Alan Gilbert, Foto: © Peter Hundert
Elbphilharmonie, 8. September 2023
NDR Elbphilharmonie Orchester
Stefan Wagner Violine
Teresa Schwamm-Biskamp Viola
Christopher Franzius Violoncello
Alan Gilbert Dirigent
PROGRAMM
Joseph Haydn
Sinfonie D-Dur Hob. I:96 »The Miracle«
William Bolcom
Konzert für Violine D-Dur
– Pause –
Richard Strauss
Don Quixote / Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters op. 35
von Harald Nicolas Stazol
Da war es doch, das Eröffnungskonzert! Halt eine Woche später, aber bei der Qualität des NDR Elbphilharmonie Orchesters an beiden Freitag Abenden kann man die Programme umwechseln, wie Bridge-Spielkarten, die Patience, wir erinnern uns, hat uns ein gewisser, moderner Franzose abverlangt, und war ja beim Auftakt der Saison schnell erreicht. Und heute?
Wenn man einen Konzertmeister meisterlich zum Meister werden hören kann, und diesen Unserer schon vor zwei Jahren eigens und besonders auch schriftlich hervorhob und bemerkt hat – es ist das Schönste für einen Kritiker, Recht behalten zu haben! Zumal bei einer Uraufführung! (Vorsicht! Cliffhanger!)
Vielleicht erinnert man sich, ich schrieb von der Untanzbarkeit konzertanter Aufführungen von Ballettmusiken. Nun, bei der 96. Sinfonie des Joseph Haydn, der sog. „Miracle“ – dazu kommen wir noch – ist es geradezu umgekehrt: Bei ihm ist alles tanzbar, ganz in höfischer Tradition, hier ein Menuett, dort eine Sarabande, gut, weiterentwickelt zwar, aber dennoch so strukturiert und voller melodischer Disziplin, dabei manchmal – wie die ganze Wiener Klassik fast frühromantisch – man mag mir widersprechen? – aber eben schön und gefällig dem Ohre: Da ist sie doch, die Leichtigkeit und Eleganz, die Zartheit, und Lebensfreude des Joseph Haydn (1732 – 1809) und ganz Wiens – und Wunder über Wunder, ich kann und darf diese Turbo-Kombi an Positivismus mit jeder Silbe Maestro Alan Gilbert zueignen! Schönheit und Schönheit erheben sich eben gegenseitig, wie Oscar Wilde und die Präraphaeliten glaubten und ja auch unter Beweis stellten. Im Falle des NDR Elbphilharmonie Orchesters erhöht sich die Schönheit ja dann gleich dreimal? Aber genug der Schwärmerei…
Hamburger Erstaufführung! Immer mir schon ein verführerisch-verheißungsvolles Wort, man fiebert geradezu ihr entgegen, und da ist er ja schon, der Solo-Konzertmeister, der sensibel bis gewaltig dieses für uns brandneue Hit-Werk mit voller Verve fast aus der la main geradezu hinzaubert, bei allen Schwierigkeiten, mal ausdrucksvoll, mal filigran, der von mir sehr verehrte Stefan Wagner, das Juwel der Krone, wenn man das sagen darf?
William Bolcom, Amerikaner, Jahrgang ’38, – (wer an Zahlenmystik glaubt, das Violinkonzert entstand ’83) – ein Mann, der die Melodie des 2. Satzes in einem New Yorker Bus ersinnt, den ersten „Quasi una Fantasia“ wie eine lange Improvisation anlegt, melodisch sofort einfängt, und ja, auch wenn es im 2. auch um die Verarbeitung des AIDS-Todes eines Freundes des Komponisten geht, eben 1983, dann aber ohne Pause mündet das Tonwerk in ein lupenreines, schöpfungsbejahendes, einziges Aufstreben, amerikanisch, ich sagte es schon.
So sehr, dass man die 25 Minuten als vieeeeel länger empfindet. Zum Glück die Zugabe „Street Dances for Violin and Cello“, und so geht man leise beschwingt und sehr guter Laune nach berechtigtem, starken Applause in ein Foyer, das sich in der schönen Stimmung im letzen Abglanz des Spätsommerabends fröhlich den Erfrischungen zuwendet, und so sehr ich auch manches Gespräch im Vorübergehen belausche: Kein Tadelwort, nirgends.
Nur von mir: Bei 15 habe ich aufgehört, die Bermudas der Herren zu zählen, lauter Sancho Panzas, grauslich, passend dann doch, erwartet man ja gleich freudig den tragisch-satirisch-programmatischen Don Quixote, die sinfonische Dichtung des genialen Richard Strauss:
Und des nicht minder genialen Cellisten – programmatisch ja der tragische Ritter, tragend durch all 14 Variationen, die mit den Episoden des Cervantes von Windmühlen und Schaf-Armee und einer Oboe als verführerische Dulcinea fortläuft: Christopher Franzius. Man hört seinem Spiel den sich ja in Phantasien bewegenden auch komischen, dabei völlig verlorenen Romanhelden an. Ebenso brillant die Bratschistin Teresa Schwamm-Biskamp, die man als erste Solo-Bratschistin nun ja glücklicherweise immer wieder hören werden kann.
Denn kann man sich die 600-Seiten-Lektüre des Spaniers sparen, man hört und sieht förmlich alle Kapitel des Klassikers von 1603 in knappen 45 Minuten mit dem inneren Auge, in Tateinheit von Dirigat, Solo-Parts und Klangkörper mitreißend umgesetzt – ein früher Podcast?
In Tateinheit? Marcel Prawy sagte mir einmal, auch das Publikum müsse in diesen Bogen eingefangen sein.
Hier in Hamburg ist es es. Ein Vorkommnis soll hier als Beweis dessen sein:
Nach dem 1. Satz der „Miracle“ bricht ein kollektives Husten los. Der ganze Saal bemerkt die Komik der Szene und bricht in Lachen aus, unisono, im freudianischen „ozeanischen Gefühl“, das von Menschen in großer Zahl empfunden werden kann.
Nun hat sich der Abend also mit vierfacher Schönheit erhoben.
Harald Nicolas Stazol, 10. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at