Riccardo Muti © Dieter Nagl
Riccardo Muti hat zum 7. Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigiert. Dabei bringt er mehr Agogik ins Spiel, als man erwarten dürfte. Die Dynamiken, die Lautstärkenunterschiede, seien das Wichtigste, um Musik zu gestalten. Hat Riccardo Muti gesagt.
von Jürgen Pathy
Beim berühmten Donauwalzer legt Muti aber gerade auf die Tempoverzögerungen viel wert. Stoppt beinahe den Fluss, nur um die Donau dann umso geschmeidiger, mit Schwung in den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins fließen zu lassen. Klatschen natürlich erlaubt. Aber nur dieses eine Mal. Ansonsten gibt’s strenge Blicke, wenn während des Konzerts gestört wird. Das Neujahrskonzert ist eben etwas Besonderes. Es läutet das neue Jahr erst richtig ein. Was wäre der 1. Januar, der erste Tag im neuen Jahr, ohne das Neujahrskonzert? Richtig – nur die Hälfte wert.
Mama, schalt die Kiste ein!
„Mama, hast du den Fernseher eh aufgedreht?“ „Schau mal, an den zweiten Geigen, am zweiten Pult, rechts von Muti – das ist der Herr Kováč, den wir letztens beim Asiaten in Hietzing gesehen haben.“ Seit knapp 30 Jahren ist der gebürtige Slowake bei den Wiener Philharmonikern. Bei den Tourneen und Konzerten nicht immer dabei, oft aber im Graben der Wiener Staatsoper. Beim Neujahrskonzert ist er gefühlt jedes Mal präsent. Vor einigen Jahren sogar als Stimmführer der zweiten Geigen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sitzt dieses Jahr auch im Publikum. Neben anderen prominenten Gästen aus Politik und Kultur. Den Pianisten David Fray fangen die 14 TV-Kameras, die dabei sind, ebenso ein. Wie Markus Hinterhäuser, den Intendanten der Salzburger Festspiele, und den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer.
Die erste Komponistin
Die werden Zeugen einer Premiere. Constanze Geiger hat es aufs Programm geschafft. Zum ersten Mal in der 85jährigen Geschichte des Neujahrskonzerts, das ein Werk einer Komponistin mit das neue Jahr einläutet. Der Rest ist eher vernebelt. 1. Januar 2025 heißt nämlich auch: spät am Vorabend ins Bett. Halb Fünf dürfte es gewesen sein. Ein, zwei Gläser schwerer Rotwein inklusive – Rioja, um genau zu sein. Und Champagner dieses Jahr. Hatte ein großer Lebensmittelhandel im Angebot. „Pfui, so eine Proletenmarke“, meint einer meiner Gäste. „Der Lugner hatte den gerne getrunken.“ Beim Neujahrskonzert hatte der wiederum nie einen seiner PR-Auftritte, stattdessen beim Opernball in der Wiener Staatsoper.
Staatsoperndirektor Bogdan Roščić entdecken die Kameras heute nicht. Dass er den Opernball als Pflichtübung empfindet, ist bekannt – zum Neujahrskonzert könnte er auch ruhig kommen.
Strauß dominiert
Strauß Sohn und Johann Strauß Vater dominieren das Programm. Dazu kommen Werke von Josef Strauß und Josef Hellmesberger (Sohn). Tiefgründiges ist schwierig zu berichten. Dolby Surround, beste Tonqualität, wenn man sie hätte – alles schön und gut. Doch was wirklich zählt, was Substanz und Tiefe verleiht, ist das Live-Erlebnis. Wären die Karten nur nicht so rar. Bayreuth ist dagegen ein Kindergeburtstag. Dort gibt es seit Jahren Restkarten – undenkbar früher, seit Corona normal. Für Karten des Neujahrskonzerts stauen sich die Anfragen am Tisch der Wiener Philharmoniker. Und das bei Preisen zwischen 35 € und 1.200 €.
Dafür gibt es wie jedes Jahr eine florale Blütenpracht und das für viele weltbeste Orchester der Welt (beim Neujahrskonzert trifft das sicherlich zu). Und Dirigenten am Pult, die erst zu Größen werden, WEIL die Wiener Philharmoniker sie einladen. Selbst Persönlichkeiten wie Riccardo Muti erheben sich erst dadurch in den Legendenstatus.
Wo bleibt die erste Dirigentin des Neujahrskonzerts?
Einziger Wermutstropfen: Frauen erblickt man im Orchester gefühlt noch immer selten. Die erste Dirigentin des Neujahrskonzerts lässt ebenso auf sich warten. Mirga Gražinytė-Tyla wäre eine heiße Kandidatin – immerhin wird sie im Mai 2025 bereits Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker leiten. Für manche das Zeichen, dass sie die erste sein könnte.
Joana Mallwitz hingegen leitet bisher vor allem Opernaufführungen. Einzige Ausnahme: die Mozartwoche in Salzburg 2024. Simone Youngs letzter Auftritt liegt bereits eine Weile zurück. 2005 hatte die Australierin, die als erste Frau am Pult der Wiener Staatsoper stand, ihr letztes Orchesterkonzert geleitet.
Eines steht bereits fest: 2026 kommt für alle zu früh. Da wird Yannick Nézet-Séguin das Neujahrskonzert leiten.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 1. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das Arena di Verona Opera Festival ist ein No-Go klassik-begeistert.de, 2. Januar 2025