Udo Bermbach © privat
von Dr. Andreas Ströbl
Um Richard Wagner im Innersten zu verstehen, ihn vor sich selbst zu retten und die immer noch nachwabernde braune Rezeption zu relativieren, braucht es kluge Köpfe, denn diese Ausnahmeerscheinung in der Musikkultur macht es gerade uns kritischen Wagnerianern alles andere als leicht, den Komponisten und Menschen zu lieben.
Udo Bermbach war ein solch kluger, nein brillanter Kopf und die Bezeichnung der „Ausnahmeerscheinung“ für sein prominentestes Forschungsobjekt stammt von ihm. Der Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg ist am 10. Juli 2024 im Alter von 86 Jahren gestorben. Nun erscheinen täglich Nachrufe und verdiente Würdigungen; daher seien an dieser Stelle ein paar sehr persönliche Anmerkungen gewährt.
Wer frühe Drogenerfahrungen mit Wagners Werk macht, schnell abhängig wird und sich dann mit all dem konfrontiert sieht, was der „Meister“ aus Minderwertigkeitskomplexen und fehlender Weitsicht aus sich herauswürgte, der fühlt sich in Gesprächsrunden oft wie der Patient einer Suchtklinik, der zu der Äußerung genötigt ist, alles im Griff zu haben, aber selbstverständlich um die bestehende Gefährdung zu wissen.
Wenn man nicht gerade auf dem Grünen Hügel unter den anderen Junkies bei Frankenwein und Bratwurst steht, beschleicht den kritischen Wagner-Liebhaber mitunter der Eindruck, sich für seine ideologisch angreifbare Neigung irgendwie rechtfertigen zu müssen.
Als ich vor exakt 30 Jahren unmittelbar nach dem Erscheinen Udo Bermbachs „Der Wahn des Gesamtkunstwerks – Richard Wagners politisch-ästhetische Utopie“ (Frankfurt 1994) las, war das wie eine Erlösung, denn nun hatte ich, gleichsam in politikwissenschaftlich fundierter Fortführung von George Bernhard Shaws „Wagner-Brevier“, etwas in der Hand, mit dem ich zwar Wagners ekelhafte Auslassungen nicht wegwischen, aber ihnen doch etwas von Bestand gegenüberstellen konnte. Bestand auch deshalb, weil Bermbach nachwies, dass Wagner gerade seinen radikalsten Ideen noch treu blieb, ja, sie als Grundlage sein Kunstideals in einer Zeit beschwor, in der „ihm von vielen unterstellt wird, er habe die politische Konversion ins monarchisch-konservative Lager längst vollzogen“ (Bermbach 1994, S. 61). Es gab also immer auch den „anderen“ Wagner.
Man hätte dieses Buch am liebsten mit in eine Zeitmaschine genommen, um zu Wagner im Januar 1850 zu reisen und ihn zu beschwören, ab jetzt bitte sehr vorsichtig zu sein und unnötige Tinte tunlichst zu halten, denn dann würde sein Ruhm universal und ohne Makel erglänzen bis zu Walhalls Brand.
Udo Bermbach belegte, dass Wagner an seiner revolutionären Grundhaltung bis ans Lebensende festgehalten hat und trotz aller biographischen Brüche, publizistischer Entgleisungen und Selbstüberhöhungen gerade in seinen Opern etwas geschaffen hat, das sich eben antisemitischer oder deutschtümelnder Vereinnahmung sperrt, weil es einem revolutionären Kunstideal unerreichbar genialen Ausdruck gab.
Mit intellektueller, analytischer Schärfe fasste Bermbach auch das, was Wagner selbst tatsächlich als das der Intelligenz enthobene Moment beschrieb, nämlich die „Notwendigkeit der Natur“ und das Unbewusste, das die Kraft verleihe, „aus der Not heraus das Neue zu produzieren“.
Hatte Bermbach bereits in den 70-er Jahren, als die berechtigten Forderungen nach Aufarbeitung der Post-Cosima- und Winifred-Zeiten immer lauter gestellt wurden, die revolutionären Positionen des Linkshegelianers Wagner hervorgehoben, so fundamentierte er seinen Ansatz durch das genannte „Der Wahn des Gesamtkunstwerks“ und weitere hervorragend recherchierte und vor allem um neue Facetten bereicherte Publikationen zu Mensch, Werk und Rezeption.
Mit Udo Bermbach ist einer der begabtesten und engagiertesten Wagner-Kenner von uns gegangen. In seinen Publikationen leben seine Abweichungen von üblichen Pfaden, dringend notwendigen Richtigstellungen und klugen Relativierungen weiter.
Eine dankbare Leserschaft nimmt Abschied von einem, über den in knapp zwei Wochen auf dem „Hügel“ lebhaft diskutiert werden wird. An dem einen oder anderen Gespräch dürfte er seine Freude haben.
Dr. Andreas Ströbl, 16. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Das Rheingold Tiroler Festspiele Erl, 5. Juli 2024
Richard Wagner, Die Walküre Tiroler Festspiele Erl, 6. Juli 2024
Richard Wagner, Siegfried Tiroler Festspiele Erl, 8. Juli 2024
Richard Wagner, Götterdämmerung Tiroler Festspiele Erl, 10. Juli 2024