Elbphilharmonie, Hamburg, 23. Januar 2022
NDR Elbphilharmonie Orchester
Esa-Pekka Salonen, Dirigent
Foto: Esa-Pekka Salonen, (c) Mike-Ranta/Los Angeles Philharmonic
Esa-Pekka Salonen, Gemini
Hector Berlioz, Symphonie fantastique
von Andreas Schmidt
Was für ein Menschenglück ist es, an einem grauen Sonntagvormittag im Januar in der Elbphilharmonie die – wirklich phantastische – Symphonie fantastique von Hector Berlioz zu hören – gerade wenn einer der weltbesten und agilsten Dirigenten am Pult steht: Esa-Pekka Salonen aus Finnland.
Getrübt wird dieses Konzerterlebnis nur durch wohlhabende Menschen, die auf 107 Euro teuren Plätzen der Spitzenkategorie sitzen und ihre pompösen Daunenjacken auf leeren Sitzen nebenan stapeln (die Garderobengebühr ist gerade auf von 1,5 Euro auf 2 Euro angehoben worden). Und durch eine junge Familie, die in Reihe 1 von Block E sitzt, ein dreijähriges Mädchen mit in die Vormittagsvorstellung zerrt, das – ununterbrochen – mit ihrer Mutter quatscht (und letztere mit ihr), bei lauten Passagen auf Mamas Schoß flüchtet und dieser im Stehen beim unendlich packenden Berlioz die Haare flicht.
Für diese Wohlstandseltern mag es durchaus erbauend gewesen sein, mit ihren Kindern (3 und 6) in die Elphi zu promenieren – für die Umhersitzenden war es ein Alptraum. Wo waren die Saaldiener, die diese durchgedrehte Familie zur Raison hätten bringen müssen?
Liebe Eltern, es gibt in der Elphi vielfältige Programme für den Nachwuchs ab dem Säuglingsalter… Aber merkt Ihr nicht, dass dieses Programm etwas too much für Eure Lütte war?
Jean-Philippe Rameau fällt mit seinem Castor et Pollux an diesem Vormittag wegen coronabedingter Personalprobleme im Klangkörper aus. Bei Gemini, komponiert von diesem unfassbar guten Salonen, sitzen wie später beim Berlioz viele unbekannte Gesichter im NDR Elbphilharmonie Orchester auf der Bühne.
Aber alle Musiker machen ihre Sache an diesem Sonntag verdammt gut: Der agile Finne entlockt ihnen Zärtlichkeit und Wucht, Wohlklang und Disharmonien. Es ist eine wahre Freude, dieses Orchester, das auf Weltklasse zusteuert, unter den Händen des großen Salonen zu erleben.
Esa-Pekka Salonen ist nicht nur ein unfassbar guter Komponist, er hat auch einen Dirigierstil, der einzigartig sein dürfte auf diesem Planeten: Absolut leicht, absolut auf den Punkt und schlaggenau und mit gaaaaaanz viel Gefühl dirigiert dieser 63-Jährige, der ein Körpergefühl wie ein 36-Jähriger vermittelt.
Die Komposition des Dirigenten, Gemini (mit den Teilen Pollux und Castor), gehört zu den besten Stücken moderner Musik, die auf diesem Planeten zu hören ist. Von zarten, feinen Klängen bis zu wuchtiger Weltraummusik ist alles dabei. Allein dieser erste Teil war den Eintritt bis 107 Euro schon wert.
Im zweiten Teil nach der Pause dann das visionäre Stück eines phantastischen Franzosen, der seiner Zeit und seinen musikalischen Mitstreitern weit voraus war: die Symphonie fantastique op. 14, komponiert 1830. Von einer leisen Szene auf dem Lande (Adagio) bis zum für das Jahr 1830 absolut futuristischen Traum einer Sabbatnacht geht dieser geniale Wurf von Hector Berlioz in fast allen Teilen unter die Haut und mal beschwingt er, wie bei Ein Ball (Allegro non troppo) – ein weltberühmter Walzer produit en France.
Merci, Finnland!
Andreas Schmidt, 23. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dringende Konzertempfehlung:
Elbphilharmonie, Donnerstag, 27. Januar, 20 Uhr:
BESETZUNG
NDR Elbphilharmonie Orchester
Christoffer Sundqvist Klarinette
Dirigent Esa-Pekka Salonen
PROGRAMM
Carl Nielsen
Kleine Suite op. 1
Esa-Pekka Salonen
Kínēma / Fünf Szenen für Soloklarinette und Streichorchester
Edvard Grieg
Aus Holbergs Zeit / Suite im alten Stil für Streichorchester op. 40
Einführung mit Esa-Pekka Salonen und Julius Heile
19 Uhr / Elbphilharmonie, Großer Saal
Elbphilharmonie Hamburg, Die Jacken der Spacken klassik-begeistert.de, 16. Januar 2022