mini-Partie Andres für einen heftigen gesanglichen Paukenschlag. Seine hoher, kecker Charaktertenor überzeugte auf allen Linien und setzte jede Note messerscharf punktiert in den Saal. Einzig Michael Weinius als Tambourmajor konnte mit dem insgesamt haushohen gesanglichen Niveau leider nicht ganz mithalten. Zwar sang er alle Noten korrekt und sauber, im Vergleich zu den anderen allesamt exzellenten Solisten wirkte er ein wenig zurückhaltend. So wirklich intensiv wollte seine Stimme für seine geliebte Marie nicht brennen.

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Umso passionierter ließ Christine Goerke die leidenschaftlichen Melodien der Marie selbst durch den Saal fegen. Ihr fesselnder Sopran schwebte packend in alle Ecken des Publikums, man spürte die ganze Wucht ihrer Liebe zu ihrem Tambourmajor tief im musikalischen Herzen brennen.  Mit einer umschwärmenden Stimme beherrschte sie die Bühne wie die Handlung. Auch Stefanie Iranyi sang eine äußerst selbstsichere Margret, wie eine warme gesangliche Sonne strahlte ihr Mezzo in die Hallen des Musiktempels.

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Den mit Abstand größten Applaus bekam allerdings das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der fulminanten Leitung von Alan Gilbert.

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Zurecht. Sein Dirigat fegte regelrecht durch die Partitur, mühelos entschlüsselte er das für Musiker wie Publikum sehr fordernde, doch packende Werk und ließ Bergs wirkungsstarke musikalische Sprache souverän durch die Ränge schleichen. Unter der für diesen Saal ungewöhnlich dunklen Orchesterbeleuchtung flimmerten die verzerrten, teils versteckten Andeutungen an Beethoven in die Ohren des Publikums, Herr Gilberts bewegendes Dirigat lebte sichtlich begeistert in der gänzlich eigenen Welt dieser Musik und spornte das Orchester zu musikalischen Höchstleistungen an.

Wozzeck / NDREO Alan Gilbert © Daniel Dittus

Auch das NDR Vokalensemble und die Hamburger Alsterspatzen erledigten ihre Aufgabe mit Bravour. Zu einem weiteren Highlight des Abends wurde Romain Gilberts szenische Einrichtung. Zwar wurde diese kaum als Regie betitelt, doch brachte der bislang kaum bekannte Regisseur mit einer kleinen Parkbank, einer Straßenlaterne und viel packender Personenregie eine viel individuellere und verständliche Figurengestaltung auf die Konzertbühne als einige seiner Opernkollegen mit opulenten Bühnenbildern und teils selbst mit seitenlange Programmbüchern kaum verständlichen Regiekonzepten!

Angesichts Kent Naganos eher leblosem Beethoven-Dirigat schrieb ich Anfang des Monats, Hamburg solle seine Musikfesteröffnung lieber dem NDR Elbphilharmonie Orchester überlassen. Diese Einschätzung wurde heute mehr als bestätigt.

Mit dieser packenden musikalischen Spitzenleistung ziehen Alan Gilbert und seine Musiker nun endgültig an der Staatsorchester-Konkurrenz vorbei.

Johannes Karl Fischer, 26. Mai 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: kb im Gespräch mit Alan Gilbert Elbphilharmonie, 7. Mai 2025

Alban Berg, Wozzeck Oper in drei Akten  Chemnitzer Opernhaus, 16. Juni 2023 PREMIERE

Alban Berg, Wozzeck, Oper in drei Akten (15 Szenen), Wiener Staatsoper, 27. März 2022

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