Sol Gabetta © Julia Wesely
Klinke in die Hand: Keine Woche nach dem Orchestre de Paris gastiert das Orchester aus Toulouse in der Kölner Philharmonie, abermals von einem jungen Finnen dirigiert. Sol Gabetta überragt.
Claude Debussy (1862-1918) – Prélude à l’après-midi d’un faune
Ernest Bloch (1880-1959) – Schelomo. Hebräische Rhapsodie
Gustav Mahler (1860-1911) – Sinfonie Nr. 1 D-Dur
Sol Gabetta, Violoncello
Orchestre national du Capitole de Toulouse
Tarmo Peltokoski, Dirigent
Kölner Philharmonie, 12. März 2025
von Brian Cooper
Manchmal birgt der Terminplan eines Konzertsaals durchaus Reizvolles. Keine Woche nach dem formidablen Auftritt des Orchestre de Paris unter Klaus Mäkelä gastierte das Orchestre national du Capitole de Toulouse in der Kölner Philharmonie. Beide französischen Orchester wurden von jungen Finnen dirigiert, deren Karrieren mächtig Fahrt aufnehmen. Tarmo Peltokoski ist ab kommender Saison Chef in Toulouse – wie der nunmehr bald scheidende Mäkelä in Paris.
Wie die Band so drauf sei, frage ich „Wotan“ vor der Tür, der sie schon auf dieser Tour gehört hat und noch eine Karte sucht. In etwa so wie Gürzenich oder WDR, sagt er. An einem guten Abend?, frage ich zurück, mich an Eindrucksvolles unter Sokhiev und Plasson erinnernd. „Wotan“ bejaht. Innert zehn Minuten finden wir einander bei der WDK-Präsentation wieder und stellen fest, dass Michel Plasson dem Programmheft keine Erwähnung wert ist. Dabei war er 35 Jahre in Toulouse Chef, von 1968 bis 2003, wo gibt’s das heutzutage noch? Plasson ist Legende, hat das Orchester in die europäische oder zumindest französische Spitzenliga geführt und etliche tolle Aufnahmen gemacht, darunter für die EMI. Ihn nicht einmal zu erwähnen ist frevelhaft.
Der Abend beginnt unruhig. Orchester und Dirigent sind bereit. Zwei Leute kommen zu spät, doch statt schnell und still beliebige Plätze einzunehmen, das Konzert ist nicht gut besucht, stiefeln sie noch in Reihe sechs, mehrere Leute müssen für sie aufstehen. Es hat etwas von Loriot. Dann macht eine Boomerin noch schnell ein Handyfoto – mit Klickgeräusch, versteht sich. Und als Peltokoski der zauberhaft aufspielenden Soloflötistin bedeutet, sie könne anfangen, hören wir zeitgleich mit dem Beginn des Debussy’schen Fauns noch ein Handy. Man hatte es schon vermisst…
Nur eine Handvoll Störenfriede waren’s, wie immer, aber das reicht schon, und offenbar hat die Frau ohne Armbeuge (nein, das ist keine unentdeckte Oper von Richard Strauss) ein Faible für französische Orchester, denn es war dasselbe penetrante Dauerhusten wie am Pariser Abend. Werte Dame, das ist eine hartnäckige Erkältung, die Sie sich da eingefangen haben. Erholen Sie sich, kommen Sie gesund wieder.
Nun zum Faun: „Diese Klangfarben!“, schwärmte hinterher eine Stimme hinter mir, und das trifft es auf den Punkt. Flirrende Streicher, von zart bis drängend, was vor allem con sordino für prächtige Farben sorgt. Dann zarteste Harfentöne, sublime Hörner. Man könnte sagen: So geht Impressionismus. Und französische Orchester können das besonders gut. Im Mittelteil Eindrückliches von Klarinette und Oboe, es entstehen Bilder.

So wie im folgenden Werk, das man leider kaum im Konzertsaal hört. Es ist ein gutes Stück, und mit einer überragenden Solistin wie Sol Gabetta kommt das Wehklagen –Grundstimmung im Schelomo des Ernest Bloch – perfekt zur Geltung. Gabetta spielt samten, buttrig, voll, klagend, mit extrem variablem Vibrato und dichter Bogenführung. Peltokoskis Orchester begleitet ebenso klangintensiv: Das erste große Orchesterzwischenspiel beeindruckt mit fabelhafter Durchhörbarkeit, die auch fabelhafter Orchestrierungskunst geschuldet ist. Das zweite Zwischenspiel wirkt bis zum Bersten verzweifelt. Und immer wieder das Cello, dessen Melodien die Stimme des Propheten darstellen sollen. Die Stimme des Orchesters sei hingegen, so das Programmheft, „die Stimme seines Zeitalters… seiner Welt… seiner Erfahrung“. Und wenn dem so ist (Bloch habe diese Deutung goutiert, heißt es weiter), dann kann man unsere heutige Zeit kaum treffender als mit Schelomo malen.
In der Zugabe, Blochs Prayer in der Fassung für Cello und Streicher, setzte sich die Melancholie fort. Es waren, kurzum, zwei überzeugende Plädoyers für mehr Bloch.
Auf hohem Niveau enttäuschend war hingegen Mahlers Erste, die aus dem Nichts kommt, das hohe A wie gewohnt von Handygeräuschen untermalt. Das Orchester beginnt gut, die Hörner göttlich – und justament, als man sich mit einem inneren „Es wird verdammt gut“ zurücklehnt, kommen die ersten kleinen Kiekser, die in der Summe, zusammen mit kleinen, aber erstaunlichen, Unzulänglichkeiten in der Feinjustierung, für einen eher durchwachsenen Mahler sorgen. Beispielhaft dafür: das Ende des ersten Satzes, das einigermaßen versemmelt wird. Nichts Schlimmes, aber eben auch längst nicht perfekt.
Gut hingegen gerät der burleske zweite Satz: die Streicher ihre Töne anreißend, das Holz keck, das Blech mit genau dem richtigen Maß an Vulgarität. Im Trio wünschte man sich eine Spur mehr Liebreiz als Kontrast zu dem, was Mahler in einer anderen Sinfonie als „etwas täppisch und sehr derb“ vorschreibt.
Den dritten Satz markiert ein perfektes Tempo, Peltokoski gibt den Einsatz mit dem Kopf, es ist nicht zu schnell, hat die nötige Ruhe, die Würde, eines cortège, eines vorbeiziehenden Trauerzugs. Trüge man einen Hut, er würde gelupft. Hervorragend die von mir so bezeichnete Tavernen- oder Klezmerstelle (nageln Sie mich nicht auf eine Taktzahl fest), mit schmissigen accelerandi, und das „Oh weh“ der Oboe in der zarten G-Dur-Stelle, die mit Liebreiz nun wiederum überhaupt nicht geizt, gelingt prima. Genau wie der gelungene attacca-Übergang ins Finale, in dem man allerdings bisweilen das Gefühl hat, dass der Dirigent um sein Leben pumpt, sich regelrecht ins Orchester streckt, der Klangkörper hingegen den überbordenden Leibesübungen des Chefs lediglich mit Routine und Dienst nach Vorschrift begegnet. Nein – das ist zu hart; es betrifft allenfalls wenige Stellen im Finale.

Als ich vor ungefähr 15 Jahren das Stück unter Iván Fischer beim Beethovenfest erlebte, und hinterher mit einem Freund rauchend ein paar Tränchen verdrückte, waren die Blechbläser aufgestanden (bis auf die Tuba, glaube ich). Das ist sehr effektvoll. Bei Peltokoski waren es nur die Hörner. Und als die Berliner Philharmoniker es bei der ersten Abbado-Probe taten, war dieser, wahrlich kein Laie auf Mahler’schem Terrain, verwundert. Hier also fragt der Rezensent seine Leserschaft, ob sie weiß, was genau Mahler dazu in die Partitur geschrieben hat.
Was fehlte diesem Mahler? Etwas mehr Tiefe, mehr „Achterbahn der Gefühle“, mehr Weltschmerz. (Auch wenn die Sinfonie im Grunde ihres Herzens eine heitere ist.) Beispiel: Der Beginn des Aufbaus zur kurzen Final-Apotheose ist ein dreitöniges Motiv in den Bratschen. Das muss angerissen werden, als gäb’s kein Morgen. Stuhlkante, schon drei Takte vorher. So bocklos, wie’s hier klang, konnte die Apotheose nicht perfekt erglänzen.
Saisonausblick 2025/26
Außerhalb dieses insgesamt guten Toulouse-Abends gibt es viel zu berichten, denn es ist bald Frühling – und damit die Zeit der Vorfreude auf die kommende Spielzeit. Was wir schon wissen:
Die Westdeutsche Konzertdirektion hat eine Stunde vor Konzertbeginn in einer ansprechenden Präsentation ihr ansprechendes Programm für die neue Saison bekanntgegeben…
Die KölnMusik, Hausveranstalterin der Philharmonie, zieht einen Tag später nach und kündigt schon mal die Abos an. Darunter eine ganze Reihe an orchestralen Hochkarätern in der ersten Spielzeit n. L. (nach Langevoort). Mehrmals kommt das Concertgebouworkest, deren Erste Mahler unter Jansons eine der besten meines Hörerlebens (Hörer-Lebens, Hör-Erlebens) bleibt. Mehrmals kommt Shani, mehrmals Mäkelä (darunter wieder mit dem Orchestre de Paris), und es gibt viel reizvolle Kammermusik, darunter den Abschied des Hagen-Quartetts, dem wir eine ähnlich volle Hütte gönnen wie weiland den Alban Bergs…
Tarmo Peltokoski wird „Exklusivkünstler“ am Konzerthaus Dortmund. Das heißt, er kommt mit allen drei Orchestern, mit denen er verbunden ist, in unsere Gegend: Toulouse, Rotterdam, Bremen.
Wir sind ganz schön verwöhnt. Und wenn es oben bisweilen ein wenig nach Klage klang, dann war das auf sehr hohem Niveau geklagt.
Dr. Brian Cooper, 14. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mendelssohn Bartholdy und Mahler Kölner Philharmonie, 10. März 2025
Concertgebouworkest, Iván Fischer, Dirigent Kölner Philharmonie, 14. Februar 2025