Fotos: © Mathias Bothor
Brillant die Dirigentin. Ihre absolute Körperspannung, ihr prägnant und gleichsam fliessend sanftes Dirigat lassen deutlich eine Fachfrau am Werk erkennen.
Elbphilharmonie Hamburg , Großer Saal, 12. Januar 2020
NDR Elbphilharmonie Orchester
Karina Canellakis, Dirigentin
Lars Vogt Klavier
Christian Tetzlaff Violine
Tanja Tetzlaff Violoncello
Anton Webern (1883 – 1945) Sechs Stücke für Orchester, op. 6
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur, op. 56 „Tripelkonzert“
Ludwig van Beethoven, Ouvertüre zu H. J. von Collins Trauerspiel „Coriolan“ c-Moll, op. 62
Witold Lutoslawski (1913 – 1994) Konzert für Orchester
von Elzbieta Rydz
Das „Tripelkonzert“, das Konzert für Klavier, Violine und Violoncello mit Orchesterbegleitung, C-Dur, op. 56, ist im Charakter heiter, beschwingt und unproblematisch, will musizierend unterhalten: im „Grand Concerto concertante“ macht es das Trio Klavier, Violine und Violoncello mit dem Orchester. Umfangreich, mit einer Fülle frischer, melodienreicher Solopartien, liebenswert. Dem hervorragenden Solisten-Trio ist der ungetrübte Genuss anzusehen: fließend vollkommen die Übergaben zwischen den Instrumenten, auffallend die Behandlung des flüssig gehaltenen Klavierparts (ursprünglich für den sehr jungen Schüler Beethovens, Erzherzog Rudolph, geschrieben) im Verhältnis zum differenzierten Streicherduo. Der über 351 Takte breitgesponnene heitere erste Satz Allegro erfüllt den Großen Saal der Elbphilharmonie mit dem freudig-stolzen, aus den Bässen der Streicher unisono aufsteigenden, dann energisch entwickelten und von den Instrumenten des Solotrios weiter fortgeführten Klang.
Das darauffolgende As-Dur Largo mit weitgeschwungener Gesangsmelodie und deren ausgeschmückten Abwandlungen wird unmittelbar vom konzertierenden Violoncello in den Finalsatz übergeleitet; zum Glück!
Offensichtlich sind recht viele Elphi-Besucher an diesem Sonntag nicht in den Genuss des von dem grandiosen Geiger Daniel Hope kurzweilig geschriebenen Buches „Wann darf ich klatschen?“ gekommen und haben direkt nach dem ersten Satz des „Tripelkonzertes“ applaudiert.
Der finale Satz, „Rondo alla Polacca“: federnd, feurig, beschwingt mit dem tänzerischen Polonaisethema; auch hier überlässt das excellent begleitende NDR Elbphilharmonie Orchester dem ausgiebig musizierenden Solotrio die Führung, tritt aber auch in den Zwischenspielen beeindruckend selbständig hervor.
Witold Lutoslawskis Konzert für Orchester, das monumental angelegte 1950 durch den Gründer der Warschauer Philharmonie in Auftrag gegebene symphonische Werk, wurde 1954 vollendet und uraufgeführt.
Das Auftragswerk vereint in organischer Weise das schöpferische Denken der polnischen Volksmusikintonationen mit barocken Prinzipien in der Anlage der einzelnen Sätze. Was so volkstümlich daherkommt und als Realismus bezeichnet wurde, war ein Ergebnis der deprimierenden, inhumanen und kunstfeindlichen Lage in den Ländern Osteuropas nach 1945. Unter dem Joch der Sowjetunion, in der insbesondere Atonalität, Dissonanz sowie musikalische Moderne und Avantgarde als Formalismus abgetan wurden, war die Freiheit auch künstlerisch verboten.
Im ersten Satz der „Intrada“, die in mehrere kontrastierende Abschnitte gegliedert ist, wird das erste Thema von den Celli angestimmt: hier wird das Bedrohungsszenario physisch spürbar und an Pauken, Harfen, Fagotte und Bässe weitervererbt.
Das „Capriccio notturno“, der 2. Satz ,besticht besonders durch den eigenartigen, huschend phantastischen Charakter des kontrastierenden Mittelteils, einem melodiösen Arioso. Von den Hörnern getragen und abgehoben von den flüsternden Klängen der Streicher im Capriccio.
Hier werden die Charakterstärke, Reife und Virtuosität des Konzertes für das Orchester besonders spürbar: in den solistischen Partien einzelner Instrumentengruppen, im gleichsamen Jonglieren mit den Fragmenten der masurischen Motive. Dem paritätisch besetzten NDR Elbphiharmonie Orchester ist die Freude an der gemeinsamen Musik deutlich anzusehen: im Blickkontakt, im gemeinsamen Atmen, in der künstlerischen Unabhängigkeit und Freiheit, die Lutoslawski so schmerzlich vermisst hatte. Die schöpferische Energie erfüllt das ganze, drei Jahre „alte“ Konzerthaus.
Brillant die Dirigentin. Ihre absolute Körperspannung, ihr prägnant und gleichsam fließend sanftes Dirigat lassen deutlich eine Fachfrau am Werk erkennen; Karina Canellakis ist Geigerin und eine Dirigentin, die exzellent die Technik beherrscht und leidenschaftlich und emotionsgeladen nicht nur Beethoven und Webern, sondern auch den weniger bekannten Witold Lutoslawski interpretiert.
Und wenn ich Anfang 2020 nach diesem unglaublich hochkarätigen Konzert einen Wunsch frei hätte:
Ich wünsche mir, dass die 40, aus welchen Gründen auch immer beim „ausverkauften“ Konzert leer gebliebenen Plätze der Elbphilharmonie sich kostenlos und spontan mit jungen Schülern, Studenten, FSJlern und Azubis gefüllt hätten. Es reicht eine App und/oder eine Ansage im NDR Radio/Fernsehen, ähnlich der Hamburger Theater App.
Ein Wunsch, ein Traum, eine Haltung und Hoffnung für die Musik, die junge Elphi und die Kulturstadt Hamburg.
Und für meinen Witold Lutoslawski.
Elzbieta Rydz, 14. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at