„Diesen Kuss der ganzen Welt“ – in Wien hören Sie die beste NEUNTE der Welt

Neujahrskonzert der Wiener Symphoniker und der Wiener Singakademie, Beethoven 9  Wiener Konzerthaus, 1. Januar / Jänner 2024

Vor dem Neujahrskonzert im Wiener Konzerthaus traf ich unweit der Kassa klassik-begeistert-Autor Johannes Fischer, Hamburg, mit seinen Eltern aus Kalifornien. Hier sind Johannes’ Impressionen:

„Musikalischer Volltreffer zum Jahresauftakt: Wenige Stunden nach dem prestigeträchtigen Philharmoniker-Neujahrskonzert läutete Omer Meir Wellber im Konzerthaus eine neue Ära der neunten Sinfonie von Beethoven ein. Vor allem die ersten beiden Sätze hatten ordentlich Schub nach vorne, das Scherzo tanzte mit luftigen Melodien und fast schon groovigen Rhythmen durch den Saal. Wie Beethoven: Wild, aber nicht zu wild, stets mit messerscharfer Präzision und Wienerischem Charme. Das war nicht mehr das alte, ausgeleierte Meisterwerk des Klassik-Establishments, das war ein Meilenstein in der Aufführungsgeschichte dieses wunderbar wegweisenden Musikstücks.  

Schon die Uraufführung löste eine musikalische Revolution aus, selbst Richard Wagner konnte das Werk aus seinem Bayreuther Festspielhaus nicht verbannen. Die Wiener Symphoniker spielten dieses Werk auch 250 Jahre danach wie auf den musikalischen Barrikaden, der Schlusssatz endete im grenzenlosen Jubelgesang mit Chor und vier feinen SolistInnen der Extraklasse. Christopher Maltman schmetterte das Bass-Solo wie ein allmächtiger Wagner-Wotan ins Haus, der Tenor Michael Schade kämpfte freudig zum Siegen wie ein Siegfried.

„Nun steht der Cherub mal wieder vor Gott…“

Wiener Konzerthaus, 1. Januar / Jänner 2024
Neujahrskonzert

Wiener Symphoniker
Wiener Singakademie
Mari Eriksmoen, Sopran
Wallis Giunta, Mezzosopran
Michael Schade, Tenor
Christopher Maltman, Bariton
Omer Meir Wellber, Dirigent

Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125 (1822–1824)

Fotos: Wiener Singakademie ©
Omer Meir Wellber  © Luca Pezzani

von Andreas Schmidt

Nachdem ich 41 Mal die 9. Menschen-werden-Brüder-Sinfonie von Ludwig van Beethoven gesungen (mit dem Symphonischen Chor Hamburg und dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg)  und live gehört habe, steht nach diesem Abend im Wiener Konzerthaus eines für mich glasklar fest:

So gut wie im prächtigen Jugendstil-Saal des Wiener Konzerthauses ist die NEUNTE des großen Ludwig NIRGENDWO zu hören und zu erleben.

Was dort am 1.1.24 geboten wurde, war von überirdischer Kraft, von überirdischem Glanz, von überirdischer Schönheit. Dieses Konzert sollte die
europäischen TV-Medien dominieren ab 19 Uhr.

Garant des Glanzes war der israelische Dirigent Omer Meir Wellber. Der Mann ist drahtig und 42 Jahre alt. Mein Lieber-Herr-Gesangsverein, der läuft von rechts mit Tempo 20 auf die Bühne… und wenn er an seinem Pult vorbeigelaufen wäre , hätte er die 400 Meter um das Wiener Konzerthaus herum sicher in europäischer Rekordzeit umrundet. Der Sportler umfasst den Metallrahmen des Pultes, entert letzteres und will am liebsten a pronto anfangen mit der B 9. Okay, da sind noch im Publikum einige nicht so weit, und mancher Wiener Symphoniker könnte wohl auch nicht so einen Start hinlegen.

Dann geht es nach 15 Sekunden los und gleich wird klar: Herr Meir Wellber setzt mit seiner Körperakrobatik, mit seiner Präsenz, seinem Gespür und seiner Sportlichkeit auf 2 erste seeeeeeehr schnelle Sätze. 

Alles erklingt stimmig, transparent, ausgewogen – und natürlich nicht gehetzt. Meir Wellber reitet mit seinen Händen ohne Stab durch die Neujahrsnacht. Er hat enge Tuchfühlung mit seinem Klangkörper. Er ist Beethoven sehr nah. Keine Musikerin, kein Musiker kann sich seinem Sog, seiner Energie, seinem Dirigent- und Mann-Sein widersetzen.

Der dritte Satz, vorher applaudieren ein paar Kulturferne, indes ist sanft wie die Nacht, so zärtlich wie Suleyken, so köstlich wie eine reife Orange. Mein Gott, der Wellber wird weich, butterweich – seine Liebe zur Klassik strömt ins Orchester, ummantelt es, umarmt es.

© Lukas Beck, Wiener Konzerthaus

Dann die Königsnummer, Satz 4. Oft gehört, wohl nie so transparent, soooo lebendig, so weltenergieströmend wie unter diesem Dirigierkünstler. Alles passt, jede Note zeigt Exzellenz und verbindet sich mit der nächsten Exzellenz.

Am Ende: 1 Stunde 10 Minuten Grandesse in Wien. Der Applaus findet kein Ende. Bravi en masse. Herr Wellber, ich bin mehr als glücklich, dass Sie als Generalmusikdirektor in die Freie und Hansestadt Hamburg kommen werden und Herrn Nagano ablösen.

Das wird eine Revolution.

Die Solisten waren alle vom Feinsten, sie haben sehr wenig zu tun, niemand ist hier hervorzuheben. Wenn überhaupt, dann der Bariton von Christopher Maltman, dessen „Oh Freunde, nicht diese Töne“ unter die Haut ging. Bravo!

Phantastisch der gut 100 Sängerinnen und und Sänger starke Chor der Wiener Singakademie. Voll- und Wohlklang par excellence. Kraft, Kühne und Charisma charakterisieren diese Chorgemeinschaft unter Heinz Ferlesch. Stimmfreude pur. Jeder singt OHNE Noten. Bezaubernd die einheitlichen schwarzen, glitzenden Lurex-Blusen der Damen (warum sangen ca. 10 Prozent der Damen in „Hauskleidung“?). Die Herren alle in einheitlichen ! schwarzen Fliegen zum schwarzen Anzug mit weißem Oberhemd. Herr Wellber in dem coolsten schwarzen Gehrock ever seen.

Happy New Year wünscht

Andreas Schmidt, 1. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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