Ida Stempelmann (Eurykleia), Madoka Sugai (Kirke), Hayley Page (Kalypso), Florian Pohl (Er, Polyphem), Anna Laudere (Penelope), Edvin Revazov (Odysseus), Ida Praetorius (Pallas Athene), Louis Musin (Telemachos), Alessandro Frola (Antinoos), Francesco Cortese (Leiokritos), Laura Cazzaniga (Antikleia) (Foto: RW)
Louis Musin beeindruckte als sprungstarker, empathischer und darstellerisch präsenter Telemachos. Wie die Pressestelle der Staatsoper mitteilte, hat Ballett-Intendant Demis Volpi diesen jungen 22-jährigen Tänzer für den mit 8.000 Euro dotierten Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis vorgeschlagen.
Odyssee
Ballett von John Neumeier
Choreographie und Inszenierung: John Neumeier
Bühnenbild und Kostüme: Yannis Kokkos
Musik: George Couroupos
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg,
Leitung: Markus Lehtinen
Hamburgische Staatsoper, 11. April 2025
von Dr. Ralf Wegner
Wer seinen Homer kennt, wird sich nicht langweilen
Neumeiers Ballett hat ein umfangreiches Personenverzeichnis, fast 30 Rollen werden benannt. Neben zahlreichen Götter, darunter Pallas Athene (Ida Praetorius), treten Haley Page als Kalypso, Eleanor Broughton als Nausikaa und Madoka Sugai als Kirke auf. Laura Cazzaniga ist Odysseus verstorbene Mutter Antikleia, Florian Pohl gestaltet mit Bravour den einäugigen Riesen Polyphem, außerdem fehlt es nicht an Lästrygonen, Sirenen, Gefährten und Kriegern.
Wer sich in der griechischen Mythologie und insbesondere in Homers Odyssee nicht auskennt, hat es schwer, die einzelnen, trotz der insgesamt 135 minütigen Dauer der ohne Pause gespielten, recht kurzen Szenen des Balletts richtig zuzuordnen. Insoweit lohnt es sich, vorher den Inhalt zu rekapitulieren.
Vieles bleibt in Erinnerung, wie das von Odysseus’ Kriegern an der Zivilbevölkerung angerichtete Massaker, die Verwandlung seiner Gefährten durch Kirke in Schweine, die Blendung und Erschießung Polyphems, das immer wieder die Bühne beherrschende, von Francesca Harvey mit blauem Gewand und langer Schleppe angeführte Meer, vor allem aber der Wiedersehens-Pas de deux von Odysseus und Penelope sowie die Szene, in der sich Telemachos zwischen die Freier und seinem Vater stellt, so dass dieser, des Tötens leid, die Bedränger seiner Frau ziehen lässt.
Mehr als zwei Stunden ununterbrochener Tanz, was für ein wunderbares Ensemble
Odysseus wurde von Edvin Revazov getanzt. Er legte die Rolle verhalten, fast nachdenklich an, war eher ein Getriebener denn aktiv Handelnder. Dass er am Ende die Waffe vor seinem Sohn niederlegte, war daher schlüssig. Odysseus ist der Metzeleien überdrüssig, er suchte nur noch die Ruhe bei seiner Frau, wunderbar intensiv von Anna Laudere getanzt. Laudere hatte mit Ida Stempelmann eine charismatische Begleiterin, die der kleinen Rolle der Eurykleia überzeugend Profil verlieh.
Louis Musin beeindruckte als sprungstarker, empathischer und darstellerisch präsenter Telemachos. Wie die Pressestelle der Staatsoper mitteilte, hat Ballett-Intendant Demis Volpi diesen jungen 22-jährigen Tänzer für den Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis vorgeschlagen. Musin besitze eine tief verwurzelte Neugierde in seinem Streben nach neuen Ausdruckformen und lebe und verkörpere gleichzeitig die Tradition der Compagnie.
Hoffen wir, dass Louis Musin dereinst den Verlust von nahezu der Hälfte der Leistungsträger des Hamburger Balletts mit ausgleichen wird. Alexandr Trusch, Alessandro Frola, Christopher Evans und Jacopo Bellussi werden, wie zu lesen ist, das Ensemble verlassen, dazu die mit ihrer Präsenz und technischen Brillanz unverzichtbare Madoka Sugai.

Meuterei beim Hamburg Ballett?
Solch einen Aderlass von in der Blüte ihrer Leistungsfähigkeit stehenden, das Neumeier-Repertoire aktuell weitestgehend repräsentierenden Ersten Solisten hat es meiner Erinnerung nach noch nie gegeben. Das erinnert fast an Meuterei. Neumeier hatte zwar zu Beginn seiner Intendanz vielen Tänzern und Tänzerinnen die Verträge nicht verlängert, dafür aber ausdruckstarke Solisten nach Hamburg mitgebracht wie u.a. Marianne Kruuse, Beatrice Cordua oder Max Midinet.

Wie will Ballettintendant Volpi diesen Verlust ausgleichen? Warum gelang es ihm nicht, diese Tänzerinnen und Tänzern zu halten? Besteht eine Unzufriedenheit mit dem Neumeier-ausgedünnten Repertoire? Mit dem Nichtspielen der klassischen Werke wie Dornröschen oder Schwanensee, die von Neumeier gerade erst wieder neu auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper eingerichtet wurden?
Gewiss, Silvia Azzoni und Alexandre Riabko sowie Edvin Revazov und Anna Laudere tanzen weiter, aber, altersbedingt, wie lange noch? Aleix Martínez bleibt offenbar, auch er ist ein absoluter Leistungsträger, aber weniger für das klassische Repertoire, was jede Compagnie, die den Anspruch auf Weltgeltung erhebt, immer wieder auf der Bühne zeigen muss.

Man schaue nur nach Stuttgart. Obwohl von dem 1973 früh verstorbenen John Cranko mit Eugen Onegin und Romeo und Julia eigentlich nur zwei Ballette lebendig geblieben sind, man vergleiche damit das riesige Werk von John Neumeier, hat sich das Stuttgarter Ballett mit an der Weltspitze halten können, auch dank immer wieder auf die Bühne gebrachter klassischer Werke wie in dieser Saison z.B. Schwanensee oder Don Quixote, dazu werden noch das technisch anspruchsvolle Cranko-Ballett Romeo und Julia gespielt, und Neumeiers Anna Karenina (!).
Dr. Ralf Wegner, 12. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Odyssee, Ballett von John Neumeier nach dem Epos des Homer Staatsoper Hamburg, 9. März 2024