Arena di Verona 2023, Aida © Dr. Charles Ritterband
Dieser Inszenierungsstil könnte ein Vorgeschmack darauf sein, was zu erwarten ist, wenn die Kunstform Oper sich endgültig zum Event entwickelt. Das ist ja hier und da, nicht zuletzt mit dem Zuspruch vieler junger Besucher, schon festzustellen. Sie wird dann irgendwann ihren ursprünglichen Charakter, ihre Kern-Aussage, ihren Charme und ihre künstlerische Intimität verlieren…
AIDA
Giuseppe Verdi
Arena di Verona, Neuinszenierung, 8. September 2023
von Dr. Klaus Billand
Die diesjährige Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Aida“ durch Stefano Poda setzte ganz und gar andere Akzente als die sonstigen beim 100. Jubiläum des Festivals der Fondazione Arena di Verona zu sehenden klassischen Inszenierungen von Franco Zeffirelli. Das muss an sich kein Nachteil sein, denn die Zeit ist durchaus reif, dass sich auch in der Arena zumindest teilweise ein interessanter, gleichwohl werkimmanenter modernerer Inszenierungsstil zeigt.
Aber diese Neuproduktion war ein totaler Gegensatz zu allem, was an den ersten beiden Abenden dieses Arena-Besuchs 2023 – und an wohl manchen anderen zuvor in diesem Sommer in Verona — zu erleben war: eine modernistische Show mit einem kaum unterdrückten Eventcharakter! Und dabei war das eigentlich gar nicht im Sinne des Regisseurs. Aber es wirkte so. Poda wollte mit seinem Regiekonzept nämlich zeigen, und neben der „Aida“ hält er besonders den „Don Carlo“ und „Wagners „Parsifal“ dafür geeignet, dass die tragische Dimension „im weitesten Sinne“ ausgelegt werden sollte. Wobei tragisch bedeutet, dass Gefühle aus dem persönlichen in einen öffentlichen Bereich zu übertragen sind und umgekehrt, also ein kontinuierlicher Übergang von der Einzelperson zur Allgemeinheit und erneut zurück zum Individuum. Darin besteht für den Regisseur der Sinn tragischer Meisterwerke, für die „Aida“ einen besonderen Symbolcharakter hat.
Das kann man jedoch von recht vielen Werken der klassischen Opernliteratur sagen. Sofort kommen einem „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Wagner in den Sinn, aber auch weitere Opern von Verdi wie „Simon Boccanegra“ und auch von anderen Komponisten wie Tschaikowsky etc. Also wirkt die Argumentation hinsichtlich der „Aida“ recht vordergründig. Was aber auf der Riesenbühne der Arena di Verona in den Bildern, Kostümen und dem Licht, für die Proda ebenfalls mit seinem Assistenten Paolo Giani Cei verantwortlich zeichnete, zu sehen war, ist ein fast völliges Verschwinden der von Verdi ganz sicher zuvorderst relevanten persönlichen Ebene zugunsten einer Optik der Massen. Diese liefen gruppenweise auch noch in uniformen Kostümen umher und ließen die Aktionen der Protagonisten und diese selbst bisweilen kaum erkennbar werden, weil sie von ihnen verdeckt oder an den Rand gedrängt wurden.
Im Vordergrund dieser Inszenierung schien ganz klar der vermeintliche Reiz ganz großer Bilder und Lichtwirkungen zu stehen, in der Arena wohl so kaum je gesehen, wobei natürlich auch Laser zum Einsatz kam. Im Zentrum der Bühne befand sich eine riesige menschliche Hand, die unmotiviert wie eine Muschel immer wieder auf und zu ging und nach Poda „die enorme Kraft des Menschen ausdrücken soll, der sowohl töten als auch Neues erschaffen und Unheil oder Rettung bringen kann“ (nun auch in der Arena erst mit dem Programmheft – wenn überhaupt – zu erkennen…).
Das waren Vorstellungen der Regie, die sich einem „normalen“ Opernbesucher, und davon gibt es gerade im Sommer in der Arena sehr viele, nicht vermitteln konnten. Stattdessen überwog das wohl auch gewollte Erstaunen über die Bühnentechnik ohne wirkliche Substanz, über eine phantasievoll modernistisch-futuristische Kostüm-Ästhetik ohne nachvollziehbaren Bezug zu den in den Kostümen steckenden Personen, abgesehen von einigen wirklich beeindruckenden und geschmackvollen Outfits der Protagonisten. Poda wollte nach eigener Angabe das Arena-Publikum „mit einer großen Installation moderner Kunst“ konfrontieren, die jeweils zwei Extreme ausdrückt: „Licht und Finsternis, Ordnung und Chaos. Und am Ende siegt dann der Frieden“.
Das war weder aus seinen Bildern noch aus seiner Personenregie erkennbar, der ohnehin in diesen enge Grenzen gesetzt waren und die somit kaum wahrnehmbar war. Die Vorstellung des Regiekonzepts, dass Gefühle aus dem persönlichen in einen öffentlichen Bereich zu übertragen seien und umgekehrt, wirkte letztlich eher wie ein Alibi, die ganz große Show von der Leine zu lassen. Gedanklich fühlte man sich bisweilen eher in Las Vegas zu Sylvester oder im Karnevals-Sambódromo von Rio de Janeiro als im Alten Ägypten.
Unter dieser Optik und einem auf vordergründige Wirkung bedachten Aktionismus litt das wesentlich Opernmäßige, was nun einmal diese Gattung auszeichnet, das nachvollziehbare Zusammenwirken der Protagonisten und die Darstellung der auf sie bezogenen menschlichen Aspekte. Dieser Inszenierungsstil könnte ein Vorgeschmack darauf sein, was zu erwarten ist, wenn die Kunstform Oper sich endgültig zum Event entwickelt. Das ist ja hier und da, nicht zuletzt mit dem Zuspruch vieler junger Besucher, schon festzustellen. Sie wird dann irgendwann ihren ursprünglichen Charakter, ihre Kern-Aussage, ihren Charme und ihre künstlerische Intimität verlieren…
Umso wichtiger war es, dass an diesem Abend vor dem alles überlagernden Bühnenbild mit der Lichtshow und den Massenszenen starke Solisten auf der Bühne standen und eindrucksvolle gesangliche Akzente setzten, die schließlich doch noch „Oper pur“ waren. María José Siri aus Uruguay sang eine kraftvolle und emotional verinnerlichte Aida mit einer warmen Mittellage, leuchtender Tongebung und herrlichen, ausschwingenden Spitzentönen. Die Aida ist ohnehin eine ihrer Lieblingsrollen und wohl auch jene, die sie bisher am meisten gesungen hat. Die Französin Clémentine Margaine sang eine persönlichkeitsstarke und intensive Amneris mit einem wohlklingenden Mezzo. Sie ist sicher eine der besten ihrer Zunft in diesem Fach. Auch sie beherrschte die komplexe Rolle darstellerisch perfekt. Vittorio De Campo war ein respektgebietender König in vokaler und schauspielerischer Hinsicht. Rafał Siwek überzeugte voll als Ramfis. Geworg Hakobyan, der am Vorabend noch den Sharpless gesungen hate, konnte auch als Amonasro mit seinem warm klingenden Bariton beeindrucken.
Lediglich der junge Koreaner Yonghoon Lee wirkte in der Rolle des Radamès nicht ganz zu Hause. Er löste wohl die dramatischen Herausforderungen der Rolle vokal relativ gut. Die Stimme wirkt aber insgesamt für das Fach nicht ganz passend, zumal er auch immer wieder pressen musste. Darstellerisch machte er seine Sache gut. Francesca Maionchi, die man eigentlich so recht erst beim Applaus wahrnahm, sang eine wohlklingende Sacerdotessa, und Riccardo Rados war ein guter Messaggero.
Daniel Oren, das „Arena-Urgestein“ stand wieder am Pult des Orchestra della Fondazione Arena di Verona und dirigierte diese „Aida“ mit sehr viel Verve und Intensität. Gut, er hat das alles links und rechts in beiden Händen, wirkt damit gegenüber dem Orchester und dem Publikum aber gleichermaßen souverän und bekam dementsprechend auch einen Riesenapplaus. Besonders feinfühlig ging Daniel Oren mit dem Coro della Fondazione Arena di Verona um, einem exzellenten und bestens einstudierten Ensemble. Am Ende großer Applaus für alle.
Klaus Billand, 5. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona Opera Festival, 2. August 2023
Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona Opera Festival, 16. Juli 2023
Giuseppe Verdi, Aida Salzburg/Landestheater, 4. NOVEMBER 2023 / PREMIERE