Foto: Bettina Stöß (c)
Ballett-Feerie nach der Erzählung Nussknacker und Mausekönig mit der Musik von Peter I. Tschaikowsky,
Deutsche Oper Berlin, 30. November 2018
von Yolanda Marlene Polywka
Die Weihnachtszeit steht vor der Tür, das merkt man auch den Programmen der großen Konzert- und Opernhäuser an. Da darf natürlich auch das märchenhafte Ballett Der Nussknacker mit der allseits bekannten und beliebten Musik von Peter I. Tschaikowsky nicht fehlen. In diesem Jahr wird die Ballett-Feerie – was für ein treffendes Wort – in Berlin in der Deutschen Oper aufgeführt.
Die Inszenierung von Vasily Medvedev und Yuri Burlaka orientiert sich szenisch und choreographisch stark an der historischen Vorlage, der Uraufführung aus dem Jahr 1892. Ausgehend von den originalen Kostümentwürfen von Iwan Wsewoloshski sowie den historischen Bühnenbildern von Konstatin Iwanow und Michail Botscharow ist ein großartiges Setting entstanden.
Von dem Moment an, in dem sich der Vorhang zu den Klängen der Ouvertüre hebt, transportiert das Bühnenbild Andrei Voytenkos für mich perfekt den Winter- und Weihnachtszauber, der einen wesentlichen Teil des Stückes ausmacht. Ebenso die Kostüme von Tatiana Noginova: Clara schwebt im mädchenhaften weißen Kleid über die Bühne, Drosselmayer zaubert unter seinem auffälligen, opulenten Mantel zahlreiche Geschenke hervor, und die Schneeflocken glitzern fragil und schneeflockig. Auch der gesamte Hofstaat der Zuckermandelfee im zweiten Akt entfaltet seinen Zauber zu großen Teilen durch die fantastischen Kostüme und das weitläufige, detailreiche Bühnenbild.
Die Handlung des Stückes ist sicherlich den meisten Ballett-Fans oder auch Liebhabern der romantischen Dichtung bekannt. Die kleine Clara bekommt von ihrem Patenonkel Drosselmayer zu Weihnachten einen Nussknacker geschenkt. Dieser erwacht nachts zum Leben und kämpft mit seiner Armee aus Spielzeug-Soldaten gegen den bösen Mausekönig. Clara rettet ihren Nussknacker schließlich und begleitet ihn in sein zauberhaftes Märchenreich, in dem er ein Prinz und Sohn der Zuckermandelfee ist, die das Mädchen für seine Tapferkeit belohnt. Am Ende stellt sich heraus, dass alles nur ein Traum gewesen ist. In der Ballett-Inszenierung erwacht Clara allerdings nicht: Das Stück endet mit der festlichen Krönung der Heldin und ihres Prinzen. Der Vorhang schließt sich, als sie sich dem Publikum zuwenden und es golden von der Decke herunterschneit – ein eindrucksvolles, prächtiges Bild.
Die erste Szene im Ballsaal der Familie Silberhaus, in der Clara den Nussknacker geschenkt bekommt, gelingt hervorragend. Das ist vor allem den Schülerinnen und Schülern der Staatlichen Ballettschule Berlin zu verdanken. Man spürt die Freude förmlich, mit der sie vor dem festlichen Weihnachtsbaum tanzen. Gleich zu Beginn fällt ein Mädchen im weißen Kleid mit gelber Schleife auf: Es ist die grandios tanzende Saaya Iwata, die ihr Debüt als kleine Clara gibt. Ihr Tanz mit der Nussknacker-Figur bleibt im Gedächtnis genauso wie die Schlacht zwischen den Spielzeug-Soldaten und der Armee des Mausekönigs (dem ebenfalls sehr überzeugenden Alexej Orlenco). Geschossen wird mit überdimensionalem Obst und Kuchenstücken, das Publikum lacht und es gibt Szenenapplaus. Dagegen fällt der folgende Schneeflockenwalzer leider etwas ab. Nach den wirklich großartigen Kindertänzern wirkt es beinahe etwas steif, wie die Ballerinen in ihren Schneeflocken-Kostümen durch den malerisch verschneiten Tannenwald schweben.
Auf der Konfitürenburg der Zuckermandelfee angekommen, trumpft das Staatsballett Berlin allerdings richtig auf. Zwar wirkt der Spanische Tanz noch etwas schüchtern, dafür überzeugt der folgende Arabische Tanz mit dem fantastischen Gregor Glocke umso mehr. Seine Bewegungen sind unglaublich elegant und fesselnd. Das Publikum klatscht die Tänzer noch während der Szene wieder auf die Bühne. Auch der Chinesische und Russische Tanz sowie der Tanz der Rohrflöten überzeugen.
Tschaikowskys Musik, die vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Robert Reimer großartig und klanggewaltig in Szene gesetzt wird, tut ein Übriges. Das Divertissement endet mit dem Auftritt Mutter Gigoens in ihrem gigantischen Rock, unter dem die kleinen Polichinelles hervorkommen. Die kleinen Mädchen in ihren roten Ballett-Schuhen strahlen ins Publikum und hüpfen im Reigen vor dem Thron der Zuckermandelfee. Leider gelingt auch der darauffolgende Blumenwalzer nicht so richtig. Das Treiben auf der Bühne wirkt etwas wuselig und irgend etwas ist da mit der Länge der Blumengirlanden schiefgelaufen, jedenfalls muss einige Male von den Tänzern nachgegriffen werden.
Es folgt der Pas de deux von Clara, der frisch ernannten Zuckerfee, und dem Nussknackerprinzen. Generell ist Der Nussknacker bekannterweise kein Stück, in dem Solo-Tänzer viele Gelegenheiten bekommen, zu glänzen. Vergleicht man es mit den anderen populären Balletten Tschaikowskys wie etwa Schwanensee und Dornröschen, dann fallen vor allem die Ensembleszenen im Ballsaal und in der Konfitürenburg ins Gewicht. Während der Tarantella kann Daniil Simkin dann endlich sein ganzes Können und vor allem seine Sprungkraft zeigen. Mit gewaltigen Sätzen fliegt er über die Bühne, da gelingt jede Landung und jede Drehung perfekt.
Gegen seine energiegeladenen Bewegungen fällt die Körpersprache Yuria Isakas sehr weich aus. Der Tanz der Zuckerfee scheint ihr deswegen wie auf den Leib geschnitten zu sein. Sie schwebt über die Tanzfläche, alles Drehen, Strecken und Beugen ist dabei unglaublich exakt und zielstrebig. Ihre schauspielerische Leistung untermauert das Bild der zerbrechlichen und dennoch mutigen Clara, das sie mit ihrem Tanz so gekonnt in Szene setzt. In der Coda finden diese zwei außergewöhnlichen Tänzer zusammen. Als optisches und musikalisches Highlight führt der dramatische Tanz der beiden Protagonisten auf das furiose Finale hin, in dem sich der gesamte Hofstaat auf der Bühne versammelt.
Man verlässt den Saal der Deutschen Oper nach dieser Inszenierung des Nussknackers sehr positiv gestimmt. Vor allem Bühnenbild und Kostüme begeistern in jeder Hinsicht; die Musik tut das ohnehin immer und immer wieder. Die Haupttänzer schaffen es alle, ihre Rollen auf individuelle Weise zum Leben zu erwecken. Aus dem Ensemble stechen vor allem die kleine Clara und Gregor Glocke mit seinem Arabischen Tanz heraus. Das Orchester der Deutschen Staatsoper sorgt, neben der umwerfenden Optik des Stücks, außerdem für einen echten Ohrenschmaus. Natürlich ist es kitschig, wenn sich der Vorhang bei goldenem Konfettiregen schließt, aber das stört irgendwie niemanden. Es untermauert lediglich die märchenhafte Weihnachtsstimmung, die dieses Stück verbreitet.
Yolanda Marlene Polywka, 1. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung: Robert Reimer
Choreographie und Inszenierung: Vasily Medvedev und Yuri Burlaka nach Iwanow (1892)
Orchester und Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Bühnenbild: Andrei Voytenko nach Iwanow und Botscharow (1892)
Kostüme: Tatiana Noginova nach Wsewoloshski (1892)
Choreographische Assistenz: Stanislav Feco
Clara/Fée dragée: Yuria Isaka
Nussknacker/Prinz Coqueluche: Daniil Simkin
Drosselmayer: Daniel Norgren-Jensen
Mausekönig: Alexej Orlenco
Kleine Clara: Saaya Iwata