Zwei junge Talente überraschen in Lübeck – Yashima und Ferrández mit ungewöhnlichem Programm

NDR Elbphilharmonie Orchester, Erina Yashima, Dirigentin Pablo Ferrández, Cello  Musik- und Kongresshalle Lübeck, 20. Januar 2023

Photo Credit: Todd Rosenberg Photography

Werke von Roustom, Bloch und Dvořák

NDR Elbphilharmonie Orchester
Erina Yashima, Dirigentin
Pablo Ferrández, Cello

Musik- und Kongresshalle Lübeck, 20. Januar 2023

von Dr. Andreas Ströbl

Wie erfrischend es ist, nicht nur bislang wenig bekannte Künstler zu erleben, sondern auch Werke kennenzulernen, die im Repertoire bislang (noch) kaum zu finden sind, hat das vom NDR veranstaltete Konzert am 20. Januar in der Lübecker Musik- und Kongresshalle (MuK) aufs erfreulichste bewiesen.

Die gebürtige Heilbronnerin Erina Yashima ist eine junge Dirigentin, die in völliger Harmonie mit dem Orchester zusammenarbeitet, ohne sich dabei auch nur ansatzweise in den Vordergrund zu stellen.

Gleich mit dem ersten Stück, „Ramal“, einem Werk des syrisch-amerikanischen Komponisten Kareem Roustom, zeigen sie und das NDR Elbphilharmonie Orchester, wie packend zeitgenössische Musik sein kann. Bereits die ersten, rhythmisch erregt schlagenden Töne sperren die Türe weit auf in eine unruhige, vielfarbige Klangwelt voller mitreißender Rhythmen, verstörender Brüche und Umschwünge. Diese Musik ist geprägt von drängender Unrast und innerer Bewegtheit, was durch einen reichen Einsatz des Schlagwerks unterstrichen wird. Selten lösen lyrische Flöten-Momente die mitunter extreme Spannung etwas auf; Röhrenglocken, Becken und Xylophon setzen feine, aber deutliche Akzente. In den Tutti-Stellen vermitteln tiefe Blechbläser und die gedämpfte Trompete eine drohende Stimmung, die angezogene Rhythmik gemahnt zuweilen an Strawinskys „Sacre“. Kein Ton dieser Musik ist egal, so wie jeder Buchstabe in einem Celan-Gedicht von Bedeutung ist – nicht umsonst hat der in Damaskus geborene Komponist den Titel „Ramal“ gewählt, der in der Dichtung wie auch in der Musik als Metrumsbezeichnung anwendbar ist. Ein phantastisches Stück, das auch Daniel Barenboim dringend zur Aufführung empfohlen hat und das trotz aller Nervosität und krimireifer Spannung stets eingängig bleibt.

Erina Yashima führt das Orchester energisch, mit großem körperlichem Einsatz, und einer spürbaren, geradezu elektrisierenden Begeisterung für das, was sie tut. An vielen strahlenden Gesichtern im umfangreichen Klangkörper ist ablesbar, dass hier die Chemie stimmt; die Dirigentin hat trotz ihrer quirligen Dynamik alles hochkonzentriert im Griff.

Von Damaskus ist es nicht weit nach Jerusalem, der Stadt, in deren Namen zumindest in der Volksetymologie das Wort „Schalom“, also „Frieden“ steckt. In jedem Falle gilt dies für König Salomo, hebräisch „Schelomo“, dem Ernest Bloch seine gleichnamige hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester gewidmet hat. Wenngleich bereits 1917 uraufgeführt, wirkt dieses Werk modern, bei allen Reminiszenzen an das jüdische Altertum. Diese Anklänge sind allerdings durch eine resignative Düsternis gebrochen und scheinen so alles andere als folkloristisch; schließlich ist dieser Salomo ein alter König, der nur noch müde auf sein Leben zurückblickt.

Der Solist dieser Liebeserklärung an eine Stadt und ihren ersten Tempel aus der Zeit um 1000 v. Chr. ist an diesem Abend der junge spanische Cellist Pablo Ferrández, ein würdiger Nachfolger des großen Mischa Maisky. Er spielt diese seelenvolle, oft klagende Musik mit im besten Wortsinn absoluter Hingabe, denn er ist losgelöst von sich selbst und weitab von selbstgefälligem Virtuosentum – einerseits geht er völlig in der Musik auf, andererseits hält er selbst in der größten Konzentration stets den Kontakt zum Orchester und seiner Dirigentin. Auch an den Stellen, wo er pausiert, geht er sichtbar mit, die Töne aus dieser zauberhaften orientalisierenden Klangwelt fließen durch seinen ganzen Körper.

Foto: Igor Studio

Gerade die tiefen Klänge der Solostellen dringen, mit größter Unmittelbarkeit hervorgebracht, dem sensiblen Teil der Hörerschaft ins Mark; der Cellist knetet die Töne, er presst sie qualvoll, liebkost sie dann wieder und lässt sie leicht wie einen Vogel schweben. So entsteht in Klangvielfalt eine Beschwörung der alten Größe von Salomo und seiner Stadt, von deren Zinnen die Fanfaren schallen, weit hinaus in die Fernen der Wüste Negev. Themen oder auch nur Fragmente davon werden von den hohen zu den tiefen Streichern, dann zu den Holzbläsern weitergegeben und variiert, was eine lebhafte Bewegung erzeugt, wie Schlangen, die sich elegant durch den Sand winden.

Das musikalisch strahlende Bild eines Tempels aus hellem Kalkstein, der die Sonnenstrahlen reflektiert, ist am Ende nur eine Erinnerung an etwas, von dessen Nachfolgebau lediglich noch die Klagemauer existiert, voller Trauer und der schmerzlichen Mahnung, derer nicht zu vergessen, die an diesen Steinen starben.

Den begeisterten Beifall, den der Cellist mit einer Zugabe aus den
Bach’schen Cello-Suiten belohnt, lässt die sympathische Dirigentin dem Solisten ganz allein; stets bleibt sie weit vor dem Orchester stehen und applaudiert herzlich mit.

Nach der Pause gibt es eine der selten gehörten frühen Dvořák-Symphonien, nämlich seine Fünfte in F-Dur op. 76. Diese wundervolle, unproblematische Musik ist Unterhaltung auf höchstem Niveau, mit reizvollem böhmischen Lokalkolorit. Die auch als Dvořáks „Pastorale“ geführte Symphonie entführt in ein buntes Landschaftsbild mit Wäldern, in denen die Vögel singen, mit stolzen Burgen und Reitern, die forsch über die Wiesen galoppieren. Man denkt immer wieder an den bekannten Brahms-Ausspruch, in dem er den Ideenreichtum des tschechischen Kollegen preist, denn auch dieses Werk ist voll davon.

Nach dem folkloristisch geprägten ersten Satz mit seinen reizvollen Synkopierungen kommt der zweite behäbig, ja gemütlich daher, in den ¾-Takt-Abschnitten wirkt er fast schelmisch und lässt an einen Tanz im Grünen denken. Diese Geschichten aus dem Böhmerwald erzählt die Dirigentin mit wippender Leichtigkeit und schenkt der Musik die Anmut, die sie verdient.

Elegische Teile mit sanftem Paukengrollen leiten zum dritten Satz über, mit einer bukolischen Fröhlichkeit, in denen mit den Themen lässig gespielt wird, die wie muntere Bächlein durch das große Landschaftsbild fließen.

Fast wild auffahrend beginnt der vierte Satz und nun erscheinen dunkle Wolken am hellblauen böhmischen Himmel; in einem Gewitter macht Dvořák klar, dass er bereits in diesem Frühwerk auch anders kann. Neckische Halbtonschritte vermitteln wieder die typischen folkloristischen Aspekte und nach einem Spiel mit Moll und Dur durchbricht mit goldenen Strahlen endlich wieder die Sonne die Gewitterwolken. Was für eine liebenswerte, lebensbejahende Musik!

Das Publikum würdigt die Gesamtleistung dieses Abends mit langanhaltendem Applaus, wobei einige unbelehrbare auch zwischen den Sätzen meinen, klatschen zu müssen. Abgesehen von einem Mann, dem noch nicht klargemacht wurde, dass man den Hut in Innenräumen abnimmt (sowas stört auch die hinter ihm Sitzenden) und einer Frau, die sich noch in den ersten Klängen des Bloch-Stückes geräuschvoll umsetzt, ist die Zuhörerschaft voller Hingabe an ein Konzert, dessen Inhalt und Umsetzung durch phantastische junge Talente als rundum gelungen bezeichnet werden muss.

Dr. Andreas Ströbl, 21. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

„Herbst-Trilogie“ Mozart-da Ponte, Ravenna, 6.-7. November 2022

Dresdner Musikfestspiele, Lange Nacht des Cellos Kulturpalast Dresden, 26. Mai 2022

Wiener Symphoniker, David Afkham, Anton Sorokow, Pablo Ferrández, Musikverein Wien

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