Foto: Amaury du Closel; Magali Paliès © Marie Julliard
Arnold Schönberg Center, 13. Juni 2022
Musik, Gedächtnis und Politik
Stefan WOLPE Dekret Nr. 2: An die Armee der Künstler op. 7/2
Luciano BERIO O King
Hanns EISLER Kantate im Exil; Die römische Kantate; Ballade vom Nigger Jim; Song von Angebot und Nachfrage
Amaury du CLOSEL Stolpersteine (ÖEA)
Emil František BURIAN Suite américaine op. 15
Orchestre les Métamorphoses
Amaury du Closel, Dirigent
Magali Paliès, Mezzosopran
von Jürgen Pathy
Man spricht Französisch. Ob das üblich sei, frage ich. „Nein“, erwidert mir die junge, dunkelhaarige Dame an der Garderobe. „Heute ist ein französisches Orchester zu Gast“, fügt sie hinzu. Genauso unüblich sind in Wien auch „Stolpersteine“. Vom deutschen Künstler Gunter Demnig europaweit in den Boden verlegte Mahnmale, die an die Deportierung von Juden und Andersdenkenden während des NS-Regimes erinnern sollen. Zwar gibt es sie in Wien auch, aber nur auf Initiative fünf anderer Organisationen. Amaury du Closel, Komponist und Dirigent, hat eines seiner Werke deshalb genauso genannt. Immerhin sei es ein „politisches Konzert“, dem rund fünfzig Gäste an diesem schwülen Sommerabend im Wiener Arnold Schönberg Center beiwohnen.
Ein etwas anderer Abend
Vieles ist anders, hier mitten im noblen dritten Wiener Gemeindebezirk. Das riesige Gebäude, direkt neben dem Schwarzenbergplatz, wirkt kolossal – beinahe übermächtig. Wer den Eingang nicht findet, fühlt sich zum Glück nicht alleine. „Wollen sie auch zum Konzert?“, frage ich ein älteres Paar, das mit seiner Enkeltochter ebenso auf der Suche scheint. Nachdem Google Maps uns nicht im Stich lässt, befinden wir uns in der Aula des Palais Fanto. Ein Gebäude, 1917 im neoklassizistischen Stil errichtet und seit 1998 dazu gewidmet, um Einblick in das Schaffen und Leben des österreichischen Komponisten Arnold Schönberg zu gewähren.
Die Musik, die uns im Konzertsaal einen Stock höher erwartet, klingt ebenso ungewöhnlich. Zwölftonmusik scheint es zu sein. Angesiedelt irgendwo zwischen der Freitonalität eines Richard Strauss und der Atonalität der sogenannten Wiener Schule rund um Arnold Schönberg. Nichts für schwache Nerven. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, auf welchem Hintergrund diese Veranstaltung basiert. Gemeinsam mit dem Orchestre les Métamorphoses möchte Amaury du Closel die Erinnerung hoch halten.
An Komponisten wie Hanns Eisler, der vermutlich nicht so ins kollektive Bewusstsein gebrannt sein dürfte wie Mozart, Schubert oder Beethoven – auch nicht in Wien, der viel zitierten Musikhauptstadt. Als politisch wacher Künstler bezog Eisler Stellung gegen den Nationalsozialismus und jede Form des Unrechts. Davon zeugen auch seine Werke.
Ballade vom Nigger Jim
„Wer weiß schon, was ein Mensch ist?“, fragt Closel, sich zum Publikum drehend. Wovon der „Song von Angebot und Nachfrage“ wortwörtlich erzählt, verstehe ich nicht. Das liegt keinesfalls an Magali Paliès, die mit ihrem dramatisch angehauchten Mezzosopran regelmäßig wie ein bernsteinfarbener Edelstein die düstere Stimmung des Abends erhellt. Eher daran, dass ich mich vom Instrumentarium gefesselt sehe. Die Besetzung ist nun größer als noch zuvor. Zu den meist als Quintett agierenden Musikern gesellt sich nun ein Schlagzeuger dazu.
Dass dabei ein Banjo nicht fehlen darf, wie schon bei der „Ballade vom Nigger Jim“ zuvor, ist klar. Hat doch Hanns Eisler, der diesen Song 1930 komponiert hat, damit vermutlich auf die Rechte der Afroamerikaner gepocht. In einer Zeit, in der Rassengesetze es noch legitimiert hatten, dass Farbige in Bussen und Lokalen getrennt von Weißen sitzen mussten.
Zumindest schießt mir das sofort durch den Kopf. Ob das voreingenommen sein könnte, zweifle ich kurz an mir. Ich weiß es nicht. Denkmuster und Stereotype lösen sich eben nicht so leicht. Banjos, die tief in die Subkultur nordamerikanischen Countrymusik eintauchen lassen, dürften selbst heute noch imaginäre Südstaatenfahnen vor unserem geistigen Auge wehen lassen. Vermutlich hat Eisler das gewusst und bewusst mit diesen Klischees gespielt.
Dass er in diese Werke auch andere Musikstile hat einfließen lassen, löst dann zumindest die Schockstarre, die zuvor noch ganz klar geherrscht hat. Dixie-Rhythmen, die das Tanzbein in Schwingung versetzen und auch ungarische Gipsy-Folklore, in die vor allem Geiger Christophe Quatremer – wenn auch nur ganz kurz, aber doch – entführt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 14. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Iannis Xenaxis: Kraanerg Ballett-Performance Museumsquartier Halle G, 7. Juni 2022