Elbphilharmonie Opening Night 2017: Hamburg, meine Kultur-Perle, Du mauserst Dich!

NDR Elbphilharmonie Orchester, Klaus Maria Brandauer, Thomas Hengelbrock, Katharina Konradi, Víkingur Ólafsson, Ludwig van Beethoven,  Elbphilharmonie, Hamburg

Foto: © Peter Hundert
NDR Elbphilharmonie Orchester
Klaus Maria Brandauer Sprecher
Dirigent Thomas Hengelbrock
Katharina Konradi Sopran
Víkingur Ólafsson Klavier
Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60
Ludwig van Beethoven, Musik zu Goethes Trauerspiel »Egmont« op. 84
Nachtstudio mit Lesungen, Liedern und Klavierwerken von Ludwig van Beethoven

Der große Nachrichtenmann Ulrich Wickert hat den Deutschen viele Jahre mit feiner Ironie und beruhigender Stimme die Welt erklärt. An diesem Freitagabend genießt der 74 Jahre alte ehemalige Anchorman der „Tagesthemen“ die Opening Night 2017 in der Elbphilharmonie im Hamburger Hafen und bekennt in Ebene 13 klassik-begeistert.de: „Ich bin ein großer Beethoven-Fan. Und ich bin ein Mann, der Thomas Hengelbrook sehr schätzt – er ist einer der ganz großen Dirigenten unserer Zeit.“

Da passte es perfekt, dass der in zwei Jahren scheidende Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters bei der ersten Opening Night seines Klangkörpers in der neuen Heimat, der Elbphilharmonie, ganz viel Beethoven mitgebracht hatte: Die Saisoneröffnung stand ganz im Zeichen dieses musikalischen Heroen. Dafür holte Thomas Hengelbrock Beethovens Musik zu Goethes »Egmont« aus der Versenkung und präsentiert das selten gespielte Meisterwerk in einer neu konzipierten, halbszenischen Fassung mit dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer an seiner Seite – den Auftakt machte die vergleichsweise selten aufgeführte 4. Sinfonie.

„Mr. Tagesthemen“ Ulrich Wickert war von der Beethoven-Darbietung begeistert, vor allem vom langsamen, gefühlvollen zweiten Satz. „Thomas Hengelbrook hat heute wunderbar gezeigt, wie feinfühlig er die einzelnen Stimmen herausarbeitet. So ein Dirigent kann mit diesem Orchester in der Elbphilharmonie Wunder bewirken. Ich bedauere, dass Hengelbrock Hamburg verlässt – er hat das Orchester in sechs Jahren sehr nach vorn gebracht. Die Elbphilharmonie kann es von der Architektur und von der Akustik her absolut mit der neuen Philharmonie de Paris aufnehmen, die fast genau zwei Jahre vor der Elbphilharmonie eröffnet hat. Davon habe ich mich persönlich überzeugen können.“

Noch ein ganz großer deutscher Journalist war mit seiner Frau, der STERN-Autorin Katja Gloger, zu Gast bei der Opening-Night: Georg Mascolo, 52, von 2008 bis 2013 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Seit 2014 leitet er den neu geschaffenen Rechercheverbund des NDR, des WDR und der Süddeutschen Zeitung. Außerdem ist er für die ARD als Terrorismusexperte tätig.

Der „Journalist des Jahres“ (2014), der meisterhaft komplizierte politische Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen vermag, bekannte: „Ich höre Klassik mit großer Begeisterung. Leider wird große Klassik von zu vielen Konzerthäusern verweigert. Und leider ist es in Deutschland nicht einfach, ein richtig gutes Klavier-Konzert von Mozart live zu hören. Beethovens 4. Sinfonie höre ich heute zum zweiten Mal – das war wirklich eine großartige Leistung des Dirigenten und des Orchesters.“

NDR Kultur: „Die Vierte Sinfonie von Ludwig van Beethoven beginnt in trüber Finsternis. Schwarze Wolken verdüstern den Horizont. Aber dann reißt der Himmel auf und die Sonne bricht durch. Thomas Hengelbrock und das NDR Elbphilharmonie Orchester entfalten bei der Opening Night eine mitreißende Energie. „Durch das Dunkel zum Licht“ ist ein Leitmotiv im Schaffen von Ludwig van Beethoven. „Diese Musik ist eine ungeheure Selbstbehauptung in der Welt und auch gegen die Welt“, sagt Thomas Hengelbrock, der den Notentext immer auch als persönliche Botschaft des Komponisten liest und damit die Ausdruckskraft der Musik zu Tage fördert. Das ist in der packenden Interpretation der Vierten Sinfonie zu spüren, aber auch in der Musik zu Goethes ‚Egmont’, dem Hauptwerk der Opening Night.

Gemeinsam mit dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer hat Hengelbrock eine neue Textfassung des ‚Egmont’ erstellt. Sie verdichtet das Geschehen des historischen Trauerspiels auf eine einzige Sprechrolle. Klaus Maria Brandauer ist Erzähler, Hauptperson und Gegenspieler zugleich – nur ergänzt durch die Sopranistin Katharina Konradi in der kleinen Gesangspartie des Clärchen. Wie im Fluge vergehende drei Stunden. NDR Elbphilharmonie Orchester Opening night 2017/2018Mit fesselnder Bühnenpräsenz und einem breiten Repertoire an stimmlichen Nuancen, vom Brüllen bis zum Flüstern, durchlebt Brandauer das Drama des niederländischen Grafen Egmont, der zunächst als Kriegsheld gefeiert wird, doch den Kampf gegen die Fremdherrschaft der Spanier schließlich mit dem Märtyrertod bezahlt.“

Der Herausgeber von klassik-begeistert.de hatte im Juli 2016 das Vergnügen gehabt, als Sänger des Symphonischen Chores Hamburg gemeinsam mit Klaus Maria Brandauer auf der Bühne zu stehen: 180 Sängerinnen und Sänger des Symphonischen Chores Hamburg und des Flensburger Bach-Chores brachten unter Dirigent und Chorleiter Professor Matthias Janz im Kunstwerk Carlshütte in Rendsburg-Büdelsdorf mit dem Elbipolis Barockorchester Hamburg „Die Jahreszeiten“ von Joseph Haydn auf die Bühne. Die beiden Konzerte am 16. und 17. Juli 2016 im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals mit je 1400 Zuschauern waren binnen weniger Stunden restlos ausverkauft gewesen.

„Schuld“ daran war damals auch der österreichisch-deutsche Schauspieler und Weltstar Klaus Maria Brandauer: Nuancenreich und bewegend sprach er Texte von Joseph Haydn sowie Johann Wolfgang Goethe bis Rainer Maria Rilke. Wie in der Carlshütte zeigte Brandauer („James Bond 007 – Sag niemals nie“; Oscar-Nominierung für die Rolle des Baron Bror von Blixen in Sydney Pollacks „Jenseits von Afrika“) auch am Freitagabend, dass er ein herausragender Schauspieler und Sprecher ist: Von zart flüsternd bis männlich schreiend versetzte er mit seiner Bariton-Stimme viele Zuschauer fast in Trance. Der in Altaussee, Wien, Berlin und New York lebende 74-Jährige kann mühelos mit seinem Bariton ein Forte spielendes Orchester übertönen – mit unzähligen Zwischentönen. Amazing!

Wenn Klaus Maria Brandauer nicht sprechen, sondern singen würde, wäre seine Stimme so reich, so einfühlsam und so textstark wie jene des Ausnahme-Baritons Christian Gerhaher. Brandauers Lesestimme ist überwältigend. Ihm unterlief in 110 Minuten kein einziger Sprechfehler.

Ja, dieser Klaus Maria Brandauer könnte das Telefonbuch von Wanne-Eickel (Nordrhein-Westfalen) vorlesen: Niemand würde den Saal verlassen, jeder würde an seinen Lippen kleben.

Der Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Lutz Marmor, war von dem Schauspieler höchst angetan: „Das Zusammenspiel zwischen Brandauer und dem Orchester hat mich richtig berührt“, sagte der 63-Jährige im Gespräch mit klassik-begeistert.de. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda waren unter den 2000 Zuschauern.

NDR Kultur: „Leise Töne rücken dann im dritten Teil der Opening Night ins Zentrum. Der isländische Pianist Vikingur Olafsson spielt Sonatensätze und Bagatellen von Beethoven. Dazwischen liest Klaus Maria Brandauer aus Texten von Goethe und Shakespeare und dem „Heiligenstädter Testament“ von Beethoven – ein Brief des Komponisten an seine Brüder aus dem Jahre 1802, in dem der damals 31 Jahre alte Komponist seinen Schmerz über die zunehmende Ertaubung bekannte. Vikingur Olafsson, 33, nimmt den intimen Ton der Texte in sein Spiel auf und formt anrührende Interpretationen. So entsteht ein emotional dichtes Zwiegespräch aus Literatur und Musik – als Schlusswort eines Abends, der den Titanen Ludwig van Beethoven ganz menschlich und nahbar macht.“

Ja dieses NDR-Elbphilharmonie Orchester: Es spielte am Tag 1 in der neuen Saison so befreit, so luftig und leicht, mit so viel Freude. Den meisten Musikern sah man an, dass sie wieder richtig Lust haben, in der Elbphilharmonie zu einem Weltklasseorchester heranzureifen. Wie das Orchester mittlerweile Klangphrasen vom Pianissimo elegant ins Fortissimo zu steigern weiß, ist ganz große Klangkultur.

Und auch Thomas Hengelbrook zeigte sich feinfühlig, agil, präzise und mit großer Arbeitsfreude: Von Müdigkeit keine Spur. Hengelbrook dirigierte hoch energetisch geladen, begeisternd und sehr einnehmend. Wenn der 59-Jährige mit so viel Freude und Engagement weiterdirigiert, stehen den Besuchern noch viele Sternstunden in Hamburgs neuem Klassiktempel bevor – ab der Saison 2019/20 wird der New Yorker Alan Gilbert dann das Ruder übernehmen.

170829_open_air_c_claudia_hoehne_41Klassikfans, die keine Karte bekommen hatten, konnten den Abend auf NDR Kultur, im Livestream und auf einer LED-Wand auf dem Elbphilharmonie-Vorplatz verfolgen. Leider gab es wieder einmal mehr als 100 Besucher, die nach Beethovens Egmont das Gebäude verließen – 20 Crétins sogar, während der Pianist Vikingur Olafsson und Brandauer im dritten Teil brillierten. Diese Besucher gehören leider zum Konzertalltag in der Elbphilharmonie: Schnell mal rein, Selfi machen und dann den Freunden sagen: „Wir waren ‚drinne’ im 866-Millionen-Euro-Bau.“ Vielleicht bedarf es bald einer Ansage, das Konzert nicht während der Aufführung zu verlassen – manche Leute haben einfach kein Benehmen.

NDR Elbphilharmonie Orchester Opening night 2017/2018Fazit: Beeindruckende, im Fluge vergehende drei Stunden in einem Ausnahmekonzertsaal mit einem Orchester, das sich peu à peu zum Weltklasseorchester entwickelt. Klaus Maria Brandauer ist ein Ereignis. This man is magic! Der Ausnahmeschauspieler, das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Thomas Hengelbrook und Vikingur Olafsson sorgten für eine wunderbare „Opening Night“ – eine Nacht, die große Lust auf mehr macht.

Hamburg, meine Kultur-Perle, Du mauserst Dich!

Andreas Schmidt, 2. September 2017,
klassik-begeistert.de

 

 

3 Gedanken zu „NDR Elbphilharmonie Orchester, Klaus Maria Brandauer, Thomas Hengelbrock, Katharina Konradi, Víkingur Ólafsson, Ludwig van Beethoven,
Elbphilharmonie, Hamburg“

  1. Klaus Maria Brandauer ist wahrlich ein Erlebnis. Ich durfte ihn in einer Bonhöffer-Lesung mit Violinbegleitung von Daniel Hope im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses erleben. Hat mich schwer beeindruckt der Mann.
    Jürgen Pathy

  2. Ich war gestern in der Bremer Glocke. Das NDR Elbphilharmonie Orchester hat mich begeistert. K.M. Brandauer hat mich maßlos enttäuscht. Seine Stimme war akustisch kaum zu verstehen, die Besucher lauschten angestrengt seiner Texte, schüttelten zum Teil die Köpfe, weil so gut wie kein Text im Zusammenhang zu verstehen war. Haben die nicht geprobt? Ist die Glocke für eine Lesung akustisch ungeeignet? Schade, denn der Name Brandauer allein macht es nicht.
    Hans Fabian

    1. Lieber Herr Fabian,

      herzlichen Dank für Ihre sehr interessanten Zeilen über die Akustik in der Bremer Glocke. Das ist wirklich sehr schade, dass Sie Herrn Brandauer so schlecht gehört haben. Ich darf Ihnen versichern: Er spricht sehr deutlich, wunderbar facettenreich und mit beachtlichem Volumen. Ich hatte das Vergnügen, ihn als Sprecher in der Elbphilharmonie zu hören – und habe jedes Wort verstanden.
      Und ich bin mit ihm schon aufgetreten: Beim Schleswig-Holstein Musik-Festival im Juli 2016 im Kunstwerk Carlshütte in Büdelsdorf an zwei Abenden. Ich hatte die Freude und Ehre, als Sänger des Symphonischen Chores Hamburg unter Leitung von Professor Matthias Janz teilzunehmen. Ich stand also hinter Herrn Brandauer, als dieser zur Musik von Joseph Haydns „Die Schöpfung“ sprach. Und ich sage Ihnen: Ich habe deutlich jedes Wort haarscharf verstanden – bei jeder Probe und bei beiden Aufführungen. Klaus Maria Brandauer ist ein außergewöhnlicher Mann von Weltklasse – mehr Bariton-Sprechstimme geht nicht. Ich liebe seine Stimme.
      Mit herzlichen Grüßen
      Andreas Schmidt
      Herausgeber
      klassik-begeistert.de

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