Sir Antonio Pappano, auf Abschiedstournee, bringt römische Wärme in die Alte Oper

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom Seong-Jin Cho, Klavier, Sir Antonio Pappano  Frankfurt, Alte Oper, 27. Januar 2023

Foto: Accademia Nazionale di Santa Cecilia © Salar Baygan

Mit seinem Spitzenorchester aus der italienischen Hauptstadt gastierte ein Meister der subtilen Schattierungen in der Alten Oper in Frankfurt, zum letzten Mal als Chefdirigent.


Sergei Prokofjew (1891-1953) – Sinfonie Nr. 1 D-Dur, op. 25

Maurice Ravel (1875-1937) – Klavierkonzert G-Dur

Jean Sibelius (1865-1957) – Sinfonie Nr. 5 Es-Dur, op. 82

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom
Seong-Jin Cho, Klavier
Sir Antonio Pappano, Dirigent

Frankfurt, Alte Oper, 27. Januar 2023

von Brian Cooper, Bonn

Mein 40. Konzert in der gefühlt noch jungen Saison 2022/23 bringt mich zum dritten Mal mit Sir Antonio Pappano zusammen, den ich tatsächlich auch zum dritten Mal mit Ravel erlebe. Und was soll ich sagen: Der freundliche und charismatische Herr, liebevoll „Tony“ genannt, ist einfach ein großartiger Ravel-Dirigent! Mit dem Chamber Orchestra of Europe gab er im vergangenen Dezember in Köln ein Tombeau de Couperin, an das man sich noch lange erinnern wird. Was für Holzbläser! Wer’s gehört hat, weiß, wovon ich spreche.

Beim vergangenen Bonner Beethovenfest gab er unter anderem Ravels Shéhérazade mit der wunderbaren Véronique Gens und dem römischen Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, das er am Freitagabend auch in Frankfurt leitete und in dieser Spielzeit nach achtzehn Jahren als Chefdirigent verlassen wird.

„Wo gibt es so etwas noch in unserer abwechslungssüchtigen Welt?“, fragt sich Clemens Haustein (‚Achtzehn Jahre römischer Frühling’, FAZ vom 20. Januar 2023, Seite 11), um anzufügen: „Nur in London am Royal Opera House in Covent Garden. Dort ist ein Musikchef seit einundzwanzig Jahren tätig. Er heißt ebenfalls Antonio Pappano. Und natürlich in Berlin, an der Staatsoper Unter den Linden, wo nun Daniel Barenboim nach dreißig Jahren seinen Posten als Generalmusikdirektor abgibt.“

Haustein tauscht ja schon mal gern die spitze Feder gegen den Holzhammer ein. (Und da spreche ich in der Tat von Mahlers Sechster Sinfonie.) Hier liegt er allerdings goldrichtig, wenn er erwähnt, dass Pappano ein heißer Kandidat für die Nachfolge Barenboims ist. Es wäre ein Glücksgriff, zumal Pappano opernerfahren ist wie kaum ein anderer Dirigent unserer Tage.

Und nicht nur Sängerinnen und Sänger begleitet er sensibel, ohne sie auch nur ansatzweise zuzudecken, sondern auch Instrumentalsolisten, wie in diesem Fall Seong-Jin Cho, der Ravels G-Dur-Klavierkonzert derart fulminant spielte, dass der Steinway-Flügel nur so wackelte. Die perkussive Passage zum Ende des ersten Satzes gelang formidabel, das Adagio assai war erfüllt von Traumseligkeit, und Chos Deutung des letzten Satzes stand jenen von Hélène Grimaud und Martha Argerich in nichts nach.

Das alles wäre jedoch für die Katz, wenn das römische Orchester davonliefe, zu laut spielte oder sonst irgendwie grobschlächtig agierte. Und das war mitnichten der Fall: Das nach der Schutzpatronin der Musik benannte Orchester spielt unglaublich warm. Das tückische Harfensolo im ersten Satz des Klavierkonzerts gelang fabelhaft, mit flirrenden Flageoletts; die blue notes der Blechsektion klangen, als sei man soeben aus dem Jazzkeller gekommen; und die Präzision im Zusammenspiel des gesamten Orchesters mit dem Solisten sorgte für eine überwältigende Aufführung.

Accademia Nazionale di Santa Cecilia © Salar Baygan

Begonnen hatte man den Frankfurter Abend mit Prokofjews „Klassischer“ Sinfonie. Pappano, ein Meister der subtilen Schattierungen, weiß, was er seiner Band abverlangen kann. Das neoklassische Werk wurde in seinem ganzen Humor und all seiner Virtuosität präsentiert – blitzsauber in den Streichern, die wirklich undankbare Passagen zu spielen haben, und mit einer toll aufgelegten Holzsektion.

Viel zu selten werden in Rezensionen die Programmhefte erwähnt. In Frankfurt sind sie besonders gut. In den Texten Ulrike Kienzles erfährt man stets Neues, ab und zu auch Zitate, die man nicht kennt. Hier eines von Jean Sibelius:

„Sah heute […] 16 Schwäne. Einer der stärksten Eindrücke in meinem Leben! Herr Gott, diese Schönheit!Sie kreisten lange über mir. Verschwanden im Sonnendunst wie ein Silberband, das ab und an noch blinkte. […]. Naturmystik und Lebensweh!“

Accademia Nazionale di Santa Cecilia © Salar Baygan

Die fünfte Sinfonie des Finnen stand nach der Pause auf dem Programm. Ich hatte sie durch Simon Rattles CBSO-Aufnahme kennengelernt, bzw. zunächst einen Sampler-CD der EMI, in dem der letzte Satz mit seinem „Schwanenhymnus“ enthalten war. Seitdem liebe ich das Stück sehr. Bis Freitag hätte ich nicht gedacht, dass man diese schwelgerisch-hymnischen Passagen noch mehr auskosten kann als Rattle. Die Hörner, das Fagottsolo auf klangmagischem Streicherteppich und vieles mehr führten zu einer Aufführung der Fünften, die keineswegs nordisch-unterkühlt daherkam, sondern von warmer italianità beseelt war. Selbst die pizzicato-Passagen klangen unerhört kantabel.

Leider war das Haus, obgleich gut besucht, nicht ganz ausverkauft, wie man es zuletzt in Köln bei den Wiener Philharmonikern und bei Igor Levit erlebt hatte. Dieses Orchester verdient ein großes Publikum. Wäre das sensationelle Frankfurter Abo „Orchester Premium“ eine Champions-League-Gruppe, wäre das Orchester aus Rom krasser Außenseiter neben den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem LSO und dem Concertgebouworkest. Aber es geht hier nicht um Punkte, Tabellenplätze oder Konkurrenz, sondern darum, auch die grandiose Spielkultur eines Orchesters hervorzuheben, das vielleicht nicht jeder außerhalb Italiens auf dem Zettel hat.

Accademia Nazionale di Santa Cecilia © Salar Baygan

In einem solchen Abo könnte man sicher auch ein verwegenes Wunschprogramm für einen weiteren Abend mit diesem Orchester – und Antonio Pappano als Gastdirigent! – verkaufen: Vorweg Ottorino Respighis Antiche danze ed arie (3. Suite), gefolgt von der Römischen Trilogie desselben Komponisten…

 „Wir lieben Es-Dur“, so Pappano in seiner charmanten Ansprache vor der Zugabe. Es folge nun jedoch ein englisches Es-Dur. Und meine Vorahnung wurde bestätigt: schönster Elgar zum Schluss, Nimrod aus den Enigma-Variationen.

Dr. Brian Cooper, 29. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom Seong-Jin Cho, Klavier, Sir Antonio Pappano Frankfurt, Alte Oper, 27. Januar 2023

Das Mäkelä-Massaker ist eine niederschmetternde Entgleisung Dr. Brian Cooper, Klassik-begeistert.de

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Sir Antonio Pappano, Dirigent, Víkungur Ólafsson, Klavier Konzerthaus Wien, 23. Januar 2023

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