Der Ring in Dresden, die Walküre: Reaktionär, revolutionär?

Richard Wagner, Die Walküre  Semperoper Dresden, 28. Januar 2023

Foto: Die Walküre © Semperoper/Ludwig Olah 

Halbzeit in Dresden. Nach einem fulminanten Rheingold, eine nicht minder gelungene Walküre – die einige Überraschungen bereithielt. Die Inszenierung stört nicht nur nicht, sie macht Freude. In Dresden erlebt man noch echtes Gesamtkunstwerk.


Richard Wagner

Die Walküre

Christian Thielemann, Dirigent
Staatskapelle Dresden

Willy Decker, Regie
Wolfgang Gussmann
, Bühnenbild

Semperoper Dresden, 28. Januar 2023

von Willi Patzelt

Nach dem ersten Aufzug schaut man in viele verdutze Gesichter. War das gerade wirklich Thielemann? Manche haben vielleicht noch die Kritiken über den Ring an der Lindenoper im Kopf. Betont langsam habe er dort jüngst dirigiert, so war zu lesen. Und jetzt dieser erste Akt. Man hat den Eindruck, im Graben stünde ein junger Dirigent, dem die Nerven mit den Wälsungen durchgingen. In extrem schnellem Tempo peitscht Thielemann – aber voll kontrolliert – durch die berauschende Schlussszene, wie man es von keiner seiner Aufnahmen kennt. Accelerandi auf „Nothung, Nothung“. Purer Rausch. Einfach nur – verzeihen Sie – geil!

Doch fangen wir am Anfang an: Erda und Wotan sei Dank – mit Andreas Schager als Siegmund kann nun der Plan des Göttervaters beginnen. Bloß der freie Mensch kann die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen. Altes muss zerstört werden, damit Neues entstehen kann – so Wagnersches Weltbild, gefasst in Wotans Plan. Die Inszenierung greift die Steuerung des Geschehens durch Wotan trefflich auf: Die Handlung, wie im Rheingold auf einer Bühne im Stühlemeer stattfindend, vollzieht sich nicht nur aus sich selbst heraus, sondern sie wird – ohne dass es die Wälsungen und Hunding mitbekämen – von Wotan „hinter der Bühne“ inszeniert.  Obschon die Idee mit der Bühne auf der Bühne nicht innovativ im engeren Sinne ist, stellt sie jenen Aspekt in den Vordergrund, den viele Ring-Inszenierungen vermissen lassen: Es geht um Wotans Planung und Weltprojekt.

John Lundgren (Wotan) © Semperoper/Ludwig Olah

Dass Siegmund nun, Fricka geschuldet, doch nicht der freie Held wird sein können, ist besonders in diesem „Ring“ sehr verkraftbar: Schließlich singt Andreas Schager auch die „Siegfriede“. Und Schager ist ein Highlight dieses Abends: Sein „heldiger“ Tenor strahlt stählern über das Orchester. Dieser Stimme scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein; die Wälse-Rufe strotzen nur so von Potenz. Auf die Schmiedelieder darf man sich freuen.

Andreas Schager (Siegmund), Allison Oakes (Sieglinde) © Semperoper/Ludwig Olah

Ihm zur Seite überzeugt Allison Oakes als Sieglinde ebenfalls. Vielleicht schont sie sich  – es ist ihr Rollendebüt – im ersten Akt noch zu viel, was neben Schager zuweilen zu vorsichtig und zu sehr „gesungen“ wirkt. Aber im dritten Akt beim Erlösungsmotiv auf „O hehrstes Wunder! Herrlichste Maid!“ spielt sie ihre ganze stimmliche Klasse aus. Obwohl gerade dies eine der ganz wenigen Stellen war, in denen das Orchester nicht voll mit der Bühne harmonierte – die Wirkung, die Atmosphäre war unbeschreiblich toll!

John Lundgren (Wotan), Walküren: Sarah Marie Kramer (Helmwige), Clara Nadeshdin (Gerhilde), Brit-Tone Müllertz (Ortlinde), Štěpánka Pučálková (Waltraute), Julia Rutigliano (Siegrune), Marie-Luise Dreßen (Roßweiße), Katharina von Bülow (Grimgerde), Katharina Magiera (Schwertleite) © Semperoper/Ludwig Olah

John Lundgrens Wotan ist großartig. Voller Innigkeit verabschiedet er sich nicht nur vom „kühnen, herrlichen Kind“, sondern von der ganzen Welt. Lundgren ist als Wotan viel nachdenklicher als eitel, auch schon im Rheingold. Die Strenge nimmt man ihm deshalb nicht wirklich ab; und ein nachdenklichen Göttervater schafft auch einen nachdenklichen Zuschauer.

Ricarda Merbeth (Brünnhilde) © Semperoper/Ludwig Olah

Das „kühne, herrliche Kind“ ist Ricarda Merbeth. Ihr Sopran ist tatsächlich herrlich; allerdings wäre etwas mehr Kühnheit manchmal doch schön gewesen. Neben den stimmlich wunderbar harmonierenden Walküren schließt Georg Zeppenfeld als ausdrucksstarker und extrem bühnenpräsenter Hunding ein erneut großartiges Sängerensemble ab. Christa Mayer als Fricka gelangt auch in der Walküre wieder an Grenzen eines angenehmen Tremolos – und darüber hinaus.

Georg Zeppenfeld (Hunding), Andreas Schager (Siegmund) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Dass die Bühne auf der Bühne im dritten Akt nun nicht mehr da ist und der Walkürenfelsen aus den wellenförmigen Stuhlreihen ragt, will uns wohl zeigen, dass es mit Plänen Wotans vorerst vorbei ist. Ab Montag werden nämlich keine Pläne mehr geschmiedet, sondern Schwerter. Scharf wie Nothung, ist dieser Ring nicht nur musikalisch hinreißend. Er greift vielmehr auch den Zuhörer an. Gerade, weil die Inszenierung nicht nur nicht stört, sondern richtig gut ist – wohl auch, weil nicht alles in die letzte Meta-Ebene abstrahiert wird.

Christa Mayer (Fricka) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Andreas Schager postete kurz vorher auf Facebook: „Heute Teil 1 meines Ring-Marathons in Dresden: Walküre. Mit Schwert und Esche! Fast schon wieder reaktionär“ – und änderte fünf Minuten später „reaktionär“ zu „revolutionär“. Das ist Wagner der Zukunft.

Willi Patzelt, 29. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, DIE WALKÜRE  Ungarische Staatsoper, Budapest, 16. November 2022

Richard Wagner, Die Walküre Staatsoper Unter den Linden, 3. Oktober 2022 Premiere

Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 11. August 2022

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Die Walküre
Semperoper Dresden, 28. Januar 2023“

  1. Siegmund und Siegfried sind beide nichts mehr als eine instrumentalisierter Versuch Wotans, den Ring zurückzuerobern. Die beiden Tenor-Partien mit einem Sänger zu besetzen, ist eine logische Konsequenz aus der Musik: Im Schlussgesang Brünnhildes erklingt, ganz unscheinbar, das Siegmund-Motiv aus dem ersten Walküre-Aufzug. An einer Stelle, an der Siegmund in der Handlung völlig irrelevant geworden ist. Brünnhilde trauert um Siegfried, der, wie uns die Musik sagt, einfach nur ein wiedergeborener Siegmund ist.

    Jetzt fehlt nur noch eine Inszenierung, die Siegmund und Siegfried tatsächlich als ein und dieselbe Person inszeniert…

    Johannes Karl Fischer

    1. Lieber Johannes,

      Ja! Dass die beiden, wie Du so schön formulierst, ein „instrumentalisierter Versuch Wotan, den Ring zurückzuerobern“ sei, ist absolut wesentlich.
      Die beiden als eine Person zu inszenieren, hielte ich dennoch für falsch. Dass Notung in Siegmunds Händen am Speer zerschellt, in Siegfrieds Händen jedoch der Speer bricht, hat – will mir scheinen – jedoch nicht nur mit Frickas Intervention zutun, sondern liegt im Unterschied auch der Figuren selbst. Siegmund kann, anders als Siegfried, nicht der freie Mensch für Wotans Plan sein; er ist mit Wälse aufgewachsen und insofern nicht vollständig frei vom „alten System“. Ferner sollte auch die Bedeutung der Inzest als Mythos nicht übersehen werden. So ist Inzest in vielen Schöpfungsmythen ein initialer Akt des Anfangs.
      Insofern würde ich das mit der Gleichsetzung anders sehen. Das Siegmund-Motiv am Ende scheint mir auch keine Gleichsetzung andeuten zu wollen. Und irrelevant ist Siegmund auch nicht geworden. Die Anlage von Wotans Plan ist auch keine rein konsequentialistische. Nein, Siegmund ist weiter relevant, da er, gleichsam ex-negativo, aufzeigt, was das Siegfried zum freien Helden machen soll.
      Dennoch: Eine Gleichbesetzung ist immer wünschenswert.

      Liebe Grüße
      Willi

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