„Nabucco“ in der Lindenoper beglückt musikalisch und bleibt dennoch merkwürdig kühl

Giuseppe Verdi, Nabucco, Libretto von Temistocle Solera  Staatsoper unter den Linden, Berlin, 6. Oktober 2024

Ivan Magrì (Ismaele), Mika Kares (Zaccaria), Marina Prudenskaya (Fenena), Luca Salsi (Nabucco), Ensemble und Chor © Bernd Uhlig

Es ist vieles ganz ausgezeichnet bei diesem ersten in der Staatsoper unter den Linden auf Italienisch gesungenen Nabucco: Schön anzusehen und schön anzuhören. Geradezu ein Designerstück. Doch zu Herzen geht das, was auf der Bühne passiert, nur deswegen, weil die Oper über den bluttriefenden Zwist zwischen den Assyrern und den Israeliten so furchtbar in unsere Zeit passt. Besonders, wenn man sie am 6. Oktober hört. Am Vorabend des Jahrestages.

Giuseppe Verdi, Nabucco
Libretto von Temistocle Solera

Staatsoper unter den Linden, Berlin, 6. Oktober 2024
Zweite Aufführung nach der Premiere am 2. Oktober 2024

Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Bertrand de Billy
Staatsopernchor

Nabucco – Luca Salsi
Ismaele – Ivan Magrì
Abigaille – Anna Netrebko
Fenena – Marina Prudenskaya
Zaccaria – Mika Kares
Anna – Sonja Herranen
Abdallo – Andrés Moreno García
Hohepriester des Baal – Manuel Winckhler


von Sandra Grohmann

Deshalb gibt es auch viel zum Nachdenken an diesem Abend und deshalb ist es auch gut, dass die Komplexität der Gattung „Oper“ sich in einer gewissen Komplexität der Bühnensymbolik spiegelt. Das sprichwörtliche Schwarz/Weiß in den Kostümen lässt sich hier keineswegs eindeutig zuordnen, und die klassische Schwarz-Weiß-Rot-Trias wird ein wenig aufgebrochen, unter anderem dadurch, dass Anna Netrebko auch mal in Petrol erscheint (Kostüme: Vanessa Sannino).

Warum das Bühnenbild von Carmine Maringola aber in gefälliger Holz- und Blumenoptik erscheint und die Personenregie (Regie: Emma Dante) sich auf die tanzende Komparserie beschränkt, das will mir nicht einleuchten. Das ist zu sehr Design und zu wenig Theater.

Der Nabucco ist eine von Verdis politischen Opern, mag sie vom italienischen Risorgimento auch nicht ganz so heroisiert und in Anspruch genommen worden sein, wie es sich die Nachwelt gern erzählt. Die menschlichen Verstrickungen können von der Politik nicht getrennt werden, stehen aber nicht im Vordergrund: Verdi gönnte weder dem Liebespaar noch Nabucco und seiner leiblichen Tochter ein großes Duett. Daher hat es durchaus seine Richtigkeit, dass dieser Abend kein bisschen Sentimentalität aufkommen lässt. Ganz so unterkühlt durchdesigned hätte es trotzdem nicht sein müssen. Angesichts des Themas könnte man auch sagen: nicht sein dürfen.

Musikalisch lässt sich der Abend gut hören: Die Staatskapelle unter dem Belcanto-Aficionado Bertrand de Billy musiziert von Anfang an vor allem rhythmisch knisternd, geradezu „crispy“, und zugleich auf dem Atem gespielt: Die Pausen weiß de Billy zwischen den langen Bögen perfekt zu setzen, nicht auch nur eine Zehntelsekunde zu kurz und daher keinen Moment gehetzt wirkend. Außerdem trägt das Orchester die Sänger, spielt nie zu laut, lässt andererseits aber die reichlich notierten Fortissimi nicht außer acht. Und singt in den zahlreichen kammermusikalischen Stellen quasi selbst. Einfach „herrlich“, um das Attribut zu verwenden, das Otmar Suitner „seiner“ Kapelle vor vielen Jahrzehnten ein für alle Mal verpasste.

Dazu ein feiner Chor, der allerdings fast ununterbrochen ins erwähnt gefällige Bühnenbild eingesperrt ist: in eine Treppenkonstruktion, welche vom Bauwerk „The Vessel“ in New York City inspiriert wurde und sowohl Jerusalem vorstellen soll wie auch – durch reichlich Blumenschmuck ergänzt – die hängenden Gärten von Babylon (Szenenapplaus).

Anna Netrebko (Abigaille), Ensemble und Chor © Bernd Uhlig

Die durch das Einsperren des Chors hergestellte Barriere bewirkt, dass der Chor nahezu vollständig statisch bleibt, und trägt dazu bei, dass nicht einmal der berühmte Gefangenenchor „Va’, pensiero“ mir Schauer über den Rücken jagt. Und der erwischt einen doch normalerweise immer. Vielleicht liegt es außer am Bühnenbild und außer am Totalausfall der Personenregie (ausgenommen die Komparserie) auch daran, dass der Chor, trotz der ausdrücklichen Anweisung von de Billy, immer noch nicht radikal genug ins Pianissimo geht, dass er nicht verhalten genug singt. Da dieses Stück außerdem in Dur steht und das Orchester den Chor mit Sextolen begleitet, besteht zudem immer die Gefahr, dass das Stück zu geschunkelt wirkt – eine Gefahr, die der Chor an diesem Abend nicht vollständig zu meiden weiß, obwohl das Orchester weiterhin höchst präzise musiziert. Allenfalls eine Idee zu flott.

Das Pianissimo fehlt schließlich auch den Solisten weitgehend. Zwar gilt der Nabucco nicht gerade als Paradestück für solistische Zartheit: Nicht nur im Orchester wird reichlich auf die Pauke gehauen. Aber für den Graben ebenso wie für die Bühne sind diese zurückgenommenen Momente vorgesehen, die sich leise ausgestalten lassen. Die Stärken des Abends liegen diesmal jedoch anderswo.

Ivan Magrì (Ismaele), Ensemble und Chor © Bernd Uhlig

Größte Genussmomente vermittelt erwartungsgemäß Anna Netrebko, die ihre Stimme in anbetungswürdiger Weise unter Kontrolle hat; die die Registerwechsel bruchlos meistert; die mit einem geradezu unheimlichen Stimmumfang beeindruckt und ihre Stimme scheinbar mühelos von einer Sekunde auf die andere räuchern und dann wieder glockenhell klären kann. Und nein, sie ist nicht „nur laut“, wie mein Pausennachbar meint: Wenn sie auch kein Pianissimo mit Betonung auf „issimo“ in den Abend haucht, ist ihr die dynamische Gestaltung dennoch nicht abzusprechen. Hinhören muss man allerdings schon selbst und darf sich – so meine ich – vom schieren Volumen dieser Stimme nicht verleiten lassen, sie damit abzutun. Übrigens ist auch dieses Volumen unglaublich – und dass Anna Netrebko das den ganzen Abend lang durchhält, ist einfach phänomenal.

Mit Netrebko auf der Bühne zu stehen, ist für den Rest der Crew eine Herausforderung. Die Diva ist bekanntlich auch mit herausragender Bühnenpräsenz gesegnet. Aber das Ensemble besteht die Prüfung. Allen vorweg Luca Salsi als (so die Meldung meiner Ohren) nicht immer intonationssicherer, aber wunderbare Bögen zaubernder Nabucco und Marina Prudenskaya als Fenena, deren Verzweiflung und Entschlossenheit sich in der Stimmfärbung eindrucksvoll spiegelt, sowie Mika Kares mit seinem vollen, tragenden Bass.

Ivan Magrì als Ismaele bleibt etwas blass, meistert seine Partie aber ordentlich. Auch Ensemblemitglied Andrés Moreno García und Opernstudio-Mitglied Manuel Winckhler liefern verlässliche Leistungen ab. Sonja Herranen schließlich – ebenfalls Opernstudio-Mitglied – fällt mit ihrer kräftigen, den Schlusschor überstrahlenden Stimme auf.

 Alles in allem ein genussvoller und zugleich – angesichts des Opernthemas – nachdenklich stimmender Abend.

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