Wenn ein Topdirigent Tophumor beweist

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom  Daniil Trifonov, Klavier Jakub Hrůša, Dirigent  Köln, Philharmonie, 15. Mai 2024

Daniil Trifonov Klavier, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia,
Jakub Hrůša Dirigent © Christian Palm

Jakub Hrůša dirigiert Gershwin und Rachmaninow in Köln und macht eine witzige, charmante Bemerkung zum Exodus der Massen nach dem Hauptprogramm, das nicht immer das Ende eines Konzerts bedeutet. Daniil Trifonovs Spiel beglückt einmal mehr.

George Gershwin (1898-1937) – Cuban Overture; Konzert für Klavier und Orchester F-Dur (1925)

Sergej Rachmaninow (1873-1943) – Sinfonische Tänze op. 45

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom
Daniil Trifonov, Klavier
Jakub Hrůša, Dirigent

Köln, Philharmonie, 15. Mai 2024 

von Brian Cooper, Bonn

Stellen Sie sich vor, Sie laden jemanden zu sich nach Hause ein, der Ihnen Spannendes erzählt. Insgesamt haben Sie einen vergnüglichen Abend. Doch nach zwei Stunden verlassen Sie mitten im Satz den Raum, also während Ihr Gast noch spricht. Oder weitersprechen will. Oder aber Sie lassen Ihren Gast ausreden und verschwinden danach, ohne etwas zu sagen.

Auch wenn der Vergleich insofern hinkt, als auch Gastgeber zu reden pflegen (ok, das geschieht auch im Konzert), lässt sich dies auf die Konzertsituation übertragen, auf das Konzertende und den vorzeitigen Abgang vieler Menschen, wie er in Köln leider an der Tagesordnung steht.

Jakub Hrůša hatte soeben mit dem römischen Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia ein beachtliches Konzert gegeben. Angesichts des Exodus von Teilen des Publikums, die sich anschickten, nach dem letzten Werk in Scharen den Saal zu verlassen, und dies teilweise auch schon getan hatten, wandte sich der Dirigent mit einer charmanten Ansprache an sein Publikum, ich zitiere aus dem Kopf:

„Meine Damen und Herren, vielen Dank für den freundlichen Applaus. Wir feiern in diesem Jahr zwei wichtige 200jährige Jubiläen, zum einen den Geburtstag von Anton Bruckner und zum anderen jenen von Bedřich Smetana. Beide liegen mir sehr am Herzen. Wir haben zwei Zugaben von Smetana vorbereitet. Aber da schon so viele Menschen gegangen sind…“ – großes Gelächter der Verbliebenen – „spielen wir zunächst eine. Und dann sehen wir, was passiert.“

Jakub Hrůša © Petra Klačková

Solch eine souveräne Reaktion eines Dirigenten im Angesicht krasser Unhöflichkeit wünschte man sich regelmäßiger. Ich erlebte das tatsächlich in meinem langen Konzertgängerleben nur ein einziges weiteres Mal. Damals machte Yan Pascal Tortelier, möglicherweise war es das Konzert mit dem Orchester aus São Paulo im November 2010, eine unmissverständliche Geste des staunenden Schauens, nach dem Motto: „Waren wir wirklich so schlecht?“ Nein, Ihr wart super, das wiederum weiß ich noch genau.

In George Gershwins selten gespielter Cuban Overture zeichnete sich bereits etwas ab, das sich durch das gesamte Konzert zog: eine beeindruckende, erstklassige Homogenität in den Streichinstrumenten, insbesondere den ersten Violinen. Ein wunderschönes Klarinettensolo leitet den ruhigeren Mittelteil ein, doch Beginn und Ende laden mit ihrer Rumbalastigkeit zum Mitwippen ein (wohlgemerkt: nicht zum Schunkeln!). Das liegt auch am bestens aufgelegten Schlagwerk, mit Claves, Maracas, Bongos und Güiro; letzteres Instrument wird auch in Strawinskys Sacre effektiv eingesetzt.

Gershwins Klavierkonzert folgte. Mit Daniil Trifonov hatte man einen der derzeit besten Pianisten unserer Tage gewonnen, und ich hätte zu gern gewusst, wie es Igor Levit gefiel, der im Publikum saß und dasselbe Werk vor fast genau zwei Jahren in Dortmund so fabelhaft gespielt hatte.

Daniil Trifonov © Dario Acosta

Trifonov wirkte nicht ganz so dämonisch wie noch vor gut einem halben Jahr in Baden-Baden. Kerzengerade saß er am Flügel. Wie immer begeisterte die stupende Technik, die absolute Kontrolle seines Spiels. Der johlende Zwischenapplaus nach dem fetzigen ersten Satz machte es für alle Beteiligten schwerer, in die nächtliche, rauchschwere Blues-Stimmung des langsamen Satzes zu kommen, die der grandiose Solotrompeter und das tiefe Holz aber mühelos erzeugten. Die Trompete war mit einem schwarzen Tuch bedeckt: Erinnerungen an den ergreifenden Schluss von Mahlers Dritter kamen auf, 2007 mit Abbado in Luzern. An diesem Abend wurde deutlich, wie kammermusikalisch dieser Mittelsatz eigentlich komponiert ist, im Gegensatz zu Mahlers Dritter…

Attacca ging es ins Finale, das gerade in den unwiderstehlich dargebotenen Tuttistellen beeindruckte. Jedoch empfand ich im Kölner Konzert die angezogene Handbremse, die der geschätzte Kollege auch im Hamburger Konzert beschrieben hatte, ähnlich; zudem war nicht alles astrein zusammen.

Dennoch war’s insgesamt eine wunderbare Darbietung eines Klavierkonzerts, das wir glücklicherweise dieser Tage öfter hören dürfen. Und mit einer irrwitzigen Darbietung eines irrwitzigen Arrangements des ersten Satzes von Bachs dritter Partita für Violine solo BWV 1006 entsandte uns der Solist in die Pause.

Ebenfalls in Baden-Baden hatten mein Begleiter und ich im vergangenen November Rachmaninows Sinfonische Tänze erlebt, die nach der Pause erklangen. Ein wunderbares Saxophon-Solo und perfektes Zusammenspiel von Harfe und Glockenspiel waren im ersten Satz die Highlights; den zweiten Satz veredelten einmal mehr dichtester Streicherklang sowie das sordinierte Blech und der elfenhafte Schluss, der tatsächlich ein wenig an Mendelssohns Sommernachtstraum gemahnte.

Daniil Trifonov Klavier, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Jakub Hrůša Dirigent © Christian Palm

Hier, wie auch im Finalsatz, entstanden endlich erste Bilder im Kopf. Stimmte da etwa der Teufel seine Geige? Nie so gehört. Lange, lyrische Streicherpassagen und eine mitunter bedrohlich aufspielende Bassklarinette waren Höhepunkte. Schade, dass der ausschwingende Gongschlag vom ungeduldigen Publikum zerstört wurde, das sich ansonsten relativ gesittet verhielt (bis auf den oben erwähnten Exodus).

Freilich war es kein herausragender Abend. Dafür hätte es noch mehr Drive, noch mehr Tanz auf der Rasierklinge geben müssen. Santa Cecilia habe ich schon besser gehört. Der liebe Freund, mit dem ich mich glücklicherweise häufiger nach – nicht während – Konzerten austauschen kann, merkte zu Recht an, wir seien aber auch wirklich verwöhnt mit guten Orchestern. Es fiel auf, dass viele im Orchester mit dem Kopf mitgingen: Alle waren völlig in der Musik, bei Gershwin wie bei Rachmaninow.

Dr. Brian Cooper, 18. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Daniil Trifonov, Klavier Jakub Hrůša, Dirigent Elbphilharmonie Hamburg, 13. Mai 2024

Klein beleuchtet kurz Nr 33: Roms Spitzenorchester trifft auf amerikanische Superstars klassik-begeistert.de, 14. Mai 2024

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom Seong-Jin Cho, Klavier, Sir Antonio Pappano Frankfurt, Alte Oper, 27. Januar 2023

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