Foto: © Enrico Nawrath
Onegin, Staatsballett Berlin in der Deutschen Staatsoper Berlin
19. Oktober 2018
Onegin
Ballett von John Cranko (Stuttgart 1967)
nach dem Versroman von Alexander S. Puschkin (1830)
Musik von Peter I. Tschaikowsky (eingerichtet von Kurt-Heinz Stolze)
Musikalische Leitung: Paul Connelly
Bühnenbild und Kostüme: Elisabeth Dalton
Einstudierung: Jane Bourne
Tatjana: Elisa Carrillo Cabrera
Onegin: Mikhail Kaniskin
Olga: Evelina Godunova
Lenski: Daniil Simkin
Fürst Gremin: Alexej Orlenco
Staatskapelle Berlin
von Gabriel Pech
„Ich liebe Sie (wozu’s verhehlen?) / Doch gab man einem andern mich; / Ihm werd ich treu sein ewiglich.“ Ein Mädchen reift zur Frau. Sie emanzipiert sich durch die Entsagung von der Leidenschaft. Das – und nicht mehr – ist Onegin. Das Werk mit einer Entstehungsgeschichte durch alle Epochen: Ein Versroman aus dem Russland des frühen 19. Jahrhunderts verschmilzt mit orchestrierter Klaviermusik des späten 19. Jahrhunderts als wäre beides für einander geschaffen. John Cranko schuf ein Handlungsballett im besten Sinne des Wortes, reduziert auf die Fabel der Geschichte.
Tatjana steht im Fokus: Elisa Carrillo Cabrera tanzt das Mädchen, das zur Frau wird. Die verschiedenen Etappen dieser Entwicklung formt sie sehr gut aus. Wenn ihr Charakter älter wird, spürt man auch in ihrem Tanz eine Reifung. Nie verlässt sie ihre Rolle, stellt nie ihre tänzerischen Fähigkeiten über Gebühr zur Schau. Dabei besitzt sie einiges, was sie zur Schau stellen kann: Ihre Bewegungen sind von einer bestechenden Natürlichkeit und Präzision. Vor allem das pas de deux im ersten Akt im Traum von Onegin ist erhebend.
Den Angebeteten Onegin tanzt Mikhail Kaniskin vorbildlich. Von Beginn an kauft man ihm den gelangweilten Städter mit Sexappeal ab, in den sich Tatjana augenblicklich verliebt. Wenn ihn der Liebesbrief Tatjanas erreicht, fühlt man sein innerliches Ringen zwischen Zuneigung und Überheblichkeit mit. Er ist dominant und erotisch und es ist nicht überraschend, dass ihm Olga, die Schwester Tatjanas, sofort gefügig ist. In dem Moment, wenn Onegin sich von Tatjana abwendet und sich aus Trotz Olga zuwendet, hätte wohl jeder diese Hand angenommen.
Olga ist der verspielte und verträumte Gegenentwurf zu ihrer Schwester Tatjana. Evelina Godunova steckt voller Lebensfreude und Charme. Auch, aber nicht nur, Koketterie und Naivität sind in ihrem Werkzeugkasten. Es ist bestimmt nicht grundlos, dass sich Onegin gerade sie für seine Selbstbestätigung aussucht. Das pas de deux der beiden ist sehr spannend anzuschauen, Olga schafft es, den Spaß und gleichzeitig die Zerrissenheit zu verkörpern. Dabei ist Olga so glücklich mit ihrem angetrauten Liebhaber Lenski. Die beiden harmonieren perfekt und scheinen eigentlich unzertrennlich.
Deswegen ist dieser Lenski auch wenig begeistert, wenn seine Angebetete von einem Nebenbuhler den Hof gemacht bekommt. Daniil Simkin tanzt diesen Poeten vor allem sehr emotional. Dies ist sehr stimmig, wenn man bedenkt, dass Lenski nach dem Zwischenfall mit Olga und Onegin kurzerhand ein Duell auf Leben und Tod fordert. Bevor dieses stattfindet, darf Daniil Simkin aber noch einmal sein Können in einem Solo unter Beweis stellen. Die Angst vor dem Bevorstehenden und der trotzige Mut zur selben Zeit bestimmen diese Szene. Er tanzt mit einer anmutigen Eleganz, die von einer wundervollen Fragilität durchzogen ist. Dadurch scheint es nur eine logische Konsequenz, dass dieser devote Charakter das Duell mit dem dominanten Onegin verlieren muss.
Viele Jahre später kommt Tatjana mit dem Fürsten Gremlin, einem Freund der Familie, zusammen. Alexej Orlenco spielt diesen sehr charmant und mit einer liebenden Wärme zu seiner Partnerin. Tänzerisch kann er diesmal wenig zeigen, da er nur im pas de deux mit Tatjana vornehmlich stützende Positionen einnimmt. Dabei kommen einige schöne Hebungen zu Stande, während die gehaltenen Figuren häufig leider verkrampft aussehen. Das Paar wirkt nicht hundertprozentig aufeinander abgestimmt.
Trotzdem entscheidet sich Tatjana am Ende für den Fürsten Gremlin, allerdings nicht, ohne vorher noch das weltberühmte pas de deux mit Onegin getanzt zu haben. Auch diesmal war es wieder bis ins Detail perfekt und zum Dahinschmelzen.
Das corps de ballet passt sich perfekt in die Handlung ein. Die Gruppenszenen muten wie kunstvolle Volks- und Gesellschaftstänze an, die zu keiner Zeit unbegründet wirken. Das gesamte Ensemble tanzt wieder sehr musikalisch und komplett homogen.
Musikalisch ist es ein Genuss der romantischen Linien. Paul Connelly führt die Staatskapelle Berlin durch Tschaikowskys leidenschaftliche Musik, ohne zu dick aufzutragen. Die von Kurt-Heinz Stolze (musikalische Einrichtung) beabsichtigte kammermusikalische Wirkung ist nicht verfehlt, die volle Tutti-Romantik spart man sich für Aktschlüsse und emotionale Höhepunkte auf.
Visuell gestaltet Elisabeth Dalton ein naturalistisches Bild, die Bühne der Staatsoper passt dazu hervorragend. Bestimmend sind sanfte Farbverläufe und stimmungsvolle Hintergründe.
Insgesamt ist es ein netter Abend, der nicht zu viel Lärm macht. Man beschränkt sich darauf, eine schöne Geschichte zu erzählen und perfektes Ballett zu zeigen. Das Publikum verlässt beschwingt den Saal, ohne überfordert gewesen zu sein.
Gabriel Pech, 20. Oktober 2018
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at