Nicht von Perfektion geprägt:
Ein verdammter Faust in der Deutschen Oper Berlin   

Fausts Verdammnis, Hector Berlioz, Deutsche Oper Berlin 20. Oktober 2018

Foto: © Ruth Trombouki
Fausts Verdammnis, Hector Berlioz, Deutsche Oper Berlin
20. Oktober 2018

von Gabriel Pech

Faust ist in die Hölle hinabgestiegen. Kaltes Licht wirft harte Schatten. Dramatischer Höhepunkt. Und zwei Männer im Chor kratzen sich gedankenverloren an der Nase…

Was wie Schultheater klingt, ist leider auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin Realität. Der Chor klingt schön, so viel sei vorweg gesagt, die Stimmfarben harmonieren gut und mischen sich zu einem schönen Chorklang. Aber leider funktioniert alles, was mit Tempi, Einsätzen, Choreographien zu tun hat, nicht so richtig.

Besonders spektakulär ist das während Fausts Ankunft in der Hölle, wenn die Männer eine Art Satansmesse darbieten, die sich bei Berlioz eigentlich durch scharfe Konsonanten und eine furchteinflößende Intensität auszeichnet. Den wirren, unmenschlichen Text nimmt man überhaupt erst durch die Übertitel wahr. Ansonsten sehen wir Soldaten, die noch ein, zwei Schritte machen, um sich auf den richtigen Platz zu schummeln, Abbaumaßnahmen, die unchoreographiert aussehen, und kleine Tanzeinlagen, die asynchron und nicht überzeugend sind.

Warum ist das so? Leider kann man das in letzter Zeit nicht nur bei Fausts Verdammnis beobachten, sondern vor allem bei der schwungvollen Carmen stört dies ungemein. Der Chor sollte sich dessen bewusst sein, dass er in der Hauptstadt singt und nicht in Wolfenbüttel (das dortige Ensemble möge bitte entschuldigen).

Christian Spuck
© Stefan Deuber

So, genug der Rage. Der Rest dieser Aufführung war durchaus anständig. Berlioz’ surreale Collage ist in guten Händen bei Christian Spuck, der eigentlich Choreograph ist. Dieser Hang zum Tanztheater spiegelt sich darin wider, dass das Opernballett größter Handlungsträger ist. Die Frauen und Männer schlüpfen in die Rollen der Soldaten, Gretchen und Dämonen mit immer anderen Bewegungsmustern. Sie sind zu keiner Zeit ornamental, wie es sonst bei Ballett in der Oper schnell der Fall ist. Hier ist es ein Genuss, ihnen zuzusehen.

Ein weiterer Genuss ist Roberto Tagliavini als Méphistophélès. Er besitzt einen dämonisch kraftvollen Bass, ihm ist der Teufel auf den Leib geschneidert. Außerdem besitzt er überzeugende Höhen. Er herrscht über die gesamte Geschichte, und das kauft man ihm ab.

Wir folgen John Irvin als Faust auf seinem Weg in den Untergang. Der Tenor ist am Anfang noch etwas leise. Er vermag es nicht, in den baritonalen Lagen den satten Orchesterklang zu überwinden. Dafür besitzt er beeindruckende tenorale Qualitäten. Es klingt wie ein perfekt integriertes Falsett, welches er nach Belieben mit Stimme füllen kann. Für einen Faust ist er vielleicht ein bisschen zu zart, sodass man am Ende fast schon Mitleid mit ihm hat. Dafür kann man aber Marguerite sehr gut verstehen.

Diese ist ihm in Berlioz‘ Fassung nämlich sofort verfallen (bei Goethe muss ja erst noch geflirtet werden). Irene Roberts singt sie mit voluminösem Mezzosopran. Ihr Klang ist wunderbar reich, passt dadurch allerdings manchmal nicht ganz zu der Zartheit, die man sich von einem „Gretchen“ wünschen würde.

Das Orchester unter Donald Runnicles ist diesmal aus dem Orchestergraben räumlich emporgestiegen, quasi gegenläufig zu Faust. Die Musikerinnen und Musiker sitzen bis auf die Bühne, so steht das Orchester im Vordergrund. Dadurch sind sie sehr präsent, neben manchen Sängern vielleicht etwas zu laut. Der Klang ist satt und romantisch, was nicht immer passt. Gerade bei Fausts Höllenfahrt wünscht man sich etwas mehr Eindringlichkeit, mehr Schmiss. Leider übergeht Runnicles viele Akzente.

Insgesamt ist diese Vorstellung ein schönes Ding. Leider bleibt sie weit hinter dem zurück, was sie sein könnte. Es gibt so viele schöne Einfälle und gut besetzte Solisten. Jedoch sind diese gefangen in einer Ausführung, die nicht von Perfektion geprägt ist.

Gabriel Pech, 21. Okt. 2018
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung und Choreographie: Christian Spuck
Bühne, Kostüme: Emma Ryott
Lichtdesign: Reinhard Traub, Ulrich Niepel
Video: Jan Joost Verhoef
Chöre: Jeremy Bines

Marguerite: Irene Roberts
Faust: John Irvin
Méphistophélès: Roberto Tagliavini
Brander: Byung Gil Kim
Solo-Sopran: Cornelia Kim
Chor der Deutschen Oper Berlin
Opernballett der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin

 

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